Im Schatten der „Ehe für Alle“ hat die Bundesregierung das Netzwerkdurchsetzungsgesetz beschlossen. Social Media Plattformen sollen in die Pflicht genommen werden, diskriminierende Inhalte und Falschinformationen zu löschen. Kritiker befürchten eine unkontrollierte Zensur der Meinungsfreiheit.

Welche Auswirkungen haben soziale Netzwerke auf die Gesellschaft? Diese Frage treibt die deutsche Politik besonders im Vorfeld der Bundestagswahl an. Während des „arabischen Frühlings“ wurde noch die hohe demokratische Mobilisationskraft dieser Instrumente gelobt, seit geraumer Zeit stehen allerdings eher negative Aspekte im Vordergrund: Gezielte Manipulation des Wahlkampfes durch Socialbots und Hacker, sowie Desinformationskampagnen via Fake News sind nicht erst seit den US-Präsidentschaftswahlen ständige Schreckgespenster der Bundesregierung.

Kritiken an voreiliger Zensur

Mit dem nun verabschiedeten Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll gegen hate speech, Falschmeldungen und strafbare Inhalte auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, Youtube und Co. vorgegangen werden. Die Mehrheit der Union und der SPD stimmten für das Gesetz, dass die Plattformbetreiber dazu zwingen, offensichtlich strafbare Inhalte wie z.B. die Verbreitung von verfassungswidriger Propaganda, Kinderpornographie, Diskriminierung, Hassreden und Hetze innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Leisten die Unternehmen dem nicht Folge, können sie mit Bußgeldern in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro sanktioniert werden. Bürgerrechtler und Kritiker des Gesetzes sehen hier das Problem, dass die Plattformbetreiber im Zweifelsfall vorab Inhalte zensieren werden, um einer Bestrafung zu entgehen. Daher könnten auch rechtmäßige Äußerungen, die durch Artikel 5 des Grundgesetzes zur Meinungsfreiheit gedeckt sind, vorauseilend gelöscht werden. Vergangene Fälle, wie durch Facebook zensierte historische Kriegsfotografien beweisen, dass dies kein bloßes Hirngespinst ist. Im Gegensatz zum Entwurf enthält das fertige Gesetz die Klausel, dass soziale Netzwerke erst ab einer Anzahl von zwei Millionen registrierten Nutzern von den Regelungen betroffen sind. Damit soll verhindert werden, dass deutsche Startups in ihrer Entwicklung behindert werden. Bei besonders kniffligen Fällen soll innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden. Bei Uneinigkeit kann die endgültige Entscheidung über die Löschung auch an eine anerkannte Einrichtung der Selbstregulierung übertragen werden. Der zentrale Kritikpunkt des Gesetzentwurfes, die geringe Zeitfrist für die Löschung gemeldeter Inhalte, wurde nicht geändert. Vertreter der Zivilgesellschaft und der Medien, wie der Deutsche-Journalisten-Verband appellieren nun an den Bundespräsidenten, das Gesetz nicht zu unterzeichnen.

Intransparente Richtlinien

Dass die Verantwortung für Kontrolle und Zensur alleine bei den sozialen Netzwerken liegt, ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es zu begrüßen, wenn die Strafverfolgung Ressourcen einsparen kann und sich Plattformen strengere Richtlinien geben, um sich ihrem gesellschaftlichen Auftrag als Massenkommunikationsmedien bewusst werden. Andererseits zeigt sich in diesen internen Richtlinien oftmals ein anderes Verständnis von dem, was als strafbar gilt, sei es nun auf eine andere Kultur im Mutterkonzern oder auf bloße Profitorientierung zurück zuführen. Der Guardian hat durch einen Leak Zugriff auf die geheimen internen Richtlinien von Facebook erhalten. Was die Dokumente enthüllen zeigt, wie wenig Kontrolle und wie viel Interpretation bei der Löschung eine Rolle spielen. So sollen Kommentare, wie „Someone shoot Trump” gelöscht werden, da es hier um ein Staatsoberhaupt geht. Nach Facebook ist es dagegen nicht verwerflich, wenn Jemand beschreibt, wie einer Frau am besten das Genick gebrochen werden sollte. Video- oder Bildmaterial mit Gewalt gegen Kinder oder gegen Tiere dürfe ebenfalls geteilt werden und müsse nur in Extremfällen mit einer Warnung versehen werden. Hinzu kommt, dass die rund 4.500 menschlichen Facebook Moderatoren unterbezahlt und schlecht ausgebildet sind. Außerdem fehle es an einer psychologischen Betreuung für das Personal, welches mit grausamen Inhalten, wie Videos von Enthauptungen oder Vergewaltigungen konfrontiert werden.

Reaktionismus und Notwendigkeit

Es ist also eine Atmosphäre zwischen Notwendigkeit und Reaktionismus, in dem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz beschlossen wurde. Notwendig ist ein gesetzlich verankertes Vorgehen, weil soziale Netzwerke unser tägliches Zusammenleben prägen und damit auch ein Abbild unserer Gesellschaft sind. Auch in digitalen Räumen bedarf es Regeln, die Grausamkeiten und Diskriminierungen ausschließen und Minderheiten schützen. Der politische Reaktionismus zeigt sich aber in dem Hauruckverfahren der unausgegorenen Gesetzgebung. Statt für mehr externe Kontrolle und Transparenz bei den Plattformbetreibern zu sorgen und sich um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Artikel 5 des Grundgesetzes und einer legitimen Strafverfolgung zu bemühen, wird hier Verantwortung abgewälzt. Wie auch in anderen Bereichen, wo Sicherheitsbedenken und Digitalpolitik kollidieren, zeigt sich bei den Entscheidungsträgern ein Unwillen zur breiten gesellschaftlichen Debatte und einer besonnenen Vorgehensweise. Eine weitere Folge zeichnet sich schon jetzt in der Instrumentalisierung des Gesetzes für die bevorstehenden Bundestagswahlen ab. Die etablierten Volksparteien werden argumentieren, im Vorfeld der Wahl „erfolgreich“ etwas gegen Internethetze und Fake News getan zu haben. Parteien wie die rechtspopulistische AfD, können nun von einem „schwarzen Tag für das freiheitliche Deutschland” lamentieren und geben damit weiteren Hasskommentatoren eine Rechtfertigung, ihr Handeln unter dem Schleier einer gefährdeten Meinungsfreiheit zu verstecken. Das Problem menschenverachtender Inhalte bleibt nämlich bestehen. Mit der jetzigen Lösung doktert die Bundesregierung nur an ihrer oberflächlichen Sichtbarkeit herum.

Titelbild: Grundgesetz, by Guido A.J. Stevens on Flickr,  CC-BY-NC-ND 2.0

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