Für Aufregung sorgte der Fall Holger Voss. Der Telepolisleser, der wegen einer sarkastisch gemeinten, aber als strafbar ausgelegten Äußerung im Forum vor dem Amtsgericht Münster erscheinen musste, wurde freigesprochen. Ende gut alles gut?

Am 8. Januar musste sich der Münsteraner Holger Voss für seine sarkastisch gemeinte Äußerung im
Telepolis-Forum, dem
heise-online Forum, vor dem Amtsgericht Münster verantworten. Ausgangspunkt von all dem ist ein im Juni 2002 erschienender
Artikel von Harald Neuber bei Telepolis über das ungeklärte Massaker in Masar-i-Scharif .

Im Forum
kommentierte der anonyme Teilnehmer „Engine_of_Aggression”, dass es die Richtigen getroffen habe: “Warum sollen Massaker immer nur an den Guten angerichtet werden und der Bodycount des Abschaums kommt unterm Strich besser weg!” Daraufhin
postete Holger Voss, der ohne Pseudonym agierte, eine heftige, aber sarkastische Antwort auf diesen Kommentar, um, wie er bei
heise-online erklärt, „die menschenverachtende Gewaltverherrlichung seiner Äußerungen deutlich zu machen“. Daraufhin wurde er anonym bei der Staatsanwalt Hannover angezeigt. Diese verlangte vom heise-online die Herausgabe der IP-Adresse des Nutzers. Und die führte zu
T-Online. Dort hatte man praktischerweise noch die Verbindungsdaten des Kunden Voss gespeichert, aus denen sich die Netz-Nutzung rekonstruieren ließ. Wegen Billigung eines (Massen-) Mordes wurde er per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro verurteilt. Er reichte Einspruch ein und musste sich nun vor dem Verwaltungsgericht Münster verantworten. Hier verlas er eine siebenseitigen Erklärung in deren Zuge sich herausstellte, dass der Staatsanwalt keine genaue Kenntnis davon hatte, wer im Forum was gesagt hat. Voss konnte glaubhaft darlegen, dass seine Aussage keine Billigung des Anschlages vom 11. September 2001 war, sondern eine sarkastische Reaktion auf das Posting vom weiterhin anonymem „Engine_of_Aggression“. Daraufhin wurde er, mit ausdrücklicher Zustimmung der Staatsanwaltschaft, freigesprochen.

Dieser Fall wirft einige grundsätzliche Fragen bezüglich der Umfangsformen im Netz, zum Verhalten der Justiz und zum Datenschutzverhalten von T-Online auf.

Netiquette und ihre Probleme

Foren gibt es im Internet zu allerlei Themen. Die Besucher dieser Foren können sich in jeglicher Weise zu den dargebotenen Themen äußern. Diese Äußerungen werden erst dann bedenklich, wenn Gesetze verletzt werden. Äußerungen, die beleidigend, volksverhetzend oder Verbrechen billigend sind, können nach dem
§185 StGB geahndet werden.

Doch jedes Forum ist anders, sprich: es herrscht ein meist zum Thema passender Ton vor.

Vergleichbar ist ein Forum mit einer Diskussion, die zu einem lautstarken, hier dann eher durch derbe Vokabeln geprägten, Streitgespräch ausufern kann. Ein Teilnehmer reagiert auf den anderen, Störenfriede werden von der Community des Forums oft gleich ignoriert. Wie bei einer öffentlichen Diskussion kann man dort eigentlich nicht sagen, dass z.B. Politiker XY ein „Schwein“ sei. Schwierig ist es für Gesetzesvertreter, sich in die „Geflogenheiten“ der Foren hineinzudenken.

Gerade bei Ironie und Sarkasmus, im Internet weder durch den Tonfall noch durch die Mimik der Teilnehmer zu erkennen, ist das ein Problem. Nach Regeln der
Netiquette sollten ironische Beiträge mit sogenannten Icons gekennzeichnet werden. So ist es für Einsteiger klar, was wer wie meint. Holger Voss hatte seinen Beitrag wörtlich als Sarkasmus gekennzeichnet. Davon hat die Staatsanwaltschaft allerdings nichts gewusst. Und da sie denn Gesamtbeitrag augenscheinlich nicht kannte, konnte sie das Posting von dem Angeklagten auch nicht zuordnen. Wenn von vorneherein der Gesamtkontext klargewesen wäre, hätte das Verfahren auch nicht stattfinden müssen.

Verhalten der Justiz – eine Gratwanderung

Im Internet gelten dieselben Gesetze wie im ’wahren Leben’. Wenn ein User einen anderen oder einen Dritten beleidigt oder üble Nachrede verbreitet, kann er angezeigt werden. Dergleichen kann ein Forumsbesitzer für die Postings der Teilnehmer verantwortlich gemacht werden. Er sollte deshalb die Foren
regelmäßig kontrollieren. Dazu kann er von den ermittelnden Behörden gezwungen werden, die Verbindungsadressen der Besucher herauszugeben, wenn der Verdacht einer Straftat besteht. Deshalb hat heise-online die Daten von Voss weitergeleitet.

Schwierig wird es nun für Richter und Staatsanwälte, die Postings der Foren zu deuten. Im oben genannten Fall hatte laut heise-online die Richterin die
Befürchtung, dass viele unbeteiligte Leser sich nicht die Mühe machen würden, den Beitrag komplett bis zum Ende zu lesen, so dass ein bedingter Vorsatz – nämlich die Billigung eines solchen Missverständnisses – noch weiter in Frage käme.

Für die Justiz ist es eine Gratwanderung zwischen Internet Gepflogenheiten und Gesetzen izu entscheiden, wo die Straftat anfängt und wo die Meinungsfreiheit endet?

Datenschutz, wo bist Du?

Dazu kommt noch der Datenschutzaspekt. Heise online musste die Daten von Voss auf Druck der Staatsanwaltschaft Hannover weitergeben. Das war soweit legal. Diese Daten verwiesen auf T-Online. Dort hatte man noch die Verbindungsdaten gespeichert, aus denen die ermittelnden Behörden die Netz-Nutzung nachvollziehen konnten.

Allerdings erlaubt das
Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) die Speicherung der Daten nur zu Abrechnungszwecken. Holger Voss war allerdings DSL-Flatrate-Kunde und zahlt pauschal. Wieso T-Online die Daten trotzdem speicherte, versuchte der Kundensprecher von T-Online, Michael Schlechtriem, gegenüber
Spiegel-Online mit dem Hinweis zu erklären, dass die Speicherung auf „Anlehnung“ an das TDDSG geschehe. Heiß diskutiert wird, ob T-Online gegen des Gesetz verstößt.

Der Fall Holger Voss ist somit symptomatisch für den unsicheren Umgang von staatlicher Seite mit dem Internet. Datenschutzverstöße werden nicht geahndet, Foren und ihre Kommentare nicht verstanden und mit den Netzgeflogenheiten kennt man sich nur unzureichend aus.

Erschienen am 9.01.2003