Der Entwurf der Bundesregierung für ein neues Urhebergesetz ist ein fauler Kompromiss zwischen Nutzerrechten und Industrie. Aber das reicht der Lobby der Medienproduzenten noch lange nicht.

“Die Privatkopie darf auch im Reich der Bits und Bytes nicht sterben!”, fordert eine Initiative, die unter
privatkopie.net Materialien und Links zum Thema zusammengestellt und eine digitale Petition gestartet hat. Die ersten 30.000 Unterschriften werden heute Bundesjustizministerin Brigitte Zypries übergeben werden.

Nicht nur sie muss nachsitzen. Eine ganze Reihe von Neuregelungen hat das internationale Urheberrecht in den letzten Jahren der digitalen Welt angepasst. 1996 formulierte die World Intellectual Property Organization (WIPO) neue Verträge für digitale Daten aller Art, 1998 erließen die USA ihren “Digital Millennium Copyright Act” (DMCA), Europa zog im Mai 2001 mit der “EU-Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft” nach, die bis Ende dieses Jahres von den Mitgliedsländern in nationales Recht umgesetzt werden sollte.

Deutschland hat diese Frist versäumt. Zwar fand im Bundestag die erste Lesung eines entsprechenden Gesetzentwurfes bereits am 14. November statt. Doch die Lobby der Medienindustrie hat erfolgreich verhindert, dass er Gesetz wird: In der heute vorliegenden Fassung schreibt der Paragraf 53 vor, dass einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auch auf digitalen Trägern zulässig sind, sofern sie keinem Erwerbszweck dienen.

Die heute übliche Praxis wäre dadurch gesetzlich anerkannt. Ebendas jedoch stößt auf den erbitterten Widerstand der Medienindustrie. Sie vermisst ein eindeutiges Verbot all dessen, was sie seit langem als “Piraterie” beklagt, in erster Linie des Zugriffs von Internetusern auf digitale Privatkopien über Peer-to Peer-Netze. Mit immer neuen Systemen des “Digital Rights Management” (DRM) versucht sie, selbst legale Privatkopien technisch zu verhindern.

Am 14. Januar kommenden Jahres soll der Entwurf doch noch verabschiedet werden (die Lesung ist in den Februar verschorben, Anm. d. R.). Die Regierung hofft, die Industrie mit einer Klausel zufrieden stellen zu können, die ebenjene “technischen Maßnahmen” für zulässig erklärt, die das zunächst Erlaubte in der Praxis unmöglich machen. Was als Interessenausgleich dargestellt wird, schiebt aber das Problem nur auf die lange Bank. In der Begründung zum vorliegenden Entwurf heißt es lapidar, eine Klarstellung der Regelung zur Durchsetzung der Privatkopieschranke werde “Gegenstand eines weiteren Gesetzentwurfs”.

Kein Wunder also, dass die Medienindustie ihren Kampf noch lange nicht verloren gibt. Der Deutsche Multimedia Verband (DMMV) blies schon vor der ersten Lesung zur Frontalattacke: Eine “faktische Legalisierung der Vervielfältigung von Raubkopien” findet der DMMV im Gesetzentwurf, die notwendig zu einer “Schwächung des Medienwirtschaftsstandortes” Deutschland führe. “Arbeitsplatzverlust” und “erhebliche wirtschaftliche Schäden” seien die unausweichlichen Folgen.

Kampf um jeden Cent

Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) schlägt moderatere Töne an. Seine Hauptsorge sieht der Verband der Gerätehersteller in der Vermeidung einer Doppelvergütung. Das System der Pauschalabgaben auf Geräte wie Kassettenspieler, Videorecorder oder Kopierer, das im analogen Bereich für eine gerechte Vergütung für die Urheber sorgt, solle keinesfalls auf den digitalen Bereich übertragen werden. Das mache die Hardware teurer und schwäche die Umsätze, fürchtet der Verband, der schon die Pauschalvergütung für analoge Kopien als “unvermeidbare Ungerechtigkeit” nur zähneknirschend hinnimmt. Für die Welt des digitalen Copy & Paste jedoch eröffne sich – dank digitaler Rechtekontrolle – eine Alternative: statt pauschaler Abgaben auf die Geräte individuelle Abrechnung der tatsächlichen Nutzung der Inhalte. Schon seit längerem liegt Bitkom darüber im Streit mit den Verwertungsgesellschaften, die für die Umverteilung der Pauschalabgaben an die Autoren zuständig sind. Ein Schlichtungsversuch des Bundesjustizministeriums schlug Anfang dieses Jahres fehl.

Tief ins wohlmeinende Herz des Verbrauchers geblickt hat dagegen der
Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft. “Kopiergeschützte CDs sind vom Verbraucher längst akzeptiert”, heißt es vertrauensvoll aus dem Hause. Ob das daran liegt, dass kaum noch Musik-CDs ohne Kopierschutz zu haben sind, oder an der zu klein gedruckten Kennzeichnung, konnte diese Spezialuntersuchung des Kundenverhaltens nicht näher ergründen. Hinlänglich bekannt aber sind die Probleme, die der Kopierschutz schon heute verursacht: Viele Player akzeptieren die Scheiben nicht mehr, verärgerte Kunden und Händler sind zu Umtauschaktionen gezwungen. “Ein Anspruch auf eine Kopie besteht nach deutschem Urheberrechtsgesetz zweifellos nicht”, haben sich die Tonträgerhersteller juristisch kundig gemacht.

Ein Anspruch auf funktionierende Produkte besteht allerdings schon. Daran zu erinnern, das ist das Anliegen des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV). Die Verabschiedung des vorliegenden Entwurfs komme “de facto einem Verbot der digitalen Privatkopie gleich”, kontern die Verbraucherschützer. Das Recht auf Privatkopie werde ad absurdum geführt, wenn den Anbietern zugleich das Recht eingeräumt werde, digitale Kopien durch “wirksame technische Maßnahmen” zu verhindern. Schelte für den Gesetzgeber gibts daher auch von dieser Seite. Eine “unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers” und einen “schlechten Kompromiss” nennt der Bundesverband das Reformvorhaben

Tatort Stadtbücherei

Tatsächlich wären von den Regelungen nicht nur Musikfans betroffen. Etwa für die Benutzung öffentlicher Büchereien ergäbe sich die absurde Situation, dass elektronische Zeitschriften nur an speziellen Terminals angeboten werden dürften. Inhalte, die eigentlich überall und jederzeit zugänglich sein könnten, würden künstlich eingesperrt. Die deutschen Bibliotheksverbände wünschen sich deshalb eine Klarstellung, und verlangen, “die Zugänglichmachung von elektronischen Werken in öffentlichen Bibliotheken zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch der Benutzer als verbindliche Ausnahmetatbestände zu regeln.”

Zuerst erschienen in der
taz Nr. 6928 vom 12.12.2002, Seite 14, 211 TAZ-Bericht. Mit freundlicher Genehmigung des Autors DIETMAR KAMMERER.

Erschienen am 23.01.2003