Schaden Musiktauschbörsen der Musikindustrie? Wie sieht die Zukunft der legalen Musikverbreitung im Internet aus? Ein Bericht über MP 3, Napster und die Folgen des neuen Urheberrechts.

Seit Jahren geht es hin und her: Die Musikindustrie unterstellt den Tauschbörsen, Künstler in den Ruin zu treiben. Musik-Downloader werfen den Musikverbänden Abzocke vor. Bei diesem Streit fließt viel böses Blut, denn die Beteiligten sind nicht gerade zimperlich.

Statt einer sachlichen Diskussion bekommen Musikliebhaber Propaganda von beiden Seiten zu hören. Aber der Reihe nach. Um was geht es hier überhaupt? Werfen wir einen kurzen Blick zurück.

Ende der neunziger Jahre trat ein bis dahin relativ unbekanntes Musikformat seinen Siegeszug an: MP3 war plötzlich in aller Munde, denn erstmals konnte Musik fast in CD-Qualität schnell per Internet verbreitet werden, weil MP3-Dateien so klein waren. Es dauerte nicht lange, bis inoffizielle Webseiten MP3s in rauhen Mengen zum Download anboten. Um an die Musikstücke zu kommen, brauchte es allerdings einige Nerven und Geduld. Meist waren diese Datenbanken mit Porno-Pop-Up-Fenstern und allerlei anderem Ungemach geschmückt. Doch damit war Schluss, als Napster 1999 ans Netz ging. Über eine komfortable Suchmaske ließen sich Lieder finden, die ein riesiges Kollektiv von Usern auf ihren Festplatten bereitstellten. Und jeder konnte mitmachen – die erste große Web-Tauschbörse war geboren. Musik, Videos oder Programme, per Napster konnte einfach alles getauscht werden. So begann der Streit, über den sich seitdem die Gemüter von Musiklabels, Künstlern und Lobbyisten ebenso erhitzen wie die von Netzaktivisten, Politikern und Konsumenten.



Zwei Seiten
derselben Medaille

An jedem Musikstück haben mehrere Personen oder Firmen verschiedene Rechte. Vertreter dieser Rechteinhaber, allen voran der internationale Phonoverband IFPI (
International Federation of the Phonographic Industry,
IFPI Deutschland) werfen den Tauschbörsen vor, die Musik gratis zu verbreiten – vorbei an den Händlern und Rechteinhabern. Die Auftraggeber der IFPI, besonders Musik, erhielten durch die Tausch-Netzwerke weniger Geld. Folgerichtig beklagt die IFPI seit einigen Jahren lauthals ihre
Umsatzrückgänge, für die sie hauptsächlich Tauschbörsen und Raubkopien auf dem Schulhof verantwortlich sieht. Die Lösung des Problems sucht die Musikindustrie vor allem im Verhindern des Tauschaktes an sich: Durch Kopierschutzmaßnahmen soll das Kopieren der Lieblingsalben so umständlich werden, dass niemand sich mehr die Mühe macht. Bisher stellten sich die verwendeten Techniken allerdings als nicht sehr sicher heraus. Zumeist war der Kopierschutz schon nach wenigen Wochen geknackt, das Kopieren ging weiter.

Deshalb gingen die Großen der Branche jetzt einen Schritt weiter. Durch massive Lobbyarbeit erreichten sie, dass im neuen Urhebergesetz das
Umgehen des Kopierschutzes illegal wurde. Seitdem dürfen selbst Computerzeitschriften keine Anleitungen mehr zum Umgehen der Sicherheitsmaßnahmen veröffentlichen. IFPI-Boss Gerd Gephardt sieht darin einen ”
wichtigen Schritt für alle Künstler und Tonträgerhersteller“, fordert aber “zügig” weitere Gesetzesänderungen. Diese gibt es voraussichtlich schon im Herbst, im sogenannten “zweiten Korb” der Gesetzesänderung.

In der Netzgemeinde war der Aufschrei groß. Von den verschiedensten Seiten kamen Einwände gegen die Aktionen der Musikindustrie: User der Tauschbörsen wollen die liebgewonnene Gratismusik nicht missen. Wissenschaftler
fürchten Einschränkungen durch die neuen Verbote. Stichworte wie ”
Kriminalisierung der Kinderzimmer” machen die Runde. Musikliebhaber wollen auch weiterhin digitale Kopien ihrer gekauften CDs anfertigen. Der anklagende Tenor lautet: “Ihr schießt mit Kanonen auf Spatzen!” Und dabei kann viel mehr kaputt gehen, als die Musikindustrie bisher glaubt: Das Vertrauen in die Labels steht auf dem Spiel. Und es ist schon jetzt sehr angekratzt.


Wer ist schuld?

Es stimmt, der Umsatz der Plattenbranche ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Gleichzeitig stieg das Tauschvolumen im Netz massiv an. Wie stark diese beiden Tatsachen aber zusammenhängen, kann niemand schlüssig belegen, denn schließlich mussten auch die meisten anderen Branchen in den letzten Jahren Einbrüche verkraften.

Beide Seiten haben starke Argumente. Dass im heutigen System Künstler und Labels Geld einnehmen müssen, um Musik zu produzieren, bezweifelt kaum jemand. Durch ein Lied aus der Tauschbörse kommt kein Cent in deren Geldsäckel. Doch würde sich ein Fünfzehnjähriger längst nicht jedes Musikstück kaufen, das er aus dem Internet herunterlädt. Jeden Download direkt als wirtschaftlichen Schaden zu kalkulieren, ist eine
Milchmädchenrechnung. Und durch unseriös wirkende Warnkampagnen, dem Stören von Tauschbörsen und Drohgebärden stehen die Phonoverbände als Spielverderber da. Den entscheidenden Punkt aber sollte man nicht vergessen: Bisher starteten die großen Labels eher halbherzige Versuche, Musik online zu vertreiben.
Pressplay floppte mangels Akzeptanz der User, da die heruntergeladene Musik zu großen Einschränkungen unterlag. Auch Bertelsmann konnte das aufgekaufte Napster nicht zum legalen Erfolg führen. Lediglich Apple schaffte das Unerwartete – der Download-Service
iTunes übertraf alle Erwartungen bei weitem und machte vom ersten Tag an riesige Umsätze. Für PC-Benutzer wird mit
phonoline erst diesen Herbst eine legale Musikplattform an den Markt gehen, an der sich alle Labels beteiligen können.


Fortsetzung folgt…

Fassen wir das Bisherige zusammen. Millionen Nutzer laden sich gratis Musik aus dem Netz und schädigen damit Künstler und Musikhändler. Die Musikbranche verklagt diese User und damit ihre eigenen Kunden. Komfortable Downloads aus offizieller Quelle wird es erst in ein paar Monaten mit der nötigen Auswahl geben.

Im Moment sind die User verunsichert, denn bisher war das Erstellen weniger Kopien für den Privatgebrauch nicht strafbar. „Eine Aufklärungskampagne ist im Interesse der Industrie, aber auch im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher sinnvoll”, fordert Gretje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen. Auch die Union unterstützt eine solche Kampagne. Dr. Günter Krings, CDU-Bundestagsabgeordneter, kritisiert aber, dass andere Länder da schon viel weiter seien. Hätte man sich durch eine ordentliche Aufklärungskampagne zu einem früheren Zeitpunkt viel Ärger sparen können?

Ende des Jahres steht die nächste Runde des Kampfes an, diesmal allerdings an drei Fronten: Der stark kritisierte zweite Korb des Urheberrechtsgesetzes wird diskutiert werden. Die Jagd der Phonoverbände auf Tauschbörsen-Nutzer wird sich verschärfen. Am spannendsten aber dürfte ein dritter Punkt werden: Können die Plattenfirmen mit Phonoline und dem kostenpflichtigen Napster 2.0 ihre Online-Angebote so interessant gestalten, dass sich die Kunden ihnen wieder zuwenden?

Erschienen am 28.08.2003