Im Zuge der Terrorbekämpfung gibt es Einschnitte im Internet
Nach den Anschlägen des 11. September wurden auf nationaler und internationaler Ebene eine Vielzahl neuer Regelungen und Gesetze zur Terrorismusbekämpfung eingeführt. So wurden Sicherheitsbestimmungen auf Flughäfen erhöht, die internationale Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden verstärkt und in vielen Ländern der behördliche Zugriff auf Daten erleichtert. Davon ist das Internet in besonderer Weise betroffen. Nach Thilo Weichert, von der
Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) erlebte die neue Informationstechnologie in den 90er Jahren eine Demokratisierung. Die Informationstechnik hätte sich entgegen erster Befürchtungen nicht zu einem Entmündigungsinstrument entwickelt, sondern zur Mündigkeit von Bürgern beigetragen, so Weichert auf einer Tagung der Vereinigung Demokratischer JuristInnen, der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Juragruppe und der DVD. Die Überwachungsmaßnahmen, die nach dem 11. September eingeführt wurden, würden diese Kommunikationsfreiheit gefährden, führt er aus.
Auch „Reporter ohne Grenzen“ übt harsche Kritik an weltweiten Einschränkungen der Internetkommunikation. Die Organisation hat sich den Schutz der Meinungsfreiheit zum Ziel gesetzt, dazu gehört laut jüngst vorgelegten Bericht
„The Internet on Probation“ auch die Pressfreiheit und der freie Informationsfluss im Internet. “Die Situation ist besonders besorgniserregend, weil jetzt auch westliche Demokratien Schritte in eine Richtung unternehmen, die man von Staaten kennt, die bekanntermaßen Menschenrechte missachten”, fasst Robert Ménard, Generalsekretär der Organisation die Ergebnisse des Berichtes zusammen. Private Kommunikation sei in vielen Fällen nicht mehr geschützt.
Welche Änderungen gibt es in Deutschland?
In Deutschland sind die das Internet betreffende Regelungen vor allem im Sicherheitspaket II zu finden. Teledienstanbieter müssen künftig dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Sicherheitsdiensten Zugriff auf ihre Daten gewähren. Eigentlich dürfen Teledienstanbieter personenbezogene Daten nur sammeln, wenn sie zur Abrechnung gebraucht werden, bzw. wenn zuvor eine Zustimmung der betreffenden Personen eingeholt wurde. Allerdings wird derzeit laut Datenschützer eher mehr protokolliert, als eigentlich für die Rechnungsstellung nötig wäre. Es scheint zum Teil wenig Gespür für die Sensibilität von Daten zu geben. In diese Richtung deutet auch eine Erfahrung aus Nordrhein-Westfalen. „Eine staatliche Stelle in Nordrhein-Westfalen hat eine Empfehlung an Provider gegeben, den Versand und Empfang von Emails zu überwachen und Emails mit „unmoralischen“ Inhalten zu blockieren,“ so Nancy Isenson von Reporter ohne Grenzen in Berlin. Dieser einfachen Empfehlung, die keine gesetzliche Basis habe, seien mehrere Provider nachgekommen, erklärt sie weiter.
Die Pressefreiheit in Gefahr?
Durch die in den Sicherheitspaketen bestimmten Neuregelungen befürchtet Isenson eine Gefährdung des Quellen- und Informantenschutz in Deutschland. “Journalisten können nicht mehr richtig recherchieren, wenn sie befürchten müssen, dass ihre Emails gelesen werden,.“ so Isenson. Konkrete Fälle seien noch nicht bekannt, doch wenn der Informantenschutz gefährdet ist, sei auch die Pressefreiheit gefährdet, führt sie weiter aus.
Die europäische Dimension: Eine Speicherverpflichtung
Das Internet war zwar auch vor der Novellierung kein abhörfreier Raum, doch insgesamt erhalten die Behörden durch die Neuregelungen Zugriff auf Daten, die bislang für sie nicht erreichbar waren. Früher konnten Behörden zu Ermittlungszwecken lediglich auf die Telekommunikationsanbieter zukommen, die ihnen in der Folge ein Abhören ermöglichen mussten. Über das Abhören von dial-up Verbindungen können jedoch nur Daten erfasst werden, die zeitlich nach dem Abhörbeschluss zustande kommen. Durch den Zugriff auf Teledienstanbieter – Provider – werden auch Kommunikationsvorgänge aus der Vergangenheit nachverfolgbar.
In Deutschland sind Teledienstanbieter trotz gegenteiliger Bestrebungen des Bundesrates und im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wie England, Spanien oder Frankreich, derzeit nicht verpflichtet, ihre Daten für längere Zeit zu speichern. Auf europäischer Ebene gibt es jedoch Initiativen für eine „Vorratsspeicherung“. So legitimiert die im Mai verabschiedete Datenschutz-Direktive der EU, die Vorratsspeicherung von Daten auf Ebene der Mitgliedsstaaten und es bestehen laut
statewatch Bestrebungen, die Mitgliedsstaaten zur Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten – Anrufe, Emails, Surfverhalten – zu verpflichten.
Wie dramatisch die Verschärfungen bzw. Vorhaben im Bereich der Überwachung der Internetkommunikation sind, unterstreicht Robert Ménard von Reporter ohne Grenzen: “Die bisherigen Maßnahmen kommen einer routinemäßigen Kontrolle der gesamten privaten Post gleich. Wir müssen daher wachsam bleiben”.
Gefahr aus dem Internet?
Bei der Drastik der gesetzten Maßnahmen drängt sich die Frage auf, welches Gefahrenpotential das Internet tatsächlich birgt. Fördert garantierte Anonymität kriminellen Missbrauch? Die Vermutung liegt nahe, dennoch zogen die Betreiber des Anonymisierungsdienstes AN.ON, die Technische Universität Dresden sowie das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein, nach 13 Monaten Projektlaufzeit eine positive Bilanz. Der Anonymisierungsdienst ermöglicht es Usern mittels einer speziell entwickelten Software anonym zu surfen. Als IP-Adresse scheint jeweils die des Anonymisierungsdienstes auf. Die Software wurde innerhalb der Projektzeit 1,2 Millionen mal verwendet. Insgesamt erhielt der Datenschutz in Schleswig-Holstein in dieser knapp 30 Anfragen von Privatpersonen und Strafverfolgungsbehörden.
Es sie unzutreffend, wenn in der Öffentlichkeit der Einruck erweckt wird, als sei das Internet generell ein kriminalitätsbelasteter Raum, fasst Helmut Bäumler, vom Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein die Ergebnisse zusammen. Der Dienst soll künftig systematisch ausgebaut werden.
Einen bedenkenswerten Vorschlag machte Armin Medosch auf der Konferenz „eDemocracy in der Zivilgesellschaft – Herausforderungen an Staat und Gemeinden, die am 28. August in Berlin stattfand und von der Bundeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund veranstaltet wurde. Er forderte die Verabschiedung einer „Charta der Bürgerrechte für das Internet“, die vergleichbar sei mit der UN-Menschenrechtscharta. Ziel sei die Schaffung verbindlicher Standards in der Online-Welt zur Sicherung elementarer Bürgerrechte.
Erschienen am 12.09.2002
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