Dr. Fred Breinersdorfer ist Vorsitzender des deutschen Schriftstellerverbandes. Er fordert eine verbindliche Vereinbarung gemeinsamer Vergütungsregelungen und Vertragsstandards zwischen Verbänden und Verwertern.

Es gibt in Ministerien Planungen und Konzepte, die sind dermaßen diskret, dass sie sogar das Papier scheuen, auf dem sie geschrieben sind. Man spricht deswegen von Non-papers. Diese geisterhaft-vertraulichen ministeriellen Erscheinungen pflegen innerhalb kürzester Zeit auf den Schreibtischen von Interessenvertretern und Redaktionen zu landen, von wo aus sie analysiert und bekämpft werden. Ein solches Non-paper gibt es auch zum neuen Urhebervertragsrecht, nachdem die Verleger nach der Filmwirtschaft vor wenigen Wochen gegenüber Kanzler und Justizministerin ihre Fundamentalopposition gegen die Novelle aufgegeben haben. Glücklicherweise war nun der Weg frei, die Argumente der Kritiker gegen bestimmte Details der kommenden Regelung abzuwägen, um endlich in der Sache voran zu kommen.

Wer die heftige Debatte verfolgt hat, wird sich erinnern, dass die Urheberseite einige Einwände der Verwerter gegen das Gesetz unterstützt hat und anderen neutral gegenüber steht, solange die Substanz der Novelle nicht angetastet wird. Genauso wie viele vernünftige Verleger nie einen Zweifel daran gelassen haben, dass sie angemessene Honorare für notwendig halten, haben Urheber nie das Bedürfnis der Unternehmer nach Rechts- und Kalkulationssicherheit bestritten. Auch über unerwünschte Rückwirkungen, die übrigens verfassungsrechtlich problematisch wären, muss man reden, ein verschärfter Bestsellerparagraf kann hier für Altverträge weiter helfen.

Es gab und gibt Gemeinsamkeiten. Da war zum Beispiel die Kritik an dem außerordentlichen Kündigungsrecht für Urheber nach dreißigjähriger Vertragslaufzeit nie ernsthaft im Streit – die meisten Autoren fliegen mit ihren Büchern und Rechten eh schneller aus der Backlist, als sie ins Verlagsprogramm gekommen sind. Kein Urheber besteht darauf, jeden Verwerter in einer Lizenzkette direkt in Anspruch nehmen zu können, er hält sich gerne an seinen Vertragspartner, den er ja kennt. Nur muss im Insolvenzfall ein Durchgriff auf andere Verwerter möglich sein. In diesen und anderen Punkten sind wir endlich weiter gekommen. Weitere Beispiele könnten folgen, von Zurückrudern kann deswegen nicht die Rede sein. Schreiben und Publizieren soll ja nicht erschwert werden.

In der SZ vom 5. November ist das Verlegen von Büchern mit Börsenspekulation verglichen worden. Erstaunlich, dass die Verleger nicht empört auf die Gleichstellung mit Kurszockern reagiert haben. Unser aller Vorstellung von diesem Beruf ist anders, hat mit Komponenten des Intellektuellen, den Künstlerischen und selbstverständlich auch des Kaufmännischen zu tun.

Natürlich gehört Mut dazu, in einen neuen, unbekannten Autor zu investieren, spekulativ wird damit die Sache noch lange nicht. Doch nicht nur der Verleger investiert in ein Buchprojekt, indem er Lektorat, Herstellung und Vertrieb finanziert, nein auch jeder neue, unbekannte Autor investiert in dasselbe Vorhaben, oft sogar mehr als sein Verleger. Der Schriftsteller steckt in sein Manuskript Kreativität und Phantasie und meist unendlich viel Zeit, in der er kein Geld verdient, oft genug bleibt er dabei sozial völlig ungesichert. Ein Risiko ist ein schwieriges Buch deswegen für beide. Wird es ein Flop, bleiben beide Seiten auf ihren Kosten sitzen, nicht nur der Verlag.

Logisch, dass der Verleger mit seinen Erträgen machen kann, was er will, aber woher nimmt er die Legitimation, dem Autor eines Erfolgsbuches ein nicht angemessenes Honorar zu zahlen, weil er andere Projekte damit “quersubventionieren” will? Wer subventioniert hier wen? Das Beispiel zeigt, dass es Sinn macht, die Frage der Angemessenheit streng am Projekt und nicht am Unternehmen zu entscheiden. Vielleicht ist daraus die Vehemenz der Kritik zu erklären.

Wieder und immer wieder wurde ins Feld geführt, der Begriff des angemessenen Autorenhonorars sei dehnbar und in der Praxis untauglich. Indes, Gesetzgeber und Vertragsverfasser kommen nie ohne Generalklauseln aus. Verleger sind nicht glaubwürdig, wenn sie so tun als wüssten sie nicht, was in ihrer Branche angemessen ist und vom Gesetzgeber die Definition im Urheberrecht dafür verlangen. Denn eigentlich geht es nur darum, wie viel vom Angemessenen die Verlage bereit sind zu zahlen und wie weit das Angemessene auch verbindlich sein muss. Die Taktik ist klar, je mehr der Maßstab der “Angemessenheit” zerbröselt wird, um so näher kommen die Kritiker der Novelle ihrem Ziel, den bisherigen, für sie so komfortablen Zustand zu zementieren. Klar ist, die Frage der Angemessenheit von Autorenvergütungen ist Punkt, an dem sich Erfolg oder Misserfolg des Gesetztes entscheidet. Deswegen lohnt es sich, nachzubessern und zu präzisieren, sofern erforderlich und möglich.

Allerdings schlägt das Non-paper gerade hier Kapriolen. Es lässt nun erst mal den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Verlag und Autor Vorrang; dagegen hat niemand etwas, sofern sie angemessen sind. Bei unangemessenen Vereinbarungen soll dann vom Autor Anpassung des Vertrages verlangt werden können, was wiederum logischerweise auch die Anpassung seines Honorars und eine Nachvergütung zur Folge hat. Von hinten durch die Brust ins Auge! Warum lässt man es nicht bei dem direkten Anspruch auf angemessene Vergütung wie bisher vorgesehen, abhängig von der konkreten Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke? Kalkulations- und Rechtssicherheit gibt der Abverkauf von Büchern und Lizenzen. Dass eine Vergütung von der konkreten Nutzung abhängig gemacht wird, kennt unser Rechtssystem in vielen Bereichen; man zahlt ja beispielsweise auch Mieten pro rata temporis. Nebenbei: Der Mieter der Belle Etage subventioniert ja auch nicht die Souterrainwohnung quer. Das Verfahren mit einer Vertragsanpassung verkompliziert lediglich, an der Angemessenheitsfrage hat sich nichts geändert.

Nun steht fest, es muss eine Legaldefinition der “angemessenen Vergütung” her. Die Justizministerin hat in einem Interview mit dem Börsenblatt klar gestellt, dass alleine die redliche Branchenübung Richtschnur dafür sein kann. Aber die Frage ist erlaubt, was ist eine “redliche Branchenübung”? Doch wohl nicht die bisher existierenden Billighonorarzonen für literarische Übersetzer oder die grassierenden Buy-out-Verträge in der Filmindustrie?

Es steht zu befürchten, dass eine befriedigende gesetzliche Definition der angemessenen Vergütung kaum zu finden ist, die den Bedenken beider Seiten und auch noch den Bedürfnissen der Praxis in der sehr differenzieren Urheberindustrie Rechnung trägt. Der einzige Ausweg ist und bleibt die verbindliche Vereinbarung gemeinsamer Vergütungsregelungen und Vertragsstandards zwischen Verbänden und Verwertern, die auf gleicher Augenhöhe den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit im neuen Gesetz je nach Branche und Fall verbindlich ausfüllen können. Dass es dabei bleibt, hat die Justizministerin auch mit der notwendigen Klarheit festgestellt.

Wir betreten damit ebenfalls kein juristisches Neuland. Es ist auffallend, dass kein Verleger dramatischer Werke gegen die Novelle protestiert. Die Bühnenverleger haben Anfang der 70er ihre eigene Regelsammlung für angemessene Honorar- und Vertragsbedingungen durchgesetzt. Sie leben gut damit. Denn die Regelsammlung spart Bürokratie und schafft Transparenz und Rechtssicherheit.


Zuerst erschienen in der
Süddeutschen Zeitung am 23. November 2001

Erschienen am 26.11.2001

Erstveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung am tag, den 2 .November 2001.