Außenpolitische Dimension der Netzpolitik

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Die EU ist nicht nur eine Arena für ihre Mitgliedsstaaten, sie ist auch ein (einflussreicher) globaler Akteur geworden. Seit dem Frühjahr 2013 hat die EU-Kommission begonnen, in geheimen Verhandlungen einen Vorschlag für ein Transatlantisches Freihandelsabkommen mit den USA zu entwerfen, das sogenannte Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). Einige Monate später jedoch begannen die Enthüllungen durch Edward Snowden die Beziehungen zu den USA zu belasten. Seit 2014 werden Verhandlungen über das TTIP und anderen Abkommen mit den USA (z. B. das Safe-Harbor-Abkommen) aufgrund der NSA-Affäre kritischer betrachtet, und zum Teil wird deren Aussetzung verlangt. Auch wenn Verträge beispielsweise zum Datenaustausch von Passagierdaten nicht unmittelbar mit Handelsverträgen zu tun haben, können und sollten politische Akteure diese Verbindung im Rahmen von Verhandlungen herstellen. Dies wurde nicht nur im Untersuchungsbericht des EU-Parlaments zur NSA-Affäre gefordert, sondern ist mittlerweile eine verbreitete Forderung zivilgesellschaftlicher Gruppen in ganz Europa. Mit einem Entwurf zum TTIP wird inzwischen frühestens 2015 gerechnet.

GRÜNE und LINKE stehen dem TTIP grundsätzlich ablehnend gegenüber. Sie befürchten, dass ein solches Abkommen negative ökologische und soziale Auswirkungen hätte. Beide Parteienverbände fordern die Aufhebung von Abkommen mit den USA. Die PIRATEN stehen dem TTIP ablehnend gegenüber und fordern mehr Transparenz in den Verhandlungen. Sie wollen Passagierdaten aber nicht weiter an die USA übermitteln und das Safe-Harbor-Abkommen aufkündigen. Dem schließen sich LINKE und GRÜNE an und fordern darüber hinaus die Aufhebung des Swift-Abkommens, welches die Übermittlung von Zahlungsverkehrsdaten an die USA regelt und der „Terrorbekämpfung“ dienen soll. Neue Abkommen mit den USA solle es nicht geben, bevor EU-Bürgern die gleichen Rechte wie US-Bürgern eingeräumt worden sind. Gemeinsam mit den PIRATEN wollen sich die GRÜNEN für eine Wiederbelebung der europäischen IT-Sicherheitsindustrie stark machen, um durch eine europäische Verschlüsselungs-Infrastruktur unabhängiger von den USA werden zu können. Die ALDE sieht die USA in der Bringschuld, das Vertrauen wieder aufzubauen, bevor das TTIP-Abkommen vereinbart werden könne. Man müsse die beiden Themen aber getrennt voneinander regeln. Diese Haltung vertreten auch die SPE und die EVP, die das TTIP grundsätzlich unterstützen. Sie hoffen auf positive wirtschaftliche Effekte. Die SPE betont die Forderung nach einem Rahmenabkommen mit den USA (wie es im Abschlussbericht des EU-Parlaments zur NSA-Affäre vorgeschlagen wurde), um fundamentale Rechte der EU-Bürger zu garantieren. Die EVP möchte eine europäische Spionageabwehr schaffen, um europäische Einrichtungen zu schützen (auch diese wurden durch die NSA abgehört).

Fazit: Kurzprofile der Parteienverbände zur Europawahl

Europäische Volkspartei (EVP):
Die EVP spricht sich gegen Datenmissbrauch aus und fordert im Datenschutz die Notwendigkeit einer Balance zwischen Unternehmer- und Konsumenteninteressen. In der Debatte zur Netzneutralität warnen die Konservativen vor Suchmaschinen, die Ergebnisse filtern, damit die User etwas von ihnen kaufen. Insgesamt müsse die EU proaktiver in der Internet-Governance werden. Ein modernisiertes Urheberrecht solle Vertrauen für Künstler im Internet schaffen. Vorratsdatenspeicherung ist in ihren Augen ein effektives Instrument zur Abwehr von „Terroristen“. Wie der Netzausbau finanziert werden soll, müsse nach der Wahl entschieden werden. Möglicherweise gebe es ja gute Vorschläge aus der Bevölkerung. Diese hat die EVP über das Internet dazu aufgerufen, am Programm der nächsten Legislaturperiode mitzuwirken. Um europäische Einrichtungen zu schützen, solle eine europäische Spionageabwehr geschaffen werden.

Sozialdemokratische Partei Europas (SPE):
Die SPE unterstützt grundsätzlich das Ziel eines „Freihandelsabkommens“ mit den USA, hofft dabei aber auf eine Anhebung der Standards (statt auf eine Senkung). Ihre Antwort auf die NSA-Affäre ist ein Rahmenabkommen zwischen der EU und den USA, welches die Rechte der EU-Bürger garantiert. Vorratsdatenspeicherung hält sie tendenziell für überflüssig, es müsste stattdessen ein härteres Gesetz gegen Datenschutzverstöße her. Eine Bevorzugung von „Spezialdiensten“ im Datenverkehr dürfe nur unter klaren und strengen Auflagen erfolgen. Eine große Bedeutung bemessen die Sozialdemokraten einem harmonisierten europäischen Kulturraum und –markt bei. Sie bedauern die Mittelkürzung für den Netzausbau, der durch die EU vorangetrieben werden sollte. Dafür setzen sie auch auf mehr Transparenz und weniger Distanz zwischen EU-Institutionen und Bürgern.

Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE):
Für den Netzausbau verweist die ALDE auf die Europäische Investitionsbank. Projektanleihen könnten auch für Investitionen in ländlichen Gebieten sorgen. Netzneutralität muss für sie ohne Einschränkungen gelten. Der Datenschutz müsse gestärkt werden. Für die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung gebe es keine Belege, weshalb sie überflüssig sei. Die Liberalen sprechen sich für einen harmonisierten digitalen Markt aus und betonen die Bedeutung des Themas für Bildung und Forschung. Alle Daten und Dokumente der EU sollen zugänglich gemacht und Neue Medien dafür eingesetzt werden, mehr Bottom-up-Prozesse zu ermöglichen. Die ALDE sieht die USA in der Pflicht, neues Vertrauen zu schaffen. Vorher werde es kein TTIP mit der ALDE geben.

Europäische Grüne Partei (GRÜNE):
Mit dem EU-Datenschutzbeauftragten Jan P. Albrecht haben die GRÜNEN ein relativ klares netzpolitisches Profil erhalten. Vorratsdatenspeicherung ist mit ihnen nicht zu machen, und sie wollen die Datenschutz-Rahmenvereinbarung renovieren. Das TTIP lehnen sie in der jetzigen Fassung ab, fordern stattdessen neue und von Anfang an transparentere Verhandlungen. Netzneutralität bedeutet für die europäischen Grünen, dass keine Diskriminierung von Daten erlaubt sein soll. Ein vernetzter Kontinent könne nur durch aktive Unterstützung der EU zustande kommen, und zu einer harmonisierten Urheberrechtsregelung müsse man Autoren und Konsumenten gleichermaßen gerecht werden. Sie fordern, dass Werke verstorbener Autoren früher frei zugänglich sind. Sie unterstützen die Idee, interne Datensysteme der EU Dritten zugänglich zu machen, um für mehr Transparenz zu sorgen. Mit den offenen Vorwahlen ihrer Spitzenkandidaten haben sie sich innovativ und online-gerecht in Szene gesetzt.

Partei der Europäischen Linken (LINKE):
Die LINKEN gehen die EU-Netzpolitik eher pragmatisch an. Das Urheberrecht wollen sie reformieren, um eine Kultur des Teilens zu ermöglichen. Allerdings verweisen sie auf die Rolle der nationalen Gerichte und die bestehenden Strukturen im Zivilrecht. Ob sie sich eine wirkliche Harmonisierung wünschen, bleibt ungewiss. Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung und Abkommen mit den USA wollen sie aufheben und die EU-Kompetenz für den Datenschutz ausschöpfen. Das TTIP sehen sie grundsätzlich kritisch. Neue Medien wollen sie vor allem zur Vereinfachung bürokratischer Verfahren nutzen. Netzneutralität könne nur unter harten Auflagen eingeschränkt werden. Der Netzausbau soll durch kommunale und genossenschaftliche Akteure sowie durch europäische Strukturfonds finanziert werden.

Europäische Piratenpartei (PIRATEN):
Für die PIRATEN ist Netzpolitik eines der Kernthemen: Top-down Kommunikation im politische System wollen sie mithilfe Neuer Medien überwinden. Ein unabhängiges EU-Organ solle die Transparenz der EU-Institution sicherstellen. Der kulturelle Austausch dürfe in einer „digitalen europäischen Gesellschaft“ nicht durch nationale Grenzen gebremst werden, fordern sie. Monopole müssten auch beim Netzausbau vermieden werden. Datenschutz müsse vor allem Industriespionage effektiv unterbinden. Vorratsdatenspeicherung lehnen sie ab. Spezialdienste dürften nur in sehr wenigen Ausnahmen bevorzugt werden. Auch als Reaktion auf die NSA-Affäre wollen sie die IT-Industrie in der EU stärken und eine verschlüsselte Infrastruktur schaffen. Sie lehnen das TTIP ab und fordern mehr Transparenz bei den Verhandlungen.

Zusammenfassung

Die Haltungen der europäischen Parteienverbände erscheint in manchen der hier thematisierten Fragen progressiver als die der nationalen Parteien. Der Umgang mit Fragen und Konflikten, die mit dem Internet und Neuen Medien in Verbindung stehen, wird für die Entwicklung der EU und dadurch für das Leben in EU-Mitgliedsstaaten auch künftig eine immer wichtigere Rolle spielen.

In der Geschichte der EU hat sich das Europäische Parlament immer wieder auch als Anwalt seiner Bürger präsentiert, wie im Fall des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommens (ACTA). In Folge großer Proteste in der Bevölkerung hat das EU-Parlament 2012 gegen eine Ratifizierung des Abkommens gestimmt. Doch selbst dieses Beispiel macht deutlich, dass Netzpolitik auf europäischer Ebene vor allem eine große wirtschaftliche Komponente hat. Mit einem Umsatz von 600 Milliarden Euro (2013) zieht der Informations- und Telekommunikationsmarkt der EU die Aufmerksamkeit mächtiger Unternehmerinteressen auf sich. Ihr Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse auch in der kommenden Legislaturperiode ist groß. Deshalb ist es umso wichtiger, bis u. a. Neue Medien zu partizipatorischen Entscheidungsverfahren führen können, am kommenden Wochenende die richtige Wahl zu treffen.

Weiterführende Links

GoVeto unterstützt WebPromise.eu: Warum die EU-Wahl 2014

Alle Angebote der Landeszentralen zur Europawahl 2014 zusammengefasst

EUROPA-ATLAS – Daten und Fakten über den Kontinent

Grafiken: Heinrich-Böll-Stiftung, DGAP, ECFR, Le Monde Diplomatique (CC-BY-SA)

Bild: Cédric Puisney (bearbeitet, Originalbild) (CC BY-NC-ND 2.0)

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