In den USA tummeln sich die kommerziellen Akteure geradezu in der früher von Netzaktivisten dominierten Weblog-Szene. Denn viele US-Unternehmen setzen die Online-Tagebücher gezielt als Kommunikationsmedium ein. Hierzulande dagegen entdeckt die Wirtschaft das Marketinginstrument Corporate Blogging erst langsam.

 

Zwar wird es in PR- und Marketingkonferenzen landauf, landab heiß diskutiert, aber Fachleute gehen von weniger als 100 existenten Firmenblogs aus, darunter so manches handgestrickte, amateurhafte
Exemplar. Damit hinken die Deutschen auch den Franzosen hinterher, die wesentlich mehr kommerzielle Blogs ins Netz stellen.

Eines der wenigen Paradebeispiele eines deutschen Corporate Bloggers ist Sun Deutschland, dessen US-Zentrale ein Vorreiter in der Blogosphäre ist. Sogar Marketingdirektor
Martin Häring bloggt. „55 bis 60 unserer deutschen Mitarbeiter, hauptsächlich Techniker, führen einen Blog“, teilt Pressesprecher Harald Gessner aus Kirchheim-Heimstetten bei München mit. Darin tauschen sie Informationen mit Fachkollegen aus. Das darf sogar während der Arbeitszeit geschehen. Er sieht Blogs als gutes Kommunikationsmittel, denn der Nutzer sei inzwischen gesättigt von offiziell aufgemachten Websites und Newslettern im Marketing-Deutsch. „Blogs sind menschennäher, persönlicher, lustiger und unterhaltsamer“, findet Gessner. In Kürze gehen weitere Top-Manager damit online, darunter ein Geschäftsführer und der Marketingchef. Potenzial sieht Gessner auch außerhalb der IT-Szene, zum Beispiel im Tourismus mit aktuellen Reiseinfos.

Gerade mit dieser Branche hat aber Björn Ognibeni, Berater für digitales Marketing in Hamburg, seine liebe Mühe. „Ich versuche schon seit längerem, ein Reisebüro vom Einsatz eines Weblogs zu überzeugen. Die haben Angst, dass die Hotelgäste dort nur Kritik, aber nichts Positives äußern. Dabei zeigen die Erfahrungen beim Buchhändler Amazon, dass die Kunden sowohl positive als auch negative Kritiken verfassen.“ Besonders den PR-Abteilungen, so sein Eindruck, fällt es schwer, die Kontrolle über die Unternehmenskommunikation aufzugeben, indem sie Kommentare von Kunden und Interessenten in ihrem Blog freigeben. Der Dresdner Weblog-Berater Martin Röll hält diese Vorsicht für nicht stichhaltig: „Kritik verbreitet sich im Internet sowieso. Mit einem Blog können die Unternehmen jedoch die Diskussion beeinflussen.“ Außerdem kann jeder Blog-Betreiber Kommentare herausnehmen, zum Beispiel weil sie jemanden beleidigen oder gegen andere Strafgesetze verstoßen.

Offenbar klaffen die unterschiedlichen Kulturen der PR- und der Bloggerszene zu weit auseinander. Rölls ernüchterndes Fazit: „Ich bezweifle, dass Unternehmen bloggen können. Ich kenne kein gutes Blog, das von Marketing- und PR-Leuten geschrieben wird. Es beißt sich einfach mit den Werten der Bloggerszene.“

Ein weiterer Grund für die noch mangelnde Verbreitung sind die aus Sicht der Marketingstrategen meist niedrigen Zugriffszahlen. „Im Vergleich zur TV-Werbung ist die Verbreitung zu gering. Viele Firmen wollen in ihrer Werbeplanung mit kleinen Sachen nicht belästigt werden“, lautet die Erfahrung von Ognibeni. Noch dazu, wenn sie wie Weblogs, die ständig aktualisiert werden müssen, einen hohen Arbeitsaufwand bedeuten. Auch stellt sich so manchem die Frage, welche Informationen das Unternehmen dort einstellen soll, die nicht ohnehin schon auf anderen Kanälen kommuniziert werden.

Immerhin führen bei der SAP sogar mehrere Vorstandsmitglieder ein
„Online-Tagebuch“. Seit dem Start Mitte 2003 wurde über 75.000mal darin geblättert. Wie bei Sun führen viele Entwickler ein Weblog mit technischen Inhalten innerhalb des SAP Developer Network. Sie dürfen das während der Arbeitszeit tun, unterliegen aber internen Spielregeln und der redaktionellen Bearbeitung.

Eine Alternative zum Einrichten eines Corporate Blog ist das aktive Nutzen bestehender Blogs. So bemüht sich so manches Unternehmen, die Schreiber dazu zu bewegen, dass sie über ihr Produkt berichten. Nokia schickte zu diesem Zweck eigens neue Mobiltelefone an Blogger, die sich auf Nachrichten rund ums Handy spezialisiert haben. In anderen Fällen munkelt man, dass Firmen bekannte Blogger, deren Sites hohe Zugriffszahlen verzeichnen, bestochen haben, damit über sie positiv berichtet wird. Nach hinten ging der Schuss auf alle Fälle beim Klingeltonvertreiber Jamba los. Dessen Mitarbeiter priesen in anonymen Postings ihre Produkte in einschlägigen Blogs, flogen damit aber auf. Die vernichtend hämische Kritik verbreitete sich in der Bloggerszene in Windeseile.