Würde ein Projekt wie BBC-iCan auch in Deutschland funktionieren? Könnten ARD oder ZDF in diese Richtung aktiv werden? Die ARD hat zur Zeit keine derartigen Pläne. Schade, dabei würden die Briten doch sogar ihr Wissen teilen…

Als die britische BBC vor einiger Zeit den Start einer neuen Online-Plattform verkündete, konnte sie sich einer großen Aufmerksamkeit sicher sein: Mit iCan stellt die Rundfunkanstalt einen Kampagnen-Baukasten bereit, der es in sich hat. Je nach persönlicher Lebenslage lassen sich Kampagnen individuell planen, seien es Wünsche zur Änderung von
Software-Patenten oder die
Entfernung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Straßen Londons. Neben Tools zum Aufbauen von Online-Communities finden sich dort Hintergrundinformationen, aber auch Anleitungen, wie man als Bürger überhaupt eine Kampagne auf die Beine stellt. Durch die Rückendeckung der TV- und Radiosender der BBC kann sich iCan der nötigen Öffentlichkeit sicher sein.

Der Brite Martin Vogel ist der verantwortliche Projektleiter der BBC für das iCan Projekt. Im Interview mit Peter Bihr erläutert er, wie eine deutsche Adaption des BBC-Projekts iCan funktionieren könnte.


Peter Bihr:
Was ist das Besondere an iCan und welche Aufgabe erfüllt die Webseite?

Martin Vogel: BBC iCan ist eine – durch unsere Berichterstattung unterstützte – Webseite, die darauf abzielt, den Bürgern die ersten Schritte zu erleichtern, falls sie sich für Themen einsetzen wollen, die sie betreffen oder interessieren.

Die BBC iCan Initiative ist aus drei Gründen einmalig:

  • Sie ist die einzige mir bekannte Initiative, die umfassende Hilfsmittel zur Verfügung stellt, um Bürgerbeteiligung effektiv zu unterstützen: Sie verschafft die notwendigen Informationen, vermittelt Kontakte zu Gleichgesinnten und stellt alle erforderlichen Online-Tools zur Verfügung, die man benötigt, um eine Kampagne zu starten.
  • iCan ist unparteiisch. Viele e-democracy Projekte werden ins Leben gerufen, um eine bestimmte Idee oder gewisse Werte zu fördern. Dies führt dazu, dass die Unterstützer schlussendlich vor allem mit denen diskutieren, die ihre Weltsicht ohnehin teilen. iCan dagegen ist für alle Bürger zugänglich. So werden die Nutzer auch mit gegensätzlichen Ansichten konfrontiert, was ja viel eher dem richtigen Leben entspricht.
  • „Unterstützt durch Berichterstattung“ heißt zum einen, dass wir einem größtmöglichen Publikum die Möglichkeit nahe bringen können, das Internets als Mittel zur Bürgerbeteiligung zu nutzen. Auf der anderen Seite bieten wir unseren Zuschauern auch ein Ventil, falls sie sich zu Thematiken äußern oder engagieren wollen, die sie in unserem Programm gesehen haben. In der Vergangenheit wurden unsere Zuschauer manchmal mit einem Gefühl von Hilflosigkeit oder Frustration zurückgelassen, wenn sie gewisse Themen in den Nachrichten sahen. Jetzt können wir sie an iCan verweisen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was sie unternehmen könnten.

iCan soll keine hermetische und von der wirklichen Welt abgeschottete Web-Community sein. Vielmehr soll es den Menschen helfen, auf ihre reale Umgebung einzuwirken. So kann man iCan z.B. nach Thematik oder nach Region durchsuchen und so andere finden, die sich für das gleiche Thema interessieren.

Wir ermutigen auch die Benutzer ihre Erfahrungen im Hinblick auf bisheriges Engagement mit den anderen zu teilen, so dass diese davon lernen können. Ein gutes Beispiel dafür findet sich
hier.

Gleichzeitig versuchen wir, einen gewissen zivilisierten Verhaltenskodex zu pflegen, damit die Nutzer konstruktiv mit anderen Meinungen umgehen. So ermutigen wir beispielsweise unsere Nutzer, sich unter ihrem richtigen Namen zu beteiligen. Wir haben festgestellt, dass die Beiträge der sich beteiligenden Nutzer dann ein höheres Niveau haben, da sie sich persönlich mehr in der Verantwortung fühlen, als wenn sie ein Pseudonym benutzen.

Peter Bihr: War iCan bisher Ihrer Meinung nach erfolgreich?

Martin Vogel: Wir haben das Projekt zunächst in fünf Regionen Großbritanniens getestet und waren mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Obwohl die Web-Seite überall abrufbar ist, lag der Schwerpunkt der Aktivität eindeutig in den fünf Regionen, in denen wir auch Senderunterstützung angeboten haben. Die Leute scheinen iCan genau dafür einzusetzen, wofür es auch entwickelt wurde: Gerade für Bürgerbelange. Und sie gehen sehr gewissenhaft mit dem Medium um.

Es laufen zahlreiche Kampagnen, von denen etwa eine Hälfte lokale und die andere Hälfe nationale/internationale Zielsetzungen verfolgt. Im Moment sind wir dabei, iCan auf ganz Großbritannien auszudehnen.

Dennoch hatten wir auch kleine Probleme mit der ersten Version. Daher arbeiten wir ebenfalls an einem Update, um die Oberfläche benutzerfreundlicher zu gestalten.

Peter Bihr: Wer hatte die Idee, eine solche Plattform für bürgerschaftliches Engagement ins Leben zu rufen?

Martin Vogel: Sie entstand im Rahmen eines kreativen Brainstorming innerhalb der BBC, das auf die Evaluation unserer Politikberichterstattung folgte. Wir stellten fest, dass ein großer Teil der Bevölkerung mit dem politischen Mainstream, d.h. der Westminster-Politik, und der Berichterstattung darüber unzufrieden war.

Dennoch waren viele dieser Unzufriedenen überaus interessiert an Themen, die ihr eigenes Leben betrafen. Gleichzeitig wollten sie auch mehr Einfluss auf diese Themen haben. Viele gaben aber an, sie schreckten vor einem eigenen Engagement zurück. Hauptsächlich weil sie nicht wüssten, wo sie anfangen sollten und davon ausgingen, dass sie alleine ohnehin nichts ausrichten könnten.

Wir haben iCan ins Leben gerufen, um diese beiden Hindernisse zu beseitigen.

Peter Bihr: Wie viele Kampagnen gab es soweit und welche war die erfolgreichste?

Martin Vogel: Die Kampagnen sind nur ein Teil dessen, was iCan ausmacht. Aber wir hatten so ungefähr 600. Der Erfolg ist jedoch schwer messbar. Ich könnte jetzt kein Projekt nennen, welches ausschließlich wegen iCan in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.

Aber durch verschiedene Initiativen über iCan wurden gewisse Themen (z.B. Bodenschwellen zur Verkehrsberuhigung, der Einsatz von Kameras bei der Geschwindigkeitskontrolle, die Diskussion um die neuen Identitätskarten) ins nationale öffentliche Bewusstsein gerückt. Was die Kameras angeht, so hat der starke Widerstand in der Bevölkerung die Regierung sogar gezwungen, ihren Ansatz noch einmal zu überdenken. Es gab auch viele kleine Erfolge (wofür iCan auch hauptsächlich entwickelt wurde). So rettete z.B. eine Kampagne eine Gemeindezeitung vor der Schließung.

Peter Bihr: Gibt es Regionen, die entschieden aktiver sind als andere? Lässt sich ein Unterschied zwischen Stadt und Land ausmachen?

Martin Vogel: Die fünf Regionen, mit denen wir begonnen haben, waren Wales, Bristol, Sheffield, Cambridge and Leicester. Wie bereits gesagt, waren diese aktiver als der Rest des Landes – was zeigt, dass der Einfluss der Berichterstattung auf die Entscheidung, sich über iCan zu engagieren, enorm ist.

Abgesehen von diesen von BBC unterstützten Regionen war die Nutzung in den Städten am deutlichsten. London ist bei weitem die aktivste Gegend, was sowohl ihrer Größe als auch der hohen Internet-Durchdringung geschuldet ist. Andere aktive Gegenden waren Manchester, Glasgow und Edinburgh.

Peter Bihr: Gab es auch Fälle von Missbrauch?

Martin Vogel: Nein, nichts nennenswertes. Wir haben insgesamt recht
liberale Regeln, und an die halten sich die Nutzer im Großen und Ganzen auch.

Peter Bihr: Die angelsächsische Politiktradition ist von vielen Besonderheiten geprägt. Glauben Sie, dass iCan als Modell auf andere europäische oder sogar asiatische Staaten übertragbar ist?

Martin Vogel: Das kann ich nicht wirklich abschätzen. Es ist natürlich so, dass iCan speziell für die Bedingungen in Großbritannien entwickelt wurde. Wir haben ausführliche ethnographische Nachforschungen angestellt, um zu verstehen, welche Möglichkeiten und Hindernisse sich darstellen, wenn Bürger versuchen, in unserem Land etwas zu ändern.

Dies hat viel mit dem in der Bevölkerung stark ausgeprägten Verständnis zu tun, dass politische Entscheidungsträger Rechenschaft ablegen müssen. Auf der anderen Seite akzeptieren auch die Entscheidungsträger, dass sie die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen. Ich weiß nicht, inwieweit unser Modell von iCan in andere Staaten übertragen werden kann.

Die Mindestvoraussetzung ist jedenfalls eine gesunde Demokratie. Aber ich denke, dass es möglich ist, mit einer ähnlichen Herangehensweise und dem gleichen Entwicklungsprozess etwas zu entwerfen, das in die jeweilige politische Tradition passt. Das Schlüsselelement bei uns, das in anderen Ländern womöglich schwer zu nachzubilden ist, ist eine öffentliche Rundfunkanstalt, die es als ihre Pflicht betrachtet, das System unparteiisch zu betreiben und es entsprechend zu fördern.

Peter Bihr: Wie viel Arbeit hat die BBC in das Projekt gesteckt und wie viel hat iCan letztlich gekostet?

Martin Vogel: Es war ein ziemlicher Aufwand zunächst einmal herauszufinden, was zu tun ist und vor allem welches für die BBC der richtige Weg dahin war. Wir hatten keine Erfahrungen mit solchen Initiativen und unsere Hauptsorge bei der Organisation von iCan war, die Neutralität von BBC nicht zu gefährden.

Für uns ist die jetzige Form von iCan jedenfalls noch nicht das Ende der Fahnenstange. Es hatte immer den Charakter eines Experimentes, das sich weiter entwickeln muss, während wir mehr darüber erfahren, wie die Bürger das System nutzen.

Unser Ansatz war von Beginn an, klein anzufangen und iCan dann Stück für Stück zu erweitern. Dabei können wir das Wissen einfließen lassen, das wir in den verschiedenen Phasen des ganzen Prozesses gelernt haben.

Insgesamt haben wir etwa ein Jahr an der Webseite gebastelt, bevor sie gelauncht wurde. Über die Kosten darf ich Ihnen aber nichts sagen.

Peter Bihr: Sind die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ARD oder ZDF bereits an Sie herangetreten, um sich Tipps für ein vergleichbares Projekt zu holen? Würden Sie beim Aufbau eines deutschen iCan mithelfen wollen?


Martin Vogel:
Bisher ist noch kein deutscher Sender an uns heran getreten. Aber wir sind jederzeit bereit, unsere Erfahrungen weiterzugeben.

Peter Bihr: Vielen Dank für dieses Interview!