Nach Karel van Miert und Mario Monti legt sich nun auch die neue EU-Wettbewerbshüterin, die Niederländerin Neelie Kroes, mit der Bundesregierung an. Grund ist das alte Thema öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Deutschland.
Da hatten schon Kroes’ Vorgänger dran herumgemäkelt, die Niederländerin scheint nun aber Ernst machen zu wollen. Neben Deutschland haben auch die Niederlande und Irland einen Brief der Kommissarin bekommen. Die bemängelt gewisse Ausprägungen des Gebührensystems für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den drei Staaten.
Neelie Kroes macht schon in ihrem so genannten Artikel 17 Schreiben an die Regierungen klar, was sie von den derzeitigen Regelungen hält: “Nach Prüfung der Behauptungen verschiedener Beschwerdeführer ist die Kommission zu der vorläufigen Auffassung gelangt, dass das gegenwärtige Finanzierungssystem in diesen Mitgliedstaaten nicht mehr in Einklang mit Artikel 87 des EG-Vertrages steht, wonach die Mitgliedstaaten keine den Wettbewerb verfälschenden Beihilfen gewähren dürfen.”
Beschwerdeführer, das war im Fall Deutschlands der mächtige Verband privater Rundfunk- und Telekommunikationstreibender (VPRT). Der gilt als Dauernörgler gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dieses Mal haben die organisierten Privatfunker Anstoß an den Internetauftritten der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland genommen. Die würden nicht dem Grundversorgungsauftrag entsprechen, argumentiert der VPRT. Freilich hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit mehrmals deutlich gemacht, dass es die sehr enge Auslegung des Grundversorgungsprinzips durch den VPRT nicht teilt.
Zählt Internet zur Grundversorgung?
Stattdessen haben die Privatsender offenbar eine Verbündete in Brüssel gefunden. Jedenfalls verlangt Neelie Kroes, dass die Bundesregierung genau darlegt, warum die vorhandenen Internetauftritte von ARD, ZDF und den Dritten durch den Grundversorgungsauftrag abgedeckt seien. Wären sie das nämlich nicht, wären die Online-Angebote eine unerlaubte Quersubventionierung, weil die deutschen Fernsehgebühren den Sendeanstalten nur bei der Erfüllung ihres Grundversorgungsauftrags helfen dürfen.
Die Niederländerin fordert von den drei Staaten konkrete Maßnahmen:
* eine eindeutige Definition des Grundversorgungsauftrags
* Führung getrennter Bücher, so dass zwischen den öffentlich-rechtlichen und sonstigen Tätigkeiten unterschieden werden kann
* geeignete Mechanismen, um eine Überkompensation der öffentlich-rechtlichen Tätigkeiten zu verhindern
* Gründung einer Aufsichtsbehörde, die diese Grundsätze überwacht
Die Bundesregierung kann nichts machen
Die Bundesregierung ist freilich der falsche Ansprechpartner. Denn Rundfunkpolitik ist in Deutschland Ländersache. Also wird man das Problem an die Ministerpräsidenten weiterleiten. Die müssten einen neuen Rundfunkstaatsvertrag aushandeln, sofern sie die Bedenken der EU-Kommission teilen. Und das ist nicht unbedingt wahrscheinlich. In den Rundfunkanstalten selbst formiert sich schon Protest gegen die Forderungen aus Brüssel.
Auch viele Spitzenpolitiker sympathisieren mit dem derzeitigen öffentlich-rechtlichen System. Zudem die Sender in den letzten Monaten schon im vorauseilenden Gehorsam ihre Internet-Angebote im Sinne der Kommission entschärft haben. So finden sich heute nur noch Programm begleitende Angebote im World Wide Web. Genau das ist auch durch höchstrichterliche Entscheidungen in der Bundesrepublik gedeckt.
Kompromiss wahrscheinlich
Experten gehen deswegen davon aus, dass im Falle Deutschlands der Streit zwischen Kommission und Regierung mit einem Kompromiss endet. Danach definieren die Länder den Grundversorgungsauftrag konkreter, versichern zudem, dass die Sender lediglich Hintergrundinformationen zu ihrem Programm ins Internet stellen. Mehr Eingeständnisse, so viel ist sicher, wird Neelie Kroes auf gütlichem Wege nicht erreichen. Zudem in Deutschland bis auf den VPRT ein breites Bündnis hinter den öffentlich-rechtlichen Anstalten steht.
“Die Kommission scheint deren Relevanz für die Demokratie, die das Bundesverfassungsgericht mit der verfassungsrechtlichen Bestands- und Entwicklungsgarantie gewürdigt hat, nicht verstanden zu haben”, schimpft etwa Michael Konken, Chef des Deutschen Journalistenverbandes (DJV).
Ist die EU überhaupt zuständig?
In der Tat verdeutlicht der jetzige Streit erneut die unterschiedlichen Auffassungen, die in puncto europäischer Medienpolitik schon seit Jahren aufeinander prallen. “Die Zuständigkeit der EU in dieser Frage ist fraglich”, kritisiert nicht nur der DJV. Zweifel an der Kompetenz der EU in Sachen Rundfunk sind weit verbreitet.
Dabei ist das Definitionssache: die Kommission argumentiert, der Rundfunk sei ein Wirtschaftsgut. Damit fiele er unter die grundsätzlichen Bestimmungen für den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft. In Deutschland wiederum ist Rundfunk eben ein besonderes Gut, weil es als unabdingbar für eine funktionierende Demokratie gilt. Demnach wäre Rundfunk kein normales Wirtschaftsgut, sondern irgendwo im Spektrum zwischen Kultur- und Wirtschaftspolitik angeordnet. Und in Fragen der Kulturpolitik hat die EU eben ausdrücklich keine Kompetenzen.
Im Fall des jüngsten Briefes hat Deutschland jedenfalls vier Wochen Zeit auf die Bedenken der Kommissarin einzugehen. Sollte man sich in den nächsten Wochen mit der Kommissarin einigen, wird sie den Fall zu den Akten legen. Geht es nach ARD und ZDF, wird es so kommen. Denn, so die Sender, die Bedingungen der Kommissarin seien längst erfüllt.
Ursprünglich erschienen am 04.03.2005 bei
europa-digital.de