MauerbluemchenRechtsextremismus im Netz ist kein neues Phänomen. Viele rechtsradikale Gruppierungen  nutzen insbesondere das Social Web, um Informationen zu verbreiten und Mitglieder zu akquirieren. Mit modernen und harmlos erscheinenden Angeboten versuchen sie, Jugendliche auf Facebook, Twitter und Co. zu ködern. Am Dienstag präsentierte jugenschutz.net den Bericht „Rechtsextremismus online 2012“ in Berlin.
Sie nennen sich Mauerblümchen, Zukunftskinder oder Pinselstriche: Die Webangebote der rechtsextremen Szene sind als solche auf den ersten Blick oft nicht mehr zu erkennen. Und das macht sie so gefährlich. Denn auf diese Weise versuchen Neonazis, Jugendliche mit zeitgemäßen Angeboten in angesagtem Design und kaschiertem Rassismus zu ködern.  Am vergangenen Dienstag erläuterte jugendschutz.net , die länderübergreifende Stelle für Jugendschutz im Internet, gemeinsam mit der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus  und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)  die neuen und alten Strategien der rechten Propaganda im Netz. Anlass war die Veröffentlichung des Berichts „Rechtsextremismus online 2012“, in dem die aktuellen Trends rechtsextremer Internetnutzung aufgezeigt  werden.

Social Web: Immer mehr rechtsextreme Angebote auf Facebook, Twitter und Co.

Der auffälligste Trend rechter Online-Propaganda: Die Aktivitäten verlagern sich immer mehr von den klassischen, statischen Websites hin zu Beiträgen in sozialen Netzwerken. „Facebook und YouTube spielen für die Ansprache von Jugendlichen die wichtigste Rolle“, berichtete Stefan Glaser, Leiter des Arbeitsbereichs politischer Extremismus und stellvertretender Leiter von jugendschutz.net. Auch Twitter gewinne zur Mobilisierung und Verbreitung von Informationsmaterial immer größere Bedeutung. 2012 wurden 196 rechtsextreme Kanäle dokumentiert, das ist eine Steigerung um 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt fanden sich im Social Web sogar fast 50 Prozent mehr Beiträge der rechtsextremen Szene als noch 2011. Die Vorteile des Social Web: Es ermöglicht eine großflächige, niedrigschwellige Propaganda und erschließt am einfachsten neue, vor allem jugendliche Zielgruppen.
Auch mobile Dienste gewinnen an Relevanz: Neben Apps mit rechtsradikalem Inhalt werden mittlerweile auch QR-Codes zur Weiterleitung von Information genutzt. Und ein weiterer Trend zeichnet sich ab: Die Szene vernetzt sich stärker und bündelt ihre Online-Aktivitäten. Ein Großteil der rechtsextremen Web-Angebote liegt dabei auf Servern in den USA. Vor allem der Konzentrationsprozess im Bereich Social Web trägt zu dieser Entwicklung bei. 70 Prozent aller Sichtungen von rechtsextremen Web-Angeboten bezogen sich auf US-Dienste wie beispielweise Facebook.

Keine plumpe Propaganda mehr: Virales Marketing und moderne Blogs

Auch das Auftreten der Rechtsextremen im Netz hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt: „Moderne Neonazis präsentieren sich als Menschenfreunde, die sich ‘kümmern’‚ und der jungen Generation modische Styles, Action und Events bieten“, erläuterte Glaser. Mit Angeboten wie Mauerblümchen  tritt eine neue Generation von Weblogs auf den Plan, die Jugendliche mit einem modernen Outfit ansprechen und sich als zeitgemäße Alternative zur Demokratie darstellen. Durch multimedial und erlebnisorientiert gestaltete Online-Auftritte, werbewirksame Slogans und Symbole suchen viele rechtsextreme Online-Angebote Anschluss an den Mainstream. Eine Mischung aus Fotos, Videos, Jingles und hippen Werbegrafiken soll dabei vor allem junge Menschen ansprechen. Zu diesem Zweck nutzen rechtsradikale Grupperungen zunehmend angesagte Blogging-Plattformen, wie beispielweise tumblr.  Die rechtsextreme, demokratiefeindliche und antipluralistische Gesinnung ist hier oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Manchmal geben die Betreiber einer rechten Seite sogar vor, sich gegen die rechtsextreme Szene zu stellen.
Zwei weitere Entwicklungen lassen sich erkennen: Islamfeindliche Webseiten verzeichnen einen massiven Zuwachs. Dort versuchen Neonazis, beispielsweise durch Kampagnen gegen den Bau von Moscheen, Anschluss an die breite Masse zu finden. Außerdem tarnt sich Rechtsextremismus im Netz zunehmend als schwarzer Humor. Unter der Kategorie „Umstrittener Humor“ werden beispielsweise Homosexuelle, Behinderte oder Juden herabgewürdigt. Rechtsextreme hetzen im Netz außerdem immer aggressiver gegen Minderheiten. Dabei versuchen sie, den unverhohlenen Hass und die massiven Gewaltaufrufe über sogenannte sichere Häfen im Internet zu verbreiten. vk.com, ein russisches Online-Netzwerk, ist dabei besonders beliebt.

Was tun?

Jugenschutz.net hat es sich zur Aufgabe gemacht, so viele rechtsextreme Angebote wie möglich aus dem Netz entfernen zu lassen. In den Fällen, in denen die Verantwortlichen in Deutschland ansässig sind, gibt jugendschutz.net die Fälle an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ab. In den meisten Fällen aber werden Provider und Plattformbetreiber im In- und Ausland kontaktiert und zur Löschung aufgefordert. Der gute Draht zu den Global Playern erweise sich dabei als effektives Mittel, so Thomas Krüger, der Präsident der bpb, gestern in Berlin. Generell haben sich die Plattformbetreiber als sehr kooperativ erwiesen.  Allerdings besteht weiterhin Verbesserungsbedarf. Gelöschte Inhalte können beispielsweise von YouTube-Nutzern einfach und schnell erneut hochgeladen werden. Hier müssten technische Nutzmaßnahmen greifen.
Eine weitere Schwierigkeit: Durch das vordergründig „harmlose“ Auftreten von Neonazis im Netz lassen sich häufig keine Rechtsbrüche mehr nachweisen. Gleichzeitig bewegen sich viele rechtsextreme Beiträge im Rahmen der Netiquette der jeweiligen Online-Plattformen. Das erschwert die Löschung der rechtsextremen  Web-Angebote. Krüger sieht hier insbesondere die Netzgemeinschaft in der Pflicht: „Wenn wir es mit dem Internet als freiheitlichem Medium ernst meinen, sind User unerlässlich, die sich mit Minderheiten solidarisieren, sich gegenseitig unterstützen und Naziparolen mit Argumenten die Stirn bieten.“  Außerdem gelte es, lebensweltnahe Präventionsangebote zu entwickeln, die Kinder und Jugendliche für rechte Propaganda im Netz sensibilisieren. Hier sieht Krüger die Politik ebenso wie die Schulen und andere Bildungsstätten in der Verantwortung.
Bild: gynti_46 (CC BY-NC-SA 2.0)

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