Die NATO will noch in diesem Sommer ein neues Zentrum für Internet-Verteidigung errichten. Sie reagiert damit auf Drängen des estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves, dessen Land im vergangenen Jahr Ziel einer beispiellosen Internetattacke wurde. Sitz des neuen „centre of excellence on cyber defense“ soll Tallin werden.

 

Internet-Krieg 2.0

Sieben NATO-Nationen, darunter Deutschland, unterzeichneten am 14. Mai 2008 ein Abkommen zur Errichtung eines neuen Zentrums zur Abwehr von Internetangriffen. Es ist somit das neuste von zehn NATO-Spezialzentren (COE) weltweit. Ein 30-köpfiges Expertenteam soll von der estnischen Hauptstadt Tallin aus Hackerangriffen entgegentreten.
Der Beschluss, der jüngst auf dem NATO-Gipfel in Bukarest vereinbart wurde, tritt ein Jahr nach dem Cyber-Angriff auf private und öffentliche Einrichtungen Estlands in Kraft. Der baltische Staat musste damals um Intervention der NATO bitten, nachdem neben Banken und Behörden, selbst Notrufnummern tagelang lahmgelegt wurden.

Estland im Fadenkreuz von Hackern

Von wo aus die Attacken koordiniert wurden, ist bis dato ungeklärt. Sicher ist nur, dass es sich um einen sog. DoS-Angriff („Dienstverweigerung“) handelte. Dabei werden einzelne Adressen mit einer gewaltigen Anzahl von Anfragen bombardiert, in der Folge werden die Server überlastet und stürzen ab. Privatrechner aus der ganzen Welt wurden über ein Botnetz gesteuert und an den Angriffen beteiligt. „Jemand muss sehr viel Geld bezahlt haben, um sich den Service von Internetverbrechen leisten zu können.“, resümiert der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves in der FAZ (06/2007).
Vermutungen, Russland hätte die Attacken geplant, haben sich bislang nicht bestätigt. Im Vorfeld hat die Verlegung eines sowjetischen Mahnmals für viel Unmut in der russisch-stämmigen Bevölkerung Estlands gesorgt. Trotzdem eine Verbindung zum Kreml nicht nachgewiesen werden konnte, fordert Ilves ein Umdenken in der Appeasement-Politik gegenüber Russland und konstatiert manchen EU-Staaten Sorglosigkeit im Umgang mit Moskau.

„Akt der Aggression“?

Estland gilt als das internetfreundlichste Land Europas, in dem sogar Wahlen elektronisch möglich sind. Vorwürfe, das Land sei dadurch besonders verwundbar, streitet Ilves ab. Im Gegenteil: „Wir waren vorbereitet; nicht auf dieses Ausmaß, aber trotzdem waren wir vorbereitet.“. Auch juristische Vorbereitungen seien notwendig, stammen die NATO-Verträge noch aus Zeiten, in denen PCs eher seltener denn alltäglicher Gebrauchsgegenstand waren. Seiner Ansicht nach erfüllen auch Internetangriffe den völkerrechtlichen Tatbestand der Aggression: „Wenn jemand die estnische Stromversorgung lahmlegt, indem er unsere Kraftwerke bombardiert, dann ist das ein Akt der Aggression. Wenn er dasselbe macht, indem er die Computer angreift, was ist es dann?“.