Seit Mai ist der Digitalpakt Schule in Kraft. Den Ausbau der digitalen Infrastruktur an Schulen, den der Bund in den nächsten 5 Jahren umsetzen möchte, begrüßen wir sehr. Dass es zeitliche Verzögerungen in der Umsetzung geben würde, war abzusehen. Aktuell haben nur 9 von 16 Bundesländern bereits einen Plan, wie sie das Geld ausgeben möchten.
Die weitaus größere Herausforderung ist aus Sicht eines Bildungsprojekts wie “aula”, das wie viele andere seit Jahren Basisarbeit im Bereich zeitgemäßer, digitaler und demokratischer Bildung leistet, eine andere: Kommt das Geld dort an, wo es gebraucht wird?
Digitale Infrastruktur ist eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung für zeitgemäße Bildung. Die Medienstrategie einer Schule braucht nicht nur technische, sondern pädagogische und kompetenzorientierte Konzepte. Das bestätigen sowohl Lehrerinnen als auch zahlreiche Vertreterinnen der erweiterten Bildungscommunity.
Aber auch damit nicht genug – auch ein Mehr an Medienkompetenz und Informatikunterricht ist nicht ausreichend, um der Transformation der Gesellschaft zu begegnen. In einer Informationsgesellschaft, in der die Schule kein Informationsmonopol mehr hat, muss sie nicht in erster Linie Stoff vermitteln, sondern, wie man sich Stoff aneignen und aus einem Überangebot filtern kann.
Und wie man als sehr gut informierter Mensch verantwortungsvolle Entscheidungen für sich und die Gesellschaft trifft. Denn alle Berufstätigkeiten, die nicht automatisiert werden, werden mit Entscheidungen zu tun haben. Und demokratisch mündige Menschen zu befähigen, ist eine der Kernaufgaben der Schule.
Die Digitalisierung kann dazu beitragen, dass Schulen zu einem Ort offener Kommunikation werden, des individuellen und intrinsischen Lernens, der Zusammenarbeit, der Kreativität und des Austauschs. Digitalisierung kann aber auch für mehr standardisierte, automatisch auswertbare Prüfungen sorgen, die dann gar keine Kreativität in den Antworten zulassen. Sie kann Lernende und Lehrende stärker überwachen und nach Kennzahlen bewerten.
In welche Richtung die Reise geht, hängt davon ab, wer den Prozess gestaltet und an welchen Grundsätzen sich die jeweiligen Akteur*innen orientieren.
Es ist kein Geheimnis, dass gewinnorientierte Unternehmen neben dem Anspruch, gute Bildungsangebote zu schaffen, ein Interesse daran haben können, möglichst zentralistische Infrastrukturen zu bauen, möglichst viele Daten zu erheben und Lernprozesse möglichst zu kontrollieren – denn so können sie ihren Gewinn steigern und Benutzer dauerhaft – auch nach der Schulzeit – an sich binden. Die Motivation, Geld verdienen zu müssen, kann in Konflikt kommen mit der Absicht, gute offene und freie Bildungsangebote zu machen.
Wenn man aber Bildung, egal ob mit digitalen oder anderen Mitteln, als Menschenrecht versteht, ist die Offenheit und Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen ein wichtiger Grundsatz von Bildung. Und so sind es gemeinnützige Vereine, NGOs, Ehrenamtliche und engagierte Lehrer*innen, die Konzepte und praktische Lösungen erarbeiten, die unabhängig, offen und frei von finanziellen Interessen sind. Sie entwickeln zeitgemäße Bildungskonzepte so, wie ihre Entwicklung eigentlich nur gelingen kann: dezentral und bottom up. Ihre Vielfalt ist das Kapital der Zukunft. Doch der Mangel an finanziellem Interesse ist leider auch die Hürde, die ihrer aller Leben schwer macht. Denn Projektförderung sowohl durch staatliche Institutionen, als auch durch viele Stiftungen, ist meist nur auf Anschubförderung ausgelegt.
In “Fehlbedarfsfinanzierungen” sollen gemeinnützige Vereine und Privatpersonen 10-25% ihrer Projekte selbst tragen. Aus welchen Mitteln, bleibt weitestgehend unklar.
Nach einem oder zwei Jahren, so wird offenbar angenommen, haben die Projekte dann ein Businessmodell und finanzieren sich aus eigener Tasche. Oder man geht davon aus, dass die Prozesse, die durch die Anschubfinanzierung gestartet wurden, von alleine weiter laufen. Beide Annahmen führen dazu, dass Vereine und Organisationen gezwungen sind, von Jahr zu Jahr mehr als die Hälfte ihrer Energie und Bemühungen in Fundraising zu binden. Projekte, die Zeit und damit auch Geld für Ausweitung, Weiterentwicklung oder einfach Kontinuität ihrer wirkungsvollen Arbeit bräuchten, sind so gezwungen, immer wieder neue Initiativen zu starten, um dem Innovations- und Erstförderungszwang gerecht zu werden.
Das ist nicht nachhaltig und eine Verschwendung der wichtigsten Ressourcen, die wir haben. Zusammen mit Vorfällen fragwürdiger Vergabepraxis von Großprojekten wie im Fall “Haba Digitalwerkstatt” aktuell in NRW,entstehen bei vielen Akteuren Frust und finanzielle Unsicherheit, die sie zum Aufhören zwingen.
Mündigkeit durch Mittel zu fördern, die selbstverantwortliches Arbeiten erlauben, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur gesamtgesellschaftlich finanziert werden kann.
Wir wünschen uns, dass Ministerien und Stiftungen Strukturen bauen, durch die sie all die vielen engagierten Menschen in diesem Land besser erreichen, sie mit Lehrenden vernetzen können und ihnen dauerhafte, zielgerichtete Förderung zukommen lassen, wenn sich ihre Projekte als erfolgreich und nützlich erweisen. Dabei ist es wichtig, nicht nur aktuelle und medienrelevante Themen zu bearbeiten, weil das Presse bringt. Phänomene und Bewegungen wie “Hatespeech”, “Fake News” oder “Fridays for Future“ tauchen zwar im Nachrichtenzyklus punktuell auf, sind aber in Wirklichkeit Folgen langfristiger Herausforderungen, die wiederum selbst kaum angegangen werden. Wir wünschen uns Mut zur Nachhaltigkeit und Langfristigkeit. Nur so können wir als Gesellschaft notwendige grundlegende Veränderungsprozesse in der Bildung stemmen. Nur so bleiben wir eine offene, demokratische, mündige Gesellschaft.
Photo by: Mert Guller on Unsplash
Text: CC-BY-SA 3.0