Sein Name trendet seit Tagen auf Twitter: der reichste Mensch der Welt, Elon Musk, hat vergangene Woche Twitter gekauft oder vielleicht sogar kaufen müssen. Seitdem herrscht große Unruhe auf der Plattform und rechte Trolle treiben in deutlich größerem Ausmaß ihr Unwesen. Schon vor der offiziellen Übernahme entbrannte eine Diskussion, was im Fall eines Musk-Takeovers passieren könnte: wird Twitter schlussendlich auseinanderbrechen? Sollte man sich nach einer alternativen Plattform umschauen und wenn ja, gibt es überhaupt eine?
Nach langem Hin und Her: Musk kauft Twitter
Um verstehen zu können, warum der Twitterkauf durch Elon Musk überhaupt so ein großes und kontroverses Thema ist, ist ein Blick in die Vergangenheit nötig: im März `22 startete Musk auf Twitter eine Umfrage, ob sich die Plattform rigoros an den demokratischen Grundsatz der Meinungsfreiheit hält. Etwa 70% der teilnehmenden User*innen beantworteten diese Frage mit “Nein”. Kurz danach reagierte Elon Musk mit dem Kauf von Twitteranteilen, so dass er zum größten Aktionär der Plattform wurde. Plötzlich hieß es dann, dass er Twitter komplett kaufen wollte. Dann wieder doch nicht. Nach einem großen Hin und Her, dass sich über Monate zog, und einem angedrohten Gerichtsverfahren, kaufte Elon Musk in der vergangenen Woche tatsächlich Twitter für ungefähr 44 Milliarden US-Dollar.
Kritiker*innen befürchten einen starken Anstieg von Hass und Hetze
Musk kündigte schon im Voraus an, die “Free Speech” auf Twitter stärken zu wollen, und möglichst alle Standpunkte zuzulassen, auch solche, die etwa in Deutschland strafbar wären. Dass er selbst etwa in der Vergangenheit gewerkschaftliche Bestrebungen unterdrückt hat, alle Parodieaccounts von sich selbst sperren lässt oder die Ankündigung, auf Twitter wieder shadow-banning einführen zu wollen, vergisst der leidenschaftliche Vertreter der “free speech” dabei wohl. Zudem steht er den rechten Republikaner*innen nahe, was Kritiker*innen dazu veranlasst, sich zu sorgen, dass diese auf Twitter unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit Hass und Hetze verbreiten könnten und keine Moderation mehr stattfindet. Des Weiteren erklärte Musk, dass alle Accounts, die aus seiner Sicht wegen “zweifelhafter Gründe” gesperrt wurden, aus dem “Twittergefängnis” befreien zu wollen. Eine große Frage, die sich im Anschluss aus dieser Ankündigung heraus ergibt, ist die Frage, ob die Twitter-Sperre von Ex US-Präsident Donald Trump durch Musk aufgehoben wird. Dessen Twitter-Account, auf dem er äußerst aktiv und auch hetzerisch war, wurde nach dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 gesperrt. Elon Musk bezeichnete die Entscheidung, Trumps Zugang zu sperren als “falsch und dumm”. Trump selbst freute sich über die Übernahme Twitters und äußerte sich positiv über den neuen Besitzer, jedoch erklärte er, dass er auf seiner eigens gegründeten Plattform “Truth Social” bleiben wolle. Dort folgen ihm aber nur ein Bruchteil seiner 90 Millionen Twitter-Follower*innen.
Elon Musk ist neben seinem neu erworbenen CEO-Posten bei Twitter auch Eigentümer verschiedener anderer Firmen, wie etwa Tesla oder SpaceX, um nur die größten zu nennen. Auch das bereitet Kritiker*innen Sorgen: es ist kaum einschätzbar, wie Musk reagieren würde, wenn eine Diktatur, wie etwa China, ihn zum Löschen eines Tweets auffordert, oder persönliche Daten von User*innen einfordert und damit droht, sonst den Markt für seine Firmen zu schließen. Wie sich diese enorme Machtkonzentration auf eine Person auswirken wird, wird sich in Zukunft zeigen.
Weitreichende Kündigungen und ein zahlungspflichtiger blauer Haken
Was sich aber tatsächlich schon bewahrheitet hat, ist die Streichung der Hälfte aller 7.500 Arbeitsstellen in dem Social Media Konzern. Musk entließ direkt nach seiner Übernahme die gesamte Chefetage, inklusive CEO Parag Agrawal. Zusätzlich löste er das Sicherheitsteam und das sogenannte Meta-Team auf, welches dafür verantwortlich war, Rassismen oder andere Diskriminierungsformen auf der Plattform und im Algorithmus zu identifizieren und zu entfernen.
Aufgrund dieser bereits vorgenommenen Änderungen und den Befürchtungen bezüglich unkontrollierter Hetze pausierten einige Werbepartner*innen Twitters ihre Anzeigenschaltung auf der Plattform. Da sich der Konzern zu großen Teilen aus Werbeeinahmen finanziert, könnte dies zu einem existenziellen Problem führen.
Eine weitere Änderung, die Elon Musk in einigen Ländern seit Anfang November eingeführt hat, ist das Bezahlabonnement für verifizierte Profile. Bald soll das Update global verfügbar sein. Heißt also, dass Personen, die ihren “blauen Haken” behalten wollen, in Zukunft 8 Dollar pro Monat dafür an Twitter zahlen sollen. Musk begründete dies damit, dass es so zu weniger Fakeaccounts und somit zu weniger Fakenews und Hassrede kommen würde und infolgedessen auch zu mehr Meinungsfreiheit. An dieser Stelle sollte man sich aber die Frage stellen: was ist diese erkaufte Meinungsfreiheit dann noch wert?
Bleiben oder gehen? Und wenn gehen, wohin?
Nach der Übernahme kündigten vieler User*innen an die Plattform verlassen zu wollen. Viele Medienschaffende sehen sich jedoch auch in der Verantwortung, Twitter nicht rechten Trollen und Hass zu überlassen. So schreibt etwa der Journalist Georg Restle:” Hier bleiben. Solange demokratischer Disput noch möglich ist, Unterdrückte noch Stimmen haben, Ungehörte noch gehört werden, der Hass nicht gesiegt hat. Es braucht Gegenstimmen. Auch hier. Ich bleibe.” Viele teilen die Einstellung, dass mit großer Reichweite auch große Verantwortung kommt. Ob alle, die angekündigt haben, die Plattform zu verlassen auch wirklich gehen, werden die nächsten Wochen zeigen und wird auch maßgeblich davon abhängen, wie Elon Musk Twitter führt.
Dass sich sogar der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen Volker Türk in Form eines offenen Briefes an Elon Musk wendet, um diesen aufzufordern, die Menschenrechte auf Twitter zu achten, verdeutlicht die Relevanz der Plattform. Nicht alles, was im virtuellen Raum geschrieben wird, bleibt auch dort, sondern kann weitreichende Auswirkungen auf reale Situationen haben. Während des arabischen Frühlings etwa organisierten sich Demonstrierende über Twitter. Auch die blacklivesmatter-Bewegung fand sich über die Plattform zu Demonstrationen gegen Rassismus zusammen. Und auch in der aktuellen Situation im Iran spielt die Kommunikation über das Netzwerk eine bedeutende Rolle. Vor allem viele Journalist*innen tummeln sich auf der Plattform und teilen fast in Echtzeit das Weltgeschehen und ihre Gedanken dazu. Twitter ist in den letzten Jahren äußerst relevant für das sozial-politische Geschehen auf dem gesamten Globus geworden.
Also was passiert, wenn Twitter tatsächlich an die Wand gefahren wird? Welche Alternativen hätten die User*innen? Einer der größten Gewinner der Übernahme ist die Non-Profit-Plattform Mastodon. Alleine am Tag nach dem Verkauf waren ca. 70.000 Neuanmeldungen zu verzeichnen. Oberflächlich ähnelt Mastodon Twitter stark, jedoch ist ihre Struktur dezentral, was so viel heißt, dass Mastodon aus sehr vielen kleinen Plattformen besteht und nicht von einem großen Unternehmen geleitet wird. Das klingt erstmal vielversprechend, da eine Machtkonzentration auf eine Person, wie es jetzt im Falle Twitter ist, ziemlich unwahrscheinlich ist. Jedoch ist die Plattform deshalb auch ganz anders aufgebaut als Twitter und ziemlich komplex. Zudem ist Mastodon sehr fehleranfällig und instabil und würde die Masse an User*innen, die Twitter aktuell hat, nicht verkraften. Eine tatsächliche Twitteralternative gibt es nicht. Je nachdem, für was man Twitter nutzt, könnten sich die Benutzer*innen auf verschiedene Plattformen, wie etwa Instagram, reddit oder tumblr aufteilen.
Wie es mit Twitter weitergeht, ist bisher schwer einzuschätzen. Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Diskussion um die Plattform äußerst kontrovers ist, so wie ihr neuer Geschäftsführer und Eigentümer selbst auch. Ob sich eine neue Alternative auftut oder die treuen Twitter-User*innen die Plattform “retten” können, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.
Text: CC-BY-SA 3.0
Foto by: Souvik Banerjee on unsplash