Netz-Journalist Evgeny Morozov, bekannt und umstritten für seine scharfe Kritik an Überwachung, Netzkultur und technologischem Wandel, äußerte sich diese Woche in einem Interview auf heise online zu den Gefahren einer ökonomischen Prägung und Vereinnahmung durch neue Technologien. Leider stellte er sich kaum der Frage, warum es angesichts dessen nicht gelingt, die Menschen von seinen Positionen zu überzeugen und für diese Problematiken zu sensibilisieren.
Ziel von Morzovs Schelte war ein weiteres Mal die „New Economy“ im Silicon Valley, die er im Hinblick auf ihr Bedrohungspotenzial auf eine Stufe mit der geheimdienstlichen Überwachung stellte. Aber auch der Staat und die Internet-User, die Verantwortung und Problemlösungskompetenzen zunehmend an Wirtschaftsunternehmen abgeben würden, trügen zu dieser Entwicklung bei.
Die privatwirtschaftliche Verfügung über unsere Kommunikationsmittel stellt für ihn ein Symptom unserer „Kapitulation gegenüber der Logik der Privatisierung und des Neoliberalismus“ dar. Im Zuge dessen überließen wir private und staatliche Entscheidungen zunehmend Datenberechnungen, anstatt darüber nachzudenken, wie diese Probleme in die Welt kämen. Die wirtschaftlichen Problemlösungen würden sich lediglich auf die „niedrig hängenden Früchte“ konzentrieren und eine vertiefte Auseinandersetzung mit Problemen im Zuge dessen verdrängen.
Seine eigene Aufgabe sieht der in den USA lebende Buchautor nun auch darin, Bewusstsein zu schaffen für diese Problematik und zentrale Fragen gesellschaftlicher Gestaltung zu repolitisieren. Dazu sei es auch notwendig, den Diskurs über digitale Technologien zu verändern. Auf sprachlicher Ebene befindet er Phrasen wie die „Freiheit des Internets“ als untauglich, da sie einerseits zu mehrdeutig und unverständlich seien und andererseits eine falsche Sicht auf Technologien einnehmen würden: „Es gibt keinen virtuellen Raum, es gibt keinen Cyberspace. Es gibt nur eine Welt.“ Für ihn ist bereits die Differenzierung zwischen Internet und Nicht-Internet problematisch. Bereits in seiner Replik auf Martin Schulz‘ Beitrag im Februar hatte der Publizist gefordert, mit der Mystifizierung des Internets zu brechen. Diese verweigere sich dem Umstand, Technik als der Gesellschaft eigenen Bestandteil zu begreifen. Technik entwickele sich unter spezifischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die wirtschaftlich und politisch vermachtet seien, und sei deshalb zu keinem Zeitpunkt frei oder neutral.
„Die Beweislast liegt nicht auf meiner Seite“
So wichtig es ist, hin und wieder am Fortschrittsdogma und der Internet-Euphorie zu kratzen, muss aber dennoch reflektiert werden, warum diese eine so große Anziehungskraft auf die Menschen ausüben und warum es nicht gelingt, die Risiken öffentlich bekannt zu machen. Morozov verweist zwar darauf, dass man die gesellschaftlichen Kosten dieser Entwicklung aufzeigen müsse. Auf die Frage nach den mangelnden Problemlösungskompetenzen der repräsentativen Demokratie bleibt Morozov eine befriedigende Antwort schuldig. Denn während Staat, Gesellschaft und Menschen in vielen Bereichen bereits konkreten Nutzen aus den Innovationen ziehen, weist der Publizist die Beweislast von sich.
Den vielfältigen Verheißungen wie Kosten- und Zeiteinsparungen, verbesserten Forschungsbedingungen oder Partizipationsmöglichkeiten begegnet er auf diese Weise mit einer gewissen Ignoranz. Dabei gilt es tatsächlich, kritische Fragen zu stellen: Wie weit wollen wir gehen? Wer soll darüber entscheiden? Was bezahlen wir dafür? Wo liegen die ethischen Grenzen? Wie verändern sich Rolle des Staates und seine Beziehung zu Wirtschaft und Zivilgesellschaft?
Doch wenn wir den Menschen und Dingen, die wir kritisieren, nicht auf Augenhöhe begegnen, und wenn wir nicht versuchen zu verstehen, warum Menschen bestimmte Tools verwenden, warum sie über gewisse Fragen nicht nachdenken oder sprechen wollen, und warum sie das Internet vor allem im Lichte seiner Annehmlichkeiten betrachten, dann lavieren wir uns um die gegenwärtige Gretchenfrage des Netzdiskurses herum, die da lautet: Wie kann ein breiter gesellschaftlicher Diskurs angestoßen werden? Einen guten Beitrag hierzu brachte jüngst der Journalist Friedemann Karig auf der re:publica, indem er „neue Narrative gegen Überwachung“ forderte. Aber auch Evgeny Morozov selbst liefert mit seiner Sensibilisierung für die Begriffe „Internet“ oder „Freiheit“ bereits einen wichtigen Anstoß. Nun muss eine weitere Auseinandersetzung mit den Mechanismen innerhalb der Netzdebatte folgen.
Bild: International Journalism Festival (CC BY-SA 2.0)