Quelle: WikimediaKritisiere eine Religion, beleidige ein Berufsbild, gebe falsche Informationen heraus oder äußere dich unsachlich zu einem heiklen Thema. Die Wut der Bevölkerung sei dir gewiss. Mache dies im Internet und ein schier unglaubliches Maß an hasserfüllten Kommentaren füllt unzählige Seiten. Die Gesellschaft greift immer häufiger zur digitalen Fackel und Heugabel!

Schon bevor die Antikriegskomödie „Willkommen im Krieg“ am Osterwochenende im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, meldeten sich viele Stimmen, die die fragwürdige Aufmachung und den Inhalt des Films kritisierten. Doch nachdem der Streifen gelaufen war, entbrannte ein regelrechter “Shitstorm” im Internet. Was man üblicherweise in vermehrtem Maße nach Attacken gegen die Netzgemeinde oder die Piratenpartei erlebt, wurde dieses Mal auf ein populäres Thema ausgeweitet. Der sogenannte Shitstorm (zu Deutsch: Empörungswelle) beschreibt das Internetphänomen, bei dem konstruktive Kritik und Wortmeldungen mit unsachlichen, meist emotionalen Beiträgen vermischt werden. Diese an Personen aber auch Gruppen oder Unternehmen gerichteten Beiträge sind für gewöhnlich drohender, beleidigender oder stark überzogener Natur, stehen aber gemeinhin unter dem Schutz der freien Meinungsäußerung.

Vom Shitstorm zum Lynchmob

Dieser Schutz hört jedoch bei offensichtlichen Gewalt- und Morddrohungen auf. In dem oben beschriebenen Fall kam es auf der Facebook-Seite des Schauspielers Wilson Gonzalez Ochsenknecht, der in dem Film einen Bundeswehrsoldaten im Afghanistaneinsatz spielt, zu ebensolchen Drohungen. So äußerten sich einige Soldaten teilweise mit sehr konkreten Forderungen, die einem Lynchaufruf gleichkamen und offenbar den Schauspieler mit seiner Rolle verwechselten: „Du dreckiger Hurensohn! Ich bin Fallschirmjäger. Vor genau zwei Jahren verloren wir an Ostern in Afghanistan drei Männer. Und du schwuler Hurensohn findest es richtig, sich über den Einsatz da unten lustig zu machen? (…) Sei ein Mann und komm mich doch im Fallschirmjägerbataillon 261 besuchen. Ich bring Dich um, Du Tunte!“. Weiterhin war dort zu lesen: „Erschießt Ochsenknecht!“ und „Lass uns ihm mal ne kleine Tour durch die lustigsten Hinterhalte und spaßigsten Sprengfallen buchen.“. Bereits kurz darauf wurde einer der Soldaten identifiziert. Derweil distanziert sich die Bundeswehr von dem Verhalten ihres Angestellten. Derartige Äußerungen eines Soldaten seien absolut inakzeptabel, da sie nicht nur den strafrechtlichen Bestand der Beleidigung und Bedrohung erfüllten, sondern massiv dem Ansehen der Bundeswehr in der Gesellschaft schadeten, erwiderte ein Bundeswehrsprecher, von der Bildzeitung auf den Fall angesprochen. Der für die Mordäußerungen verantwortliche Soldat bedauert seine Worte inzwischen. Nach seinen Aussagen sei es nicht möglich gewesen, den Kommentar auf der Facebook-Seite des Schauspielers zu löschen. Er wolle sich nun in einem Brief an den Betroffenen für seine extremen Äußerungen entschuldigen. Ob dieser die Entschuldigung jedoch akzeptieren wird, ist fraglich. Fakt ist hingegen, dass bereits Ermittlungen gegen den Soldaten geführt werden und nun entschieden werden muss, welche disziplinarischen oder gar rechtlichen Folgen auf ihn zukommen.

Das Stichwort heißt Zurückhaltung

Der wohl stärkste Unterschied zwischen direkten verbalen und digitalen Auseinandersetzungen besteht wohl im Umgang mit der anderen Person.  Nun mag man genau hierin den Vorteil des Internet sehen. Man kann sich hier schließlich so ausdrücken, wie es einem beliebt, ohne ernsthafte Folgen zu erwarten, und zum anderen kann sich jeder zu jeder Zeit eine anonyme Identität zulegen. Der Fall zeigt jedoch auch deutlich, welche Tragweite Beiträge in sozialen Netzwerken haben können, die entweder aus dem Affekt geschrieben wurden oder gänzlich abwegiger Natur sind.

Solange man sich  innerhalb der eigenen Peer-Group befindet, mögen einem die Folgen derartiger diffamierender Äußerungen gleichgültig sein, weil man sie zurücknehmen oder korrigieren kann. Ist man allerdings mit derlei Meinung in den stärker besuchten Gefilden des Netzes unterwegs, in der Annahme, dort auf Zustimmung zu treffen, liegt man meist falsch. Hat man innerhalb der eigenen Community bei einer gering abweichenden Meinung höchstens negative Reaktionen und Kommentare zu fürchten, so erwartet einen auf der Bühne der großen Plattformen bei polarisierenden, bewusst reißerischen oder diskriminierenden Posts der oben genannte Shitstorm. Zudem sollten insbesondere Angehörige einer öffentlichen Organisation oder Behörde, aber auch Mitarbeiter von großen Firmen sich darüber im Klaren sein, dass ihre persönliche Meinung, ist sie einmal öffentlich geäußert, als repräsentativ wahrgenommen werden und dem Ansehen der entsprechenden Organisation in hohem Maße schaden kann.

Das Internet vergibt nicht!

Im Unterschied zum Shitstorm ist der digitale Lynchmob die konkrete Androhung von Gewalt, die sich bis in das reale Leben auswirken kann. Die bekanntesten Beispiele der vergangenen Wochen  – der Fall des getöteten Mädchens in Emden  und nun auch der Fall Ariane Friedrich – haben gezeigt, welch infernaler Sturm ausgelöst werden kann, wenn an der falschen Stelle Informationen an die Öffentlichkeit durchsickern. Urplötzlich findet sich eine Schar Menschen an, die es sich zum Ziel setzt, den Ursprung des Übels zur Strecke zu bringen – gewissermaßen in Lynchjustizmanier. Dabei staffeln sich die Maßnahmen von übler Nachrede über öffentliche Beleidigungen oder Schikanen bis hin zur Aufforderung von Gewaltausübung. Dass dieses Phänomen durch die Beschleunigung und Verstärkung des Internet noch einmal eine andere Dimension erreichen kann, gibt Grund zur Annahme, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ernsthafte Folgen entstehen und jemand tatsächlich nicht nur vorverurteilt, sondern real tätlich angegriffen wird.

Die Menschen können sich viel schneller organisieren, absprechen und Gemeinsamkeiten finden. Das Bedrohliche am digitalen Lynchmob ist der hohe Grad der Organisationsfähigkeit. Menschen, die sich sonst nur unter widrigen Bedingungen zusammentun würden, finden in ihrem Hass auf einen vermeintlich Schuldigen eine starke Gemeinsamkeit. Besonders extrem war diese bei den Forderungen der Facebook-Gruppe „Das saudische Volk will die Bestrafung von Hamza Kashgari“. Der saudi-arabischen Journalisten Hamza Kashgari geriet Mitte Februar ins Kreuzfeuer tausender gläubiger Muslime, weil er den Propheten Mohammed beleidigt haben soll. Innerhalb weniger Tage wuchs die Gruppe auf über 25.000 Mitglieder an, die zum Teil unverhohlen den Tod des Journalisten verlangten. Das zeigt deutlich die Dimensionen, die ein Lynchmob annehmen kann.

Brauchen wir Richtlinien für den Umgang mit sozialen Medien?

Tausende Nutzer kommentieren täglich die unterschiedlichsten Themen. All das ist auf Social Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter gang und gäbe. Dass dabei ein gewisses Know-how im Umgang mit dieser Form der Meinungsäußerung oder Selbstdarstellung notwendig ist, zeigt unter anderem das jüngste Beispiel des Soldaten. Es wäre demzufolge durchaus ratsam, z.B. Soldaten und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes im Umgang mit Social Media-Plattformen zu schulen. Insbesondere wenn durch einen einzigen Fehltritt die Reputation einer Behörde oder eines Berufsbildes gefährdet ist oder wenn durch die unsachgemäße Handhabe von Informationen die Gefahr eines realen Lynchmobs besteht.