ArtikelbildZDFCheckFalschaussagen von Politikern zu erkennen, ist heute einfacher als früher. Das Netz, mittlerweile sogar in die Hosentaschen gewandert, macht es möglich. Wer eine Studie oder ein Gesetz einsehen will, um Argumente auf ihre Stichhaltigkeit zu testen, wühlt sich 2013 durch Linksammlungen anstelle von Bücherregalen – seit Neuestem auch auf Anregung des ZDF, denn die Mainzer haben fleißig Staub aus dem Programmregal geklopft. Anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl wollen sie beim #ZDFcheck Wahlkampfäußerungen überprüfen. Willige User sind eingeladen, mitzumachen.
Im März 2012 unterstrich der damals frischgebackene ZDF-Intendant Thomas Bellut, dass er den Altersdurchschnitt des Senders vorsichtig abzusenken plant, auf einen Wert unter 60 Jahre. Dem aufmerksamen Beobachter bleiben gewisse Indizien für die Verjüngungskur nicht verborgen. In der Satire-Serie „Lerchenberg“ z. B. nimmt sich das ZDF selbst aufs Korn – und die „heute-Show“ ist mit Rekordquoten zum vielleicht letzten TV-Lagerfeuer junger Leute geworden. Die können diese Trendwende auch dann nachverfolgen, wenn sie ihre Fernseher längst gegen Desktop-PC, Tablet oder Smartphone eingetauscht haben, das Zweite also primär in der immer beliebteren Mediathek sehen. Und sie sollen nun dabei helfen, im ZDFcheck wahre von unwahren Politikerstatements zu trennen.

Auf Herz und Nieren

„Stimmt das, was Politiker behaupten?“, prangt es zentral auf der Check-Seite von heute.de. Doch ganz so bipolar, wie vielleicht zu erwarten, fallen die möglichen Antworten nicht aus. Das Bewertungssystem sieht fünf Einstufungen vor:  stimmt nicht“, „stimmt so nicht“, „stimmt fast“, „stimmt“ und „unklar“. Entsprechend der Einordnung verfärbt sich das Thermometer, das links im Fragekasten zu sehen ist.
Die Auswahl der Aussagen, die in den Check sollen, obliegt der Redaktion aus Journalisten, Recherche-Experten, Social Media- und Grafikredakteuren. Sie definieren auch, was genau an der jeweiligen Aussage überprüft werden soll und stellen die Ergebnisse online. So kann der Leser mitverfolgen, wie weit der Check fortgeschritten ist – und im Kommentarfeld eigene, quellengestützte Hinweise liefern.
Ein Beispiel: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat laut dpa gesagt, dass sich die Einkommensschere in Deutschland seit drei Jahren wieder schließen würde. Zunächst wird diese Behauptung zitiert, darunter sind die Check-Resulate platziert. Im Beispielfall soll als erstes eine etwaige Veränderung der höchsten und niedrigen Einkommen innerhalb der vergangenen drei Jahre genauer unter die Lupe genommen werden. Ein kleiner Text klärt darüber auf, welche Erkenntnisse die erste Anlaufstelle geliefert hat, das Statistische Bundesamt. Anschließend geht es um den Zeitraum, der von der Ministerin benannt wurde. Ist für die vergangenen drei Jahre überhaupt eine Angabe zu machen, oder mangelt es noch an Daten? Zum Schluss lautet das Fazit im Falle von der Leyens: „stimmt so nicht“.

Nachhaltig prüfen

Klar ist, dass sich nicht alle User in ihren Kommentaren an die Spielregeln halten werden. Demgegenüber aber steht die eindeutige redaktionelle Zielsetzung, der nach unbelegte Meinungsäußerungen nicht erwünscht sind. Es soll geprüft werden, nicht gebasht. Dr. Eckart Gaddum, Online-Chef beim ZDF, hat Vertrauen in die konstruktive Partizipationsbereitschaft der User. Die Proteste um Stuttgart 21 und die Plag-Bewegung machten dahingehend Mut, dass der Bürger den Wahlkampf nicht mehr passiv auf dem Sofa, sondern aktiv per Klick (und Wisch) begleiten wolle. Deswegen komme das ZDF der Netzkultur auch an anderer Stelle entgegen: Alle Texte, Videos und Grafiken sollen unter der Creative-Common-Lizenz „CC BY 3.0“ zur Reproduktion freigegeben werden, was die Kopie, Veränderung und kommerzielle Nutzung einschließt. Das Publikum der re:publica 2013 quittierte diese Entscheidung mit Applaus.
Die Videos zum Projekt werden in die ZDF-Mediathek geladen, wo sie auch als Download zur Verfügung stehen, entgegen der sonstigen Praxis. Auf diese Weise könnte ein virtuelles Gedächtnis entstehen, das die traditionell flüchtigen Wahlkampfaussagen konserviert. Ohnehin denkt man beim ZDF langfristig. Wenn der Check gut läuft, ist eine Fortsetzung möglich.

Es ist kompliziert

Gemessen an den bisherigen Checks lässt sich feststellen, dass das ZDF dem naheliegenden Vorwurf entgehen will, parteiisch zu sein. Analysiert wurden und werden Thesen von Politikern unterschiedlicher Parteifarben. Aber: Ob jemand irrt, ist erfahrungsgemäß nicht in jedem Fall mit Hilfe der Wissenschaft zu klären, manchmal ist ein Sachverhalt auch komplizierter gelagert. Dann zum Beispiel, wenn eine Ansicht auf einem Menschenbild fußt und damit nicht wissenschaftlich überprüfbar ist. Das ZDF ist sich dieses Problems bewusst, weswegen man ausschließlich Faktenbehauptungen untersucht – zu denen Material vorliegen muss. Schwierig könnte es werden, wenn die Umsetzbarkeit politischer Handlungsanweisungen bewertet wird, deren Wirksamkeit die Wissenschaft entzweit. Zur aktuellen Frage des EU-Sparkurses können etwa Pro- und Contra-Studien herangezogen werden. Im Zweifel muss sich die Redaktion auf einen ihrer anderen Grundsätze berufen: Dauert die Prüfung zu lange, wird nicht gecheckt.

Billige Arbeit dank Wikipedia?

Das ZDF-Team verlässt sich beim Checken nicht nur auf Eigen- und User-Leistungen. Kooperiert wird zudem mit Phoenix und Wikimedia Deutschland. Autoren des Online-Lexikons arbeiten teils in der Redaktion mit, teils dienen sie als externe Helfer. Nach Ankündigung des Projekts gab es aus den Reihen der Wikipedia Kritik. So hieß es u. a., das ZDF wolle sich eigene Mitarbeiter sparen. Die verantwortlichen Redakteure begegnen den Vorwürfen mit dem Hinweis, dass der Sender weniger Arbeit hätte, würde er den Check alleine stemmen – weil dann die Absprachen mit den Externen wegfielen.

Der Wahlkampf wird ungemütlich

Andere ckecken ebenfalls. Washington Post, SPON und Faz.net haben ihre publizistischen Lügendetektoren schon länger im Einsatz, letztere auch mit transparenter Leserbeteiligung. Das ZEITmagazin und der Verein Liquid Democracy kooperieren, um die Wahlkampfstrategen durch ein dem ZDFcheck sehr ähnliches Projekt in die Enge zu treiben, den „Faktomat“. Hier wie da bauen die Redaktionen auf engagierte und scharfsinnige User.
Inwieweit diese Kontrollen einen signifikanten Einfluss auf das Wahlergebnis haben können, ist schwer einzuschätzen. Menschen über 60 Jahre machten 2009 ein knappes Drittel der Wähler aus, sind der aktuellen N(ONLINER)-Studie aber nur zu 64 Prozent (60-69 Jahre) bzw. 30 Prozent (70 Jahre und älter) online – und somit eher keine Zielgruppe des Checks. Dem könnte entgegenwirken, dass das ZDF die Resultate der Überprüfungen auch in den heute-Nachrichten unterbringen möchte, eventuell gar in einer eigenen Sendung. Ein erster Gradmesser ist die Testphase, die am 13. Mai begonnen hat. Die hier gewonnenen Erfahrungen sollen beitragen, den Check pünktlich bis zur heißen Wahlkampfphase im August zu optimieren. Das gilt gleichwohl auch für die Antworten und Slogans der Kandidaten. Mit Thesenoptimierung ist zu rechnen.
Bilder: Screenshot

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