Fehlende Infrastruktur und Aufklärung, sowie akuter Fachkräftemangel, sind in vielen Regionen Afrikas ein chronisches Problem. Diese Missstände wollen Krankenschwestern, Gynäkologen oder Augenärzte ändern; immer häufiger entwickeln sie Apps, die den Zugang zur medizinischen Versorgung erleichtern sollen.
Herausforderungen: geographische und temporäre Barrieren überwinden
Circa 12% der Weltbevölkerung lebt in Afrika, dennoch findet man auf dem Kontinent über 70% der übertragbaren Infektionen. Regionen werden immer wieder von Epidemien wie Ebola, Malaria oder HIV geplagt. Zudem nimmt die Zahl chronischer Erkrankungen wie Herzerkrankungen und Diabetes zu. Die Ursachen sind dabei zahlreich. Das Budget für Gesundheit ist in vielen Ländern extrem niedrig, die internationale Entwicklungshilfe wurde in den letzten Jahren reduziert. Universelle Krankenversicherung sind selten und bieten oft nur unzureichende Deckung. Hinzu kommt, dass es einen akuten Fachkräftemangel gibt. In Kamerun leben beispielsweise rund 20 Millionen Menschen, doch gibt es in dem gesamten Land nur 40 Herzspezialisten.
Die Gründe für diesen Mangel sind komplex. Ein wichtiger, wenn auch nicht alleiniger, Grund ist der niedrige Urbanisierungsgrad. Viele Menschen haben keinen schnellen Zugang zu Gesundheitszentren, denn die nächsten Arztpraxen liegen weit weg. Hier könnte mobile Gesundheit (auch m-Gesundheit oder m-health) wichtige Lösungen bringen. Das Ziel der m-Gesundheit ist es, temporäre und geografische Barrieren durch Apps, Clouds und Blockchains zu überwinden. In Tansania lebt zum Beispiel fast 75% der Bevölkerung in ländlichen Gegenden, dafür besitzen beinahe 90% der Erwachsenen ein Smartphone. Apps sollen diesen Menschen jetzt helfen, einfachen, teils kostenlosen Zugang zu Informationen und Untersuchungen zu haben.
Warum die Entwicklung von mobilen Gesundheitsapps anders läuft. Das Beispiel Vula
Das Spannende bei den Apps im Gesundheitsbereich ist, dass sie oftmals aus eigener Initiative entwickelt werden, ohne die Unterstützung der (wenn auch schwachen) vorhandenen Infrastruktur. Diese Entwickler haben die eine oder andere Erfahrung mit dem landeseigenen System gemacht und kennen die jeweiligen Mängel. Die Apps gehen also präzise lokale Probleme an, was bedeutet, dass die entwickelten Apps das Potenzial besitzen, eine große soziale Wirkung zu entfalten.
Ein Beispiel ist hier „Vula“ was auf Zulu soviel wie „offen“ bedeutet. In Swasiland und Südafrika entwickelte ein Augenarzt eine App, dessen Ziel es ist, frühzeitig Augenprobleme zu entdecken. Das Besondere dabei: Menschen aus ländlichen Gegenden müssen sich nicht in eine Klinik begeben. Die Vorgehensweise ist ganz einfach. Man fotografiert die eigenen Augen mit dem Smartphone und lädt das Foto in der Datenbank der App hoch. Dieses Bild wird anschließend von einem spezialisierten Augenarzt ausgewertet. So können Krankheiten wie Grauer Star erkannt werden und der Arzt kann nun in direkten Kontakt mit dem Patienten treten. Die App gewann Preise und konnte dank der Fördergelder in darauffolgenden Jahren von Spezialisten in den Bereichen Kardiologie, Orthopädie und Verbrennungen erweitert werden. Heute können Nutzer so schneller auf die verschiedensten spezialisierten Diagnostika Zugriff haben.
Jugendliche Entwickler – die Zukunft der m-Gesundheit?
Nicht nur Angestellte des Gesundheitssystem arbeiten an den Missständen, sondern auch junge Entwickler. „Eine Idee für eine App entwickeln“ lautete die Aufgabe einer 8. Klasse in Yaoundé, Kamerun. Vier damals 14-jährige Mädchen wollten die Menschen in ihrem Land dazu ermutigen mehr Blut zu spenden. Eines der Mädchen hatte zuvor ihren Onkel verloren, da das Krankenhaus keine Blutkonserve der richtigen Blutgruppe vorhanden hatte. Ihre Idee war einfach: eine Datenbank mit Blutspendern, die, sobald ihre Blutgruppe benötigt wird, vom Krankenhaus kontaktiert werden. Ihre Idee haben die Mädchen in die Tat umgesetzt. Heute arbeiten sie nach der Schule und in ihren Ferien an ihrer App „Hemo“ (wie Hemoglobin) mithilfe eines Mentors und hoffen damit auch einen kulturellen Wandel beim Thema Blutspende herbeizuführen.
Ein anderes Beispiel ist Adebayo Alonge. Mit 14 Jahren lag der Nigerianer drei Wochen im Koma, da er während einer Asthmaattacke ein falsches Medikament einnahm. 900.000 Menschen sterben jährlich weltweit wegen falscher Medikamente, deren Unterschied zum richtigen Medikament mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind. In einigen Teilen Afrikas betrifft das jedes 10. Medikament. Diese Erfahrung hat Alonge dazu geführt, im Laufe seines Studiums ein Gerät zu entwickeln, das Menschen vor dieser Gefahr schützt. Das Resultat ist der „RxScanner“: ein kleines schwarzes Gerät, das in die Hosentasche passt und nur 150 Gramm wiegt. Mit einer 97% Wahrscheinlichkeit ist es in der Lage zu sagen, ob es sich um die richtige Arznei handelt. Das Ganze innerhalb von 30 Sekunden. Man legt das Medikament in den Scanner, der mit einer App auf dem Smartphone verbunden ist. Nach kurzer Analyse informiert der Bildschirm den Nutzer, ob es sich um das richtige oder falsche Medikament handelt. Der Haken ist – noch – der Preis: 1.350€ kostet ein Gerät. Während Alonge angekündigt hat, dass seine Priorität sei, den Preis zu senken, scheint es sich hier doch um ein Gerät zu handeln, das es vorerst nur in Krankenhäusern geben wird. Immerhin wird es schon von über 10.000 Patienten genutzt.
Künstliche Intelligenz statt Ärzte?
Weitere Apps sollen Ärzte in ihrer täglichen Arbeit unterstützen und Nutzer aufklären. Einige Apps erlauben es die Krankheitsgeschichte eines Patienten in der Cloud zu speichern, so können verschiedene Ärzte diese einsehen und ein besseres Verständnis für die Gesundheit des jeweiligen bekommen. Dies ist besonders relevant in ruralen Gegenden oder bei Analphabeten. Laut Statistiken könnten 80% der Fragen der Patienten auch ohne ein Gespräch mit dem Arzt beantwortet werden. Apps sollen so Ärzte entlasten und ihnen mehr Zeit für schwerer erkrankte Patienten verschaffen.
Apps, die Frauen in ihrer Schwangerschaft begleiten, sind ebenfalls sehr verbreitet. Dabei ist das Angebot von Land zu Land und App zu App sehr unterschiedlich. In Kamerun kann man „GiftedMom“ für 50 CFA pro Woche (ungefähr 0,08€) abonnieren. Wöchentlich bekommt man SMS, die Tipps geben, Fragen beantworten und an die anstehenden Arzttermine erinnern. In Uganda optimierte ein Arzt ein analoges Gerät, welches dazu dient, das Herzschlagen des Fötus abzuhören. Er installierte in dem klassischen Gerät ein hochsensibles Mikro, das die Herzgeräusche aufnimmt. Die Daten werden in eine Cloud geladen und nachdem der Arzt die Daten ausgewertet hat, bekommt die zukünftige Mutter eine SMS mit den Ergebnissen. Auch Aufklärung unter Jugendlichen läuft in Rwanda über die App „Tantine“. Menstruation, Sex und Schwangerschaft sind dort Tabuthemen. Sexualkunde in der Schule ist, wenn vorhanden, meist unzureichend und in Familien wird das Thema gemieden. Die Mitentwicklerin, Sylvie Uhirwa, kreierte also eine App, die die Fragen der Jugendlichen beantwortet. Mit großem Erfolg: mehr als 400.000 Nutzer haben die App im kleinen Rwanda bereits heruntergeladen.
Begrenzte Möglichkeiten durch fehlende Infrastruktur und Sicherheitsbedenken?
Einerseits sind viele dieser Apps dazu konzipiert, die mangelnde medizinische Infrastruktur auszugleichen, andererseits scheitert ihre Nutzung teilweise genau an dieser, oder aber auch an der fehlenden Netzabdeckung. Einige Regionen sind nicht an die nationalen Strom- und Telefonnetze angebunden. Viele Apps brauchen Zugang zum Internet, um ihren Zweck zu erfüllen. Daher schicken Aufklärungs- und Informationsprogramme wie „GiftedMom“ SMS, so können sie nämlich die meisten Mütter erreichen. Andere Apps bedürfen Aktualisierungen, die über das Internet geladen werden, funktionieren aber sonst auch ohne Netz.
Eine weitere Frage stellt sich bei der Sicherheit und dem Schutz der Daten. Viele Entwickler greifen auf Blockchains zurück, generell scheint bis jetzt es wenig Bedenken oder Kritiken gegeben zu haben. Von Datenleaks hat bis jetzt noch keine der m-Gesundheit Apps berichtet. Man sollte dabei vielleicht nicht vergessen, dass die meisten Apps noch sehr klein sind und sich in ihren Anfangsphasen befinden. Sie besitzen daher noch überschaubare (wenn auch teils sensible) Mengen an Daten, die wenig Anreiz verschaffen einzelne Apps anzugreifen. Die Frage der Sicherheit medizinischer Daten wird sich in Zukunft aber weiterhin stellen.
Titelbild: Aerial Caridac Care von rawpixel via Pixabay
Text: CC-BY-SA 3.0