Die digitale Revolution wartet auf niemanden – sie schreitet einfach voran. Und wir als Mediennutzer müssen uns anpassen. Gesagt, getan? Eine aktuelle Studie zeigt, dass nur 38 Prozent der Deutschen ihre Internetkenntnisse als „gut“ oder „mittelmäßig“ einschätzen. So einfach ist es also wohl nicht.

Schon wieder einer dieser schwammigen Begriffe, die einen viel zu großen Themenkomplex umfassen. Doch wie auch immer man den Begriff definiert: Medienkompetenz beschreibt eine Fähigkeit, die mit zunehmender Digitalisierung der Gesellschaft immer wichtiger wird. MediennutzerInnen – egal ob alt oder jung – wird zunehmend abverlangt, nicht nur mehr Informationen zu konsumieren, sondern das Konsumierte auch weiter zu verarbeiten und kritisch zu hinterfragen. Aber auch das Wissen um die Entstehung von Technologie wird immer wichtiger. „Jeder muss ein Auto fahren können, aber nicht wissen, wie es zusammengesetzt ist“  – so wurde 2013 in Hamburg der Einführung von Informatik als Pflichtfach eine Absage erteilt. Indessen stellen sich einige Bundesländer die Frage, ob Informatik obligatorischer Bestandteil des Lehrplans oder der kompetente Umgang mit Medien in alle Schulfächer integriert werden sollte. Für ältere Menschen hingegen geht es schlichtweg darum, ob sie in der Lage sein werden, weiterhin aktiv an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben.

Worum geht es also?

Die Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags hat Medienkompetenz in ihrem Zwischenbericht 2011 wie folgt definiert:

„[Medienkompetenz ist] die Fähigkeit zum richtigen, angemessenen Umgang mit Medien und [gilt] somit als Schlüsselqualifikation in der modernen Gesellschaft.“

Eine Wortbedeutung meint also das nötige Know-how für die Nutzung digitaler Medien. Wenn man der viel zitierten Definition der Medienkompetenz von Dieter Baacke folgt, kann dieser Aspekt unter dem Begriff Mediennutzung subsumiert werden. Neu ist, dass User insbesondere im Hinblick auf digitale Medien zu  „Prosumenten“ werden, also zu Verbrauchern, die zugleich Produzenten sind. So ist Twitter beispielsweise mit seinem Retweet-Button voll auf die Reproduktion von Konsumiertem ausgelegt. Die meisten Online-Ausgaben deutscher Tageszeitungen oder Videoportale geben ihren Nutzern die Möglichkeit, das Gelesene oder Gesehene zu kommentieren – Interaktivität ist hier das Motto.
Hand in Hand mit Mediennutzung geht, folgt man Baacke, die Medienkunde. Der Mediennutzer sollte ein Wissen darüber besitzen, welche Informationsquelle für welchen Informationszweck die richtige Wahl ist. Dass ein Wörterbuch und nicht ein Lexikon über ein fremdsprachliches Wort informiert, ist zwar ein einfaches Beispiel, muss aber in der Tat irgendwann erlernt werden. Das geschieht spätestens in der Schule, wenn SchülerInnen mit verschiedenen Informationsquellen und -methoden konfrontiert werden.
Dieter Baacke konnte sich in den 1970er Jahren, als er seine Definition verfasste, sicher nicht vorstellen, welchen Wandel der Medienkompetenzerwerb durch die Entstehung neuer Technologien und Geräte durchmachen würde. Umso wichtiger ist im vergangenen Jahrzehnt die „instrumentell-qualifikatorische“ Dimension der Medienkunde geworden. So führt die Enquete-Kommission richtig an, dass derjenige „[m]edienkompetent ist, [d]er mit vertretbarem Zeitaufwand selbstständig in einem beliebigen Textverarbeitungsprogramm Serienbriefe erstellen kann, ohne es zuvor gelernt zu haben“. Es geht also nicht darum, zu verstehen, wie ein Gerät einer bestimmten Marke funktioniert – sondern darum, zu verstehen, wie Laptops, Tablets oder Smartphones generell strukturiert sind. Medienkunde ermöglicht die Teilnahme an der Informationsgesellschaft durch technisches Verständnis der Empfangsgeräte. Noch weiter gehen diejenigen, die Informatikkenntnisse für alle fordern – damit auch die „Technologie hinter der Technik“ verstanden wird und entsprechend selbstständig verändert werden kann.
Diese Kompetenz würde die Menschen auch zur Mediengestaltung befähigen, namentlich die Fähigkeit, neue, kreative und ästhetische Varianten von bereits bestehenden Werken zu schaffen. Auch hier ist die Definition nicht ganz klar umrissen und kann erst durch das Aufkommen neuer Technologien umgesetzt werden. Bildbearbeitungsprogramme gelten als Paradebeispiel; der Umgang mit ihnen erfordert zugleich auch Medienkunde.
Ein weiteres Element ist die Medienkritik, sie ist zentral für Informationsgesellschaften. In der schnelllebigen digitalisierten Welt kann jeder Akteur Informationen erzeugen und veröffentlichen. Der mündige Mediennutzer sollte in der Lage sein, diese zu bewerten und das analytische Wissen reflexiv auf sich selbst und sein Handeln anzuwenden. Auch muss er in der Lage sein, soziale Konsequenzen der Medienentwicklung zu begreifen.

Warum das so wichtig ist

Die Enquete-Kommission stellte fest: „Kompetenz wird grundsätzlich überall dort zum Thema, wo sie nicht hinreichend vorhanden ist.“ Was die generellen Internetkenntnisse angeht, landen die Deutschen im europäischen Vergleich auf Platz 27, wie eine aktuelle Bitkom-Studie festgestellt hat. Lediglich 38 Prozent der Deutschen geben an, mittelmäßige bis gute Internetkenntnisse zu haben, bei den Jüngeren sind es immerhin 72 Prozent. Gegen die Spitzenreiter Island (95 Prozent), Dänemark und Litauen (94 Prozent) sehen aber selbst die Jungen blass aus.
Im internationalen Vergleich wird erneut deutlich, dass Kinder nicht als „Digital Natives“ geboren werden. Auch wenn die frühe Gewöhnung an Technik es leichter macht, Neues zu erlernen, müssen sich auch die vermeintlichen Ureinwohner digital-mediale Kompetenzen erarbeiten. Das scheint in den Ländern an der Spitze des Rankings besser zu klappen. Der Vergleich zeigt auch, dass Kompetenzen zwar zum Teil vorhanden, aber durchaus ausbaufähig sind. Gerade Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb bestehen wollen, sollten großes Interesse an der Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter haben. In der Technologie- und Informatikbranche gibt Deutschland schon längst nicht mehr den Ton an. Länder wie Estland, Israel oder Südkorea hingegen sind in diesen Bereichen höchst innovativ, was der schulischen Förderung ebenso wie kontinuierlichen Fortbildungen zu verdanken ist.
Ein anderer Aspekt betrifft die Teilhabe an der zunehmend digitalisierten Gesellschaft. Es kann nicht ausschließlich die Aufgabe jedes Einzelnen sein, sich selbstständig in Medienkompetenz weiterzubilden. Hier ist auch der Staat gefragt, der Medienkompetenz mit zahlreichen Initiativen auf Bundes- und Länderebene fördert. So hat jedes Bundesland eine Landesmedienanstalt, die neben der Beaufsichtigung der Rundfunkanstalten auch für die Förderung von Medienkompetenz zuständig ist. Die durch Rundfunkgebühren finanzierten Landesmedienanstalten initiieren und betreuen Medienkompetenz-Projekte für verschiedene Zielgruppen.
Die Landesanstalt für Medien in NRW gibt in Zusammenarbeit mit anderen Landesmedienanstalten das Internet-ABC heraus, das Eltern und Pädagogen Empfehlungen zur Medienerziehung ihrer Schützlinge gibt. Das Bundesfamilienministerium fördert die Kinder-Suchmaschine „Blinde Kuh“. Klicksafe, eine Initiative der EU in Kooperation mit den Mitgliedsstaaten, klärt über Sicherheit im Internet auf. Der Dachverband der Senioren-Organisationen gibt die Broschüre „Wegweiser durch die digitale Welt“ heraus, die vom ehemaligen Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gefördert wird. Eine Liste aller von Bund und Ländern geförderten Maßnahmen zum Erwerb von Medienkompetenz ist ab Seite 40 des Zwischenberichts der Internet Enquete hier abzurufen.

Digitale Kompetenz ermöglicht Teilhabe

Im Englischen heißt Medienkompetenz „digital literacy“, wörtlich übersetzt „digitale Alphabetisierung“. Es muss dafür gesorgt werden, dass nicht ein Teil der Bevölkerung zu digitalen Analphabeten wird. Denn diese Menschen könnten – wie jene, die nicht des Schreibens und Lesens mächtig sind – nicht voll an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben. E-Government-Maßnahmen oder Online-Wahlen stellen wichtige Chancen dar. Doch was, wenn ein älterer Mensch nicht die Medienkunde besitzt, um daran teilzuhaben? Das wäre eine vertane Chance, zumal virtuelle Behördengänge körperlich Eingeschränkten mehr Autonomie verschaffen könnten, weil sie nicht mehr auf die Hilfe von Angehörigen angewiesen sind.
Das Netz generiert Informationen in Echtzeit, aktueller als jede Tageszeitung oder Fernsehsendung. Wer nicht in der Lage ist, solche Angebote zu nutzen, hat einen Nachteil. Denn: Informationskultur bedeutet politische Teilhabe.
Ebenso sind viele Menschen – spätestens seit dem NSA-Skandal – verunsichert, ob sie und ihre Daten online ausreichend geschützt sind. Verstärkte Aufklärung könnte zur Entdämonisierung des Netzes beitragen und dazu ermutigen, vertrauter mit der digitalisierten Welt zu werden und seine Vorteile stärker zur Erleichterung des täglichen Lebens zu nutzen.
Oft wird die Digitalisierung der Gesellschaft mit der industriellen Revolution verglichen. Damals veränderten sich Fertigungsprozesse und -techniken – und mit ihnen die Lebenswelt der Menschen. Was damals ein Jahrhundert dauerte, geschieht heute um ein Vielfaches schneller. Die Menschen werden sich den rasanten technischen Veränderungen immer wieder anpassen müssen – ein Leben lang. Digitaler Medienkompetenzerwerb ist nichts für Ungeduldige und muss langfristig ein wichtiger Bestandteil bildungspolitischer Programme bleiben.
Bild: Luke Wroblewski
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