Kinder und Jugendliche sind dem Einfluss verschiedener Medienformate heutzutage von klein auf konstant ausgesetzt. Dabei werden sie immer früher selbst zu Nutzerinnen und Nutzern der meist digitalen Angebote. Die Generation X bedient diese Angebote gewohnt problemlos, die Nutzung wurde nicht erlernt, sondern intuitiv erschlossen. Im Interview mit politik-digital.de spricht Medienbildnerin Kathleen Lindner darüber, ob und wie Medienkompetenz erlernt werden kann und wessen Aufgabe das eigentlich ist.
Kathleen Lindner studierte Medienbildung „Visuelle Kultur und Kommunikation“ an der Otto-von- Guericke Universität Magdeburg. Nach Abschluss ihres Studiums sammelte Sie zunächst praktische Erfahrungen in Bereichen internationales Druckmanagement, Design, Filmredaktion, Storytelling, Text, Öffentlichkeitsarbeit und Dokumentarfilmproduktion. Diese berufliche Praxis lässt sie seit 2013 unter „echthelle – Medienbildung trifft Kreation“ in Konzepte für die digitale Medienbildung einfließen. Heute ist sie besonders mit Projekten der kreativen Medienbildung, der Kulturarbeit, der Demokratiebildung und des Coachings in verschiedenen Bildungseinrichtungen und Unternehmen aktiv.
politik-digital.de: Vielerorts herrscht Konsens darüber, dass zeitgemäße Bildung auch Medienkompetenz beinhaltet. Darüber was genau unter diesem Begriff verstanden wird, herrscht allerdings weniger Einigkeit. Wie definieren Sie Medienkompetenz?
Medienkompetenz ist die Fähigkeit, bewusst und reflektiert mit Medien umzugehen, Medien zu gestalten und kritisch als visuellen Spiegel für gesellschaftliche Entwicklungen einzusetzen. Und was mir heutzutage in einer immer komplexer werdenden Welt wichtig erscheint: Medien als Werkzeug für die eigenen Lebensvisionen und eigene Zwecke sinnvoll nutzen zu können. Denn Medien können jedem Menschen als Spiegel für die eigenen Stärken dienen. Es gilt zu verstehen, dass Medienkompetenz auch eine wichtige Rolle im Kontext der Veränderung von der Konsumentenrolle in die Produzentenrolle spielt, da u.a. das Internet eine große Chance in sich birgt, neue nachhaltigere Lebensentwürfe zu entwickeln, wie zum Beispiel „Digitale Nomaden.“ Das geht aber über einen Kompetenzbegriff hinaus. Ich nenne das Transferwissen, das in Zukunft eine immer größer werdende Rolle spielen wird. Wir brauchen zukünftige Generationen, die diese Zusammenhänge verstehen, um Verantwortung für gesellschaftliche Herausforderungen übernehmen zu können.
politik-digital.de: Sie bieten unter anderem Workshops an, die Schülerinnen und Schülern schon im Grundschulalter eine gewisse Medienkompetenz vermitteln sollen. Wie sieht so ein Workshop aus und was sind die Lernziele eines solchen Trainings?
Ich gebe in meinen Workshops einen gewissen inhaltlichen Rahmen vor, und innerhalb dessen können die SchülerInnen Themen mithilfe von Medien reflektieren und erproben. Die Workshops sprechen derzeit die vier Säulen aus dem Basiscurriculum Medienbildung an: reflektieren, präsentieren, kommunizieren und analysieren. Ich nutze keine analogen Hilfsmittel für meine Workshops, sondern ausschließlich digitale, je nach Schulausstattung. Am Ende entsteht immer ein kleines Medienprodukt, in dem die Bildungsinhalte aus dem Rahmenlehrplan oder im Zusammenhang mit demokratischer oder gewaltfreier Wertebildung eingearbeitet werden oder es geht auch zum Teil um Präventionsthemen wie Cybermobbing oder Datenschutz. Das können Plakate, Foto-Storys, VR-360 Geschichten, Schnitzeljagden, Handy-Filme, Blogs, Grafiken, Collagen, Wissensspiele, Comics, Hörspiele und vieles mehr sein. Diese Medienprodukte werden bestenfalls im Unterricht weiterverwendet. Lehrer sind in den meisten Fällen in meinen derzeitigen Projekten in den Workshops dabei und lernen mit. Obwohl es mir mittlerweile sinnvoller erscheint, eher die Lehrer auszubilden. Das macht aber nur Sinn, wenn sich das Schulsystem ändert. Wie soll ein Lehrer zusätzlich Medienkompetenz bei diesem derzeitigen Lehrplan vermitteln?
politik-digital.de: Schulen können Sie als externe Expertin anwerben um Medienkompetenz vor Ort zu vermitteln. Das Wissen über Medienkompetenz ist damit nicht in den Schulen selbst angesiedelt, sondern kommt von außen. Wessen Aufgabe ist es Ihrer Meinung nach, Schülerinnen und Schülern Wissen in diesem Bereich zu vermitteln? Sollten Lehrkräfte hier mehr Weiterbildung erfahren?
Lehrkräfte können diesen Übergang zur Digitalisierung nicht alleine stemmen. Dafür fehlt oft auch die Zeit, gerade mit Blick auf den Lehrplan. Ich denke, eine bessere Lösung wäre, wenn alle Zielgruppen zu Medienlaboren unter dem Denkmantel eines bundesweiten Dachverbandes für Medienbildung gehen und sich dort regelmäßig bilden lassen, um dann auf allen Ebenen multiplikatorisch agieren zu können. Der Vorteil hierbei wäre, dass sich die Labore an einem Ort konzentrieren lassen und diese sich immer wieder den aktuellen Gegebenheiten anpassen können. Das heißt, sie bleiben auf dem neuesten Stand. Hier müssten aber Medienberater sicherstellen, dass die Schulen das Wissen regelmäßig in den Unterricht integrieren und die notwendige Ausstattung erhalten, je nach Lernzielen und Ausrichtung der Schule. Dafür könnten zum Beispiel Medienbildner grundständig in den Schulen als Ansprechpartner eingesetzt werden. Voraussetzung hierbei ist, dass der Staat „Medienbildung“ einen noch einen höheren Stellenwert beimisst, Visionen dazu erarbeitet und somit die Finanzierung auch nachhaltiger gestaltet. Manchmal werden Gelder unnötig ausgegeben. Zum Beispiel die Ausstattung von Schulen mit Smartboards, die einfach nicht genutzt werden, weil Lehrkräfte teilweise feststellen, dass sie diese Ausstattung für ihren Fachunterricht schlicht und ergreifend nicht benötigen, sondern eher eine Tablet-Ausstattung.
politik-digital.de: Viele Kinder und Jugendliche sind sich den drohenden Gefahren der täglichen Smartphone-Nutzung in Bereichen wie Datenschutz, Bildrecht oder Werbefallen durchaus bewusst. Risiken für sich und andere nehmen sie dabei in Kauf. Wie kann das scheinbar bereits vorhandene Wissen über Medien in die Kompetenz, diese verantwortungsvoll zu nutzen, überführt werden?
Ich denke, das fängt bei uns Medienbildner an und bei den Entscheidungen, die selbst auf konzeptioneller Ebene getroffen werden. Also dass wir zum Beispiel durch stetigen Austausch die Programme und Inhalte empfehlen, die auf allen Ebenen Sinn machen. Das heißt, wenn junge Klassen von Anfang alle Grundlagen erfahren, dann bilden sich ganz andere Wissensstrukturen im Kopf. Aber das ist nicht alles. Ich denke Kinder und Jugendliche brauchen Orientierung: „Wo soll es hingehen mit der Digitalisierung?“, „Was für eine Rolle spiele ich dabei?“ Das heißt, wir brauchen Konzepte, die über die Zukunft der Digitalisierung sprechen, so dass Jugendliche mögliche Fallbiografien/ Fallentwicklungen erleben: Was passiert, wenn viele Arbeitsplätze durch Roboter ersetzt werden? Was passiert mit meinen Daten, wenn eine Ideologie herrschen würde? Was passiert mit einem Menschen, der nur noch in den sozialen Medien lebt? Also kurz: Zukunftsszenarien entwickeln, die auf eine positive und verantwortungsbewusste Zukunft hindeuten durch Vergleich von Worst-Case Szenarien.
politik-digital.de: Autoren wie Manfred Spitzer versammeln mit plakativen Buchtiteln wie „Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ eine wachsende Gruppe an Digitalisierungsgegnern hinter sich. Die Angst vor dem Unbekannten befeuert die Skepsis gegenüber frühkindlicher Medienbildung bei Eltern oder Lehrenden. Gibt es auch Bildungsbereiche, die nicht in Berührung mit Medien kommen sollten, oder braucht eine digitalisierte Gesellschaft auch eine allumfassende digitale Bildung?
Wie wir heute schon sehen, verlagert sich das gesamte Leben in den digitalen Raum, dazu gehören auch alle Bildungsbereiche. Daher denke ich, dass hier kein Bereich in Zukunft ausgelassen wird. Wie im Buch „Die granulare Gesellschaft“ sehr gut nachzulesen ist. Was nicht digital überzogen werden kann? Ich denke, Visionsbildung und Innovationen des Menschen, denn damit müssen wir die Maschinen von morgen füttern und das sinnvollerweise mit einer erhöhten Portion Bewusstheit.
politik-digital.de: Abmahnungen, Filesharing, Cybergrooming – Oft stehen bei Medienkompetenz Diskussionen um die Gefahren im Mittelpunkt. Teilen Sie diese Fokussierung auf den die Minimierung von Risiken? Welche neuen Möglichkeiten zur Partizipation, Kommunikation oder Kreativität würden Sie stärker in den Mittelpunkt stellen?
Ich teile eher die Fokussierung auf die Chancen und auf die bewusste Reflexion der Risiken. Die Minimierung sollte ja auch bewusst gestaltet werden, denn zu viel Regulierung bedeutet auch Einschränkung von Kreativität. Z.B. aktuell die Datenschutzverordnung, die jeden Straßenfotografen zum Verzweifeln bringt, weil er keine Schnappschüsse mehr machen kann, ohne vorher eine Datenschutzerklärung ausgehändigt zu haben und die Bestätigungsunterschrift zu erhalten. Wie schon eingangs erwähnt, finde ich die Diskussion der Selbstwirksamkeit über die Produzentenrolle viel wichtiger. Welche Lebensentwürfe entstehen durch digitale Medien bzw. wie kann ein Leben durch Kreativität sinnvoll werden? Menschen brauchen mehr denn je Orientierung und fragen nach dem Sinn des Lebens. Medien können dabei helfen, diesen zu finden. Denn es sind Werkzeuge, um Lebenszüge zu zeigen, sie können Entwicklungen visualisieren und sie können den Menschen selbstbestimmt werden lassen, so dass er frei leben kann, siehe Beispiel der „Digitalen Nomaden.“ Feste Arbeitsstrukturen werden in geraumer Zeit von gestern sein, umso wichtiger ist es, Kinder sinnvoll darauf vorzubereiten und ihnen zu ermöglichen, ihre selbstbestimmten Biografien zu bauen.
politik-digital.de: Abschließend noch ein Blick in die Zukunft: Wie sieht Medienkompetenzbildung Ihrer Meinung nach in 10 Jahren aus? Welche Entwicklungen kommen auf uns zu?
Dazu müsste ich einen Blick in die Zukunft der Bildung werfen. Meine Vorstellung dazu ist, dass wir noch mehr online sein werden und digitale Lernstrukturen selbständiger nutzen, von klein bis groß. Die Lehrkraft wird eher eine Begleitrolle spielen. Der Mensch als solches wird immer mehr den Drang haben, sich selbst zu verwirklichen und sein gesammeltes Wissen im besten Fall mit anderen zu teilen und daraus Hybride zu gestalten. Schon heute finden sich viele Gruppen zusammen, um vom digitalen Raum aus hinaus in die Welt mit verschiedenen Aktionen etwas zu verändern und weiterzuentwickeln. Schon heute werden ja sinnstiftende und innovative Projekte finanziert, wie beispielsweise über startnext. Bildung wird zum Ziel haben müssen, dass Menschen eigenverantwortlich Beiträge für eine bessere Gesellschaft bzw. Welt leisten können, wobei hier der digitale Raum eine entscheidende Rolle spielt und spielen wird.
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Bild der Interviewpartnerin: © Maximiliane Wittek, Visual Artist Berlin, bearbeitet.