Wenn Schüler*innen ihre Umgebung selbst gestalten könnten und es keinerlei finanzielle Grenzen gäbe, was würden sie verändern? Marina Weisband, Projektleiterin des Beteiligungskonzepts aula, fragte sie genau das und erhielt zwei Arten von Antworten. Entweder: „Wir wollen bessere Toiletten“, oder: „Das bringt nichts, die Lehrer machen sowieso was sie wollen“. Es scheint, als fehle uns die Kompetenz, die Kreativität, der Ansporn zur Mitbestimmung. Die scheinbar gelernte Hilflosigkeit müssen wir jedoch nicht hinnehmen. In einer zweiten Welle der Aufklärung können wir Demokratie an öffentlichen Orten neu lernen und gemeinsam an ihr arbeiten.
Third Spaces: Demokratie wächst dort, wo wir Verantwortung für Entscheidungen tragen
Demokratie zu lernen geht an vielen Orten: in der Universität, im Sportverein, teilweise sogar am Arbeitsplatz. An all diesen Orten erreichen wir jedoch nur einen kleinen Teil derjenigen, die wir für demokratisches Handeln begeistern möchten, nämlich möglichst alle. Marina Weisband spricht in ihrer Keynote an der Leuphana Universität über Demokratieförderung und warum sie gerade an Schulen und in Kommunen benötigt wird.
Schulen und Kommunen stehen deshalb im Zentrum der Ideen, weil sie die Schnittstellen der gesamten Bevölkerung sind. Hier haben Menschen physischen Kontakt zueinander und es können politische Energien entstehen. Die Ergebnisse der demokratischen Handlungen, beispielsweise ein verschönerter Stadtpark, können zu Monumenten der kollaborativen Bemühungen werden, die Mut machen und das Vertrauen in Selbstwirksamkeit vertiefen.
Wichtig dabei ist, dass es sich nicht um ein reines Austauschen und Sammeln von Ideen an bestimmten Orten handeln darf. Vielmehr geht es darum, Verbindlichkeiten für demokratisches Handeln zu schaffen und Mitbestimmung zu sichern. Zum Lernprozess gehören viele Schritte:
- Verbindlichen Rahmen für Möglichkeiten und Grenzen der Mitbestimmung aushandeln
- Informationen sammeln und filtern
- Wünsche vergegenwärtigen und äußern
- Verbindungen zu anderen Mitgliedern der Community aufbauen
- Ideen und Argumente austauschen und diskutieren
- Über Vorschläge abstimmen (liquid democracy als theoretischer Rahmen)
- Ideen umsetzen
Die Prozesse können parallel offline und online stattfinden. Offline-Treffen sind wichtig, um Nähe, gegenseitige Verantwortung und Verbindlichkeiten zu schaffen. Online bieten sie ein wertvolles Potential für neue Netzwerke, zwischen denen Kompetenzen, Ideen und Kreativität austauscht werden können. Heute nutzen rechtsextreme Bewegungen wie QAnon oder Alt-Right die Möglichkeiten der globalen Vernetzung oft besonders geschickt, weshalb eine entgegengesetzte globale digital-demokratische Entwicklung notwendig ist.
Klassischerweise entscheiden Medienvertreter*innen anhand gewisser Kriterien über die Verbreitung und Einordnung von Inhalten. Ähnlich verhält es sich mit den Algorithmen. Auch diese “entscheiden” anhand von nicht-öffentlich einsehbaren Kriterien über Reichweite und Aufmerksamkeit. Diese Entscheidungen werden anhand nüchterner Berechnungen getroffen, können aber oftmals auch durch Targeting beeinflusst werden.
Die zweite Welle der Aufklärung: Macht kann neu verhandelt werden
Das Internet gibt uns eine Stimme, die theoretisch jede*n Nutzer*in weltweit erreichen kann. Kommunen können sich global vernetzen, Kompetenzen austauschen und dadurch Netzwerke bilden, die nachhaltiger und stärker sind als Nationalstaaten. Diese Möglichkeiten stellen uns auch vor Herausforderungen: Technologien dürfen nicht im Sinne autoritärer Staaten oder großer Tech-Unternehmen genutzt werden, die durch zentrale Strukturen Macht ausüben möchten.
Das Internet der global citizens soll dezentral organisiert sein, open source Plattformen bieten und auf Endgeräten laufen, die durch open hardware für jede*n gleichermaßen verfügbar sind. Diese denkbare Entwicklung hängt von politischen Entscheidungen ab, die wir heute beeinflussen können. Sie sollte gesetzlich verankert werden, sodass Demokratie nicht vom freien Markt abhängig ist.
Hier geht es zur Aufzeichnung der Keynote!
Photo Copyright @Marina Weisband
Text: CC-BY-SA 3.0