Mit dem Buch „Everything is miscellaneous“ verfolgt David Weinberger eine einfache Grundidee. Er vergleicht die Speicherung von Wissen und Darstellung von Informationen im analogen und digitalen Raum. Auch wenn das Wort „Tagging“ explizit erst auf Seite 92 fällt, stellt Weinberger
durch die Auseinandersetzungen mit der langen Tradition der Metadatenerschließung dar, welche Vorzüge Folksonomies, die durch das gemeinschaftliche, freie Indexieren von Inhalten entstehen, gegenüber rigiden hierarchischen Ordnungsmodellen entfalten können.
In
Weinbergers Worten: Es gibt keinen Grund weshalb Wissen so organisiert
sein sollte wie unser Wäscheschrank. Während in letzterem alles seinen
Platz hat, liegt der Vorteil digitaler Daten in der Vielfalt an
möglichen Darstellungsformen.
Anhand zahlreicher Beispiele zeigt
Weinberger, dass etablierte Klassifikationen und Kategoriensysteme nur
eine mögliche Sicht der Dinge darstellen.
Die Lektüre bildet eine unterhaltsame tour d’horizon durch die
Geschichte der Konstruktion von Ordnung – und ihres Zerfalls. So
erfährt man, dass die alphabetische Sortierung eine keineswegs
unstrittige Erfindung darstellte, eine Innovation, die erst erlernt
werden und Akzeptanz finden musste.
Ebenso interessant sind die
Schilderungen der Genese von Ordnungsmodellen in den
Naturwissenschaften. Das Periodensystem der chemischen Elemente wurde
zunächst entlang des Gewichts der Atome strukturiert, erst später wurde
die Anzahl der Protonen als Sortierkriterium eingeführt. Waren die
alten Griechen sich einer kosmischen Harmonie der Planentenbahnen noch
sicher, ist inzwischen strittig, was denn ein Planet überhaupt sei.
Carl von Linné, Begründer der biologischen Taxonomie, sah in seiner
Systema naturae eine ziemlich chaotische Klasse der Würmer vor, die
erst später von Lamarck ausdifferenziert wurde.
„Miscellaneous“ (deutsch „Vermischtes“) bezeichnet in vielen
Informationsangeboten die Restkategorie, das „Sonstige“, das nirgendwo
einen Platz hat.
Ist diese Art der Wissensorganisation tatsächlich
erstrebenswert? Weinberger argumentiert hauptsächlich mit den Defiziten
festgelegter Strukturen. Die Dewey Dezimalklassifikation, ein System,
das im 19. Jahrhundert entwickelt wurde und noch heute weltweit in
200.000 Bibliotheken (unter anderem der Deutschen Nationalbibliothek)
Verwendung findet, spiegelt in weiten Teilen den Lehrplan und
Erfahrungshorizont des frisch graduierten Collegestudenten Melvil Dewey
wieder. Das Resultat ist eine eurozentrische, in vielen Fällen
widersprüchliche und unstimmige „Weltordnung“.
Durch die Prominenz von
Social Tagging Systemen ändert sich die Definitionshoheit:
Idiosynkratisch vegebene Metadaten vieler Nutzer wirken zusammen, so
dass dynamisch generierbare Ordnungen entstehen und in ihrer
Konstruiertheit erfahrbar werden. Die Netzwelt demaskiert damit die
impliziten Machtverhältnisse, die tradierte Formen der
Wissensorganisation mit sich bringen.
Weitere Informationen finden sich im Blog zum Buch (engl.).
Wer zum Thema Social Tagging dikutieren will: Am 30.11. ist Thorsten
Hampel, Juniorprofessor für Digitale und Kooperative Medien am
Department of Knowledge and Business Engineering der Universität Wien,
als Chatgast eingeladen!