BSE-Krise zwischen Agrar-Lobbyismus, Verbraucherschutz und Bauernopfern

Die BSE-Krise fordert Opfer und reißt Lücken, auf der Weide, in den Läden und in
den Ministerien. Nach den Rücktritten der Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer und
des Landwirtschaftsministers Karl-Heinz Funke sind die Wünsche der Opposition erfüllt
worden, obwohl eben diese Opposition zu Regierungszeiten auch nicht mit Wissen um die Gefahr
geprahlt hat. Das Thema Rindfleisch ist mit den Rücktritten noch lange nicht vom Tisch.
Schuld an der Krise haben nämlich alle ein bisschen, die Politik, die Bauern und der
Verbraucher.

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Überraschend ist denn auch
weniger das Auftreten von BSE-
Fällen
in Deutschland, als
vielmehr das vermeintliche
Erstaunen, der hektische
Aktio-
nismus und die an Schlamperei
grenzende Naivität auf Seiten

der politisch Verantwortlichen
aber ebenso bei den wütend
protestierenden Bauern und
empörten Verbrauchern. Ehrliche
Bestürzung
kann im Grunde nur
noch derjenige glaubhaft machen,
der bisher davon
ausgegangen ist,
dass Seuchen – insbesondere in einer durch
industrielle
Agrarproduktion, Subventionen und maßlose Mobilität geprägten
Wirtschaftsgemeinschaft – an Landesgrenzen halt machen würden. Also im Grunde
niemand mehr.

Daher gilt es vor allem zu hinterfragen, welche institutionalisierten Interessen bisher durch
wen in der deutschen BSE-Debatte vertreten wurden und wie sich die Positionen, Argumentations-
und Handlungsstrategien angesichts der jetzt bestätigten BSE-Fälle binnen kürzester
Zeit um 180-Grad gedreht haben. Die Interessen der Bauern, die nicht nur in ihren Verbänden,
sondern auch in den zuständigen Ministerien über ein vertretbares Maß hinaus
institutionalisiert sind und das politische Handeln in der BSE-Krise bestimmt haben, treten
plötzlich hinter den Verbraucherschutz zurück.

So wurden aus knallharten Agrar-Lobbyisten wie Ex-Landwirtschaftsminister Funke oder dem
Präsidenten des Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, über Nacht flammende Vertreter
von Verbraucherinteressen. Indem sie das zerstörte Image ihrer Klientel – zumindest
verbal – durch schonungslose Offenheit zurück gewinnen woll(t)en, betreiben sie unter den
gegebenen Umständen jedoch nichts anderes als Lobbyismus. Gesundheitsministerin Fischer
verteidigte hingegen bis zuletzt die Sicherheit der deutschen Wurst, obwohl sie sicherlich
nicht zu den Agrar-Lobbyistinnen zu zählen ist und eingestehen musste, dass sie selbst
keine deutschen Wurstwaren kaufen würde. Nach dem deutschen BSE-GAU war sie vor allem
darauf bedacht, die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz vom
Landwirtschaftsministerium auf das Gesundheitsministerium zu übertragen. Eine Forderung,
die angesichts der in ihrem Ressort eine Woche lang – bzw. vier Jahre – ignorierten
Risikowarnung für Wurstwaren durch die Bundesanstalt für Fleischforschung nicht gerade
für Vertrauen bürgt. Ebenso wenig wie der sich anschließende Aktionismus einer
Eilverordnung, die mangels juristischer Handhabe (keine "Gefahr im Verzug") nicht zu Stande
kam und noch relativ glücklich durch die Selbstverpflichtung der angeschlagenen
Fleischindustrie abgefangen wurde.

Auch das innerhalb einer Woche durch Kabinett und Parlament verabschiedete Tiermehlverbot
hinterlässt mehr Fragen als Antworten. Vor allem die, warum es nicht schon viel früher
beschlossen worden ist und warum das unter hochgradigem BSE-Verdacht stehende Rückenmark
von Rindern erst Anfang Oktober 2000 aus der Nahrungsmittelkette verbannt worden ist.

Aber auch der gutgläubige Verbraucher und der fahrlässige Landwirt müssen sich an
die eigene Nase fassen. Trotz der jahrelangen Diskussion über die BSE-Gefahr und
offensichtlicher Mängel bei der Prävention war das Vertrauen in die Politik,
Futtermittelhersteller und Fleischproduzenten quasi blind. Wer hatte bisher gewusst, was
Separatorenfleisch und Milchaustauschfutter ist und wie bzw. woraus sie gewonnen werden?
Wer hat sein Konsumverhalten konsequent umgestellt?

Zu gerne wurde den Beschwörungsformeln und Imagekampagnen geglaubt, nach denen deutsches
Rindfleisch BSE-frei sei und dem Verbraucherschutz mit einer Kennzeichnungspflicht genüge
getan werden könne. Ein Etikettenschwindel, wie sich herausstellen musste, der zum Bumerang
geworden ist, weil das dreifache D für Aufzucht, Schlachtung und Verarbeitung in
Deutschland im Verdachtsfall zum "Gütesiegel" für BSE-Fleisch wird. Die Reaktionen
der Nachbarländer, die deutsches Importfleisch verbannen und Wurstwaren aus den Regalen
räumen, zeigen dies überdeutlich.

Diese finale Option des Verbraucherschutzes ist zu oft die einzige Handlungsstrategie gewesen,
die auf der EU-Ebene und auch von den Bundesländern verfolgt worden ist. Im Mittelpunkt
stand dabei jedoch immer die "Reinheit" des eigenen Fleisches und weniger die Verantwortung
für die Gesamtheit des Marktes mit seinen Produzenten und Konsumenten.

In diesem Punkt haben stets die Interessen der Agrarpolitik dominiert und das politische
Handeln bestimmt. Die Politiker sind jedoch nicht allein für die gegenwärtige Situation
verantwortlich zu machen. Bauern, Fleisch- und Futtermittelindustrie haben entweder auf
fahrlässige Weise oder sogar wider besseren Wissens ihre Produktionspraktiken beibehalten.
Jetzt stehen sie vor dem Scherbenhaufen eines ruinierten Rindfleischmarktes. Um so
befremdlicher ist, dass gegenwärtig der Ruf nach Entschädigungen für die
betroffenen Bauern lauter zu vernehmen ist als ein Bekenntnis zu strukturellen
Veränderungen. Andere Branche sind auch unternehmerischen Risiken und den
Gesetzmäßigkeiten des Marktes ausgesetzt und nicht durch den Staat gegen eigenes
Missmanagement abgesichert.

Die Politik ist jedoch für ihr gegenwärtiges Krisenmanagement selbst verantwortlich.
Und für das zu Stande kommen der jetzigen Situation zumindest teilweise. Wer den nationalen
Fleischmarkt frei von BSE halten will muss, konsequent testen und darf seine Augen nicht vor
unliebsamen Tatsachen verschließen. Nicht untersuchte Verdachtsfälle befreien nicht
von BSE, sondern erhöhen die Verbreitungsgefahr und die Dunkelziffer. Mit Tiermehl
"verunreinigtes" – oder richtiger: systematisch bis an die Toleranzgrenze gepanschtes –
Mischfutter und falsch deklarierte Wurstsorten stellen kriminelle Delikte dar und verlangen
nach angemessenen Reaktionen.

Das zerstörte Vertrauensverhältnis von Bauern und Fleischproduzenten zu Ihren Kunden kann
letztendlich nicht durch die Politiker auf nationaler oder EU-Ebene gekittet werden, sondern
muss mühsam zwischen regionalen Anbietern und Abnehmern wieder aufgebaut werden. Freiwillig und
selbst durchgeführte Futter- und BSE-Tests könnten dies ebenso befördern wie eine
grundsätzliche Orientierung an den Prinzipien des ökologischen Anbaus und eine damit
verbundener Richtungswechsel in der Agrarpolitik. Aber auch hier ist zu beachten, dass mit dem
Ruf nach der Umverteilung von Subventionen in diese Richtung auch (Öko)Lobbyismus betrieben wird.