Journalisten werden weltweit zensiert, überwacht, und verfolgt – mit westlicher Informationstechnologie. Doch Demokratien unterstützen nicht nur die Cyberrepression der Autokraten. Sie setzen selbst Filtersoftware ein.
Wie es global um die Meinungsfreiheit im Internet bestellt ist, lässt sich am besten an einer Zahl und einem Datum ablesen: Als die UN-Menschenrechtskommission bestätigte, dass fundamentale Rechte wie das auf freie Meinungsäußerung auch im Internet gelten, unterzeichneten gerade mal 71 Länder die Resolution. Das Prekäre: Sie wurde vor weniger als einem Jahr – im Juli 2012 – verabschiedet.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass heute rund zwei Drittel aller Staaten kritische Stimmen und Informationen im Netz weder fördern noch formell anerkennen. Im Gegenteil: Internetzensur ist auf dem Vormarsch. Die Menschenrechtsgruppe Reporter ohne Grenzen prangert in ihrem Bericht “Feinde des Internet 2013” das global zunehmende Repressionspotential im Internet an. Für Journalisten und Blogger, die unabhängige Meinungen über Online-Kanäle verbreiten, birgt der technische Ausbau der digitalen Überwachung die Gefahr, ausspioniert und geortet zu werden. Aus Sicht der Zensoren mit Erfolg, wie die Zahlen von ROG belegen.
Weltweit wurden in diesem Jahr bereits 179 Journalisten und 148 Netzaktivisten (Netizens) in Haft genommen. China, Vietnam und Iran gehen besonders massiv gegen abweichende Meinungen im Internet vor. 58 Journalisten haben die drei Länder im laufenden Jahr bereits verhaftet, zudem 120 der weltweit 148 verhafteten Netizens. Reporter ohne Grenzen zählt China, Vietnam und Iran neben Bahrein und Syrien zu den ärgsten “Feinden des Internet”.
Staatliche Einschüchterung führt zu Selbstzensur
Im vergangenen Jahr wurden 143 Journalisten und Onlinedissidenten umgebracht. In 22 Ländern mussten Pressevertreter Verhaftungen fürchten, allen voran in der Türkei, China, Eritrea, Iran und Syrien. Rund halb so viele Staaten verfolgten auch die freie Meinungsäußerung im Internet. Die meisten Länder verzichten dabei sogar auf physische Gewalt oder (il)legale Inhaftnahme. Denn viele kritische Stimmen lassen sich viel eleganter verstummen. Was der Staat nicht mit Hilfe der Technik schafft, erledigt oft die Selbstzensur.
Die OpenNet Initiative (ONI), ein Gemeinschaftsprojekt dreier renommierter Forschungseinrichtungen in den USA und Kanada, beobachtet Filter- und Überwachungspraktiken in nahezu allen Ländern der Welt. Im Gegensatz zu Menschenrechtsorganisationen wie ROG oder Amnesty International beleuchten die ONI-Forscher die technischen Möglichkeiten der Internetzensur. Ihr Befund: Zur gängigen Praxis zählen die Blockierung unliebsamer Websites – es können IP-Adressen oder Urls geblockt oder individuelle Benützer-DNA verfälscht werden – sowie die Manipulation der Suchergebnisse bis hin zur Abschaltung unerwünschter Websites. Oft reicht bereits die Androhung rechtlicher Schritte aus, damit Autoren und Website-Betreiber kuschen und kritische Artikel verwässern oder aus dem Netz nehmen.
Jede Weltgegend hat spezielle Filterpraktiken
Dabei verfolgt jedes Land eigene Filterstrategien, um den Zugang und die Verbreitung von Informationen im Internet einzuschränken. In westlichen Ländern sind es vorwiegend Inhalte wie Pornographie (Europa/Australien), Extremismus und Hate Speech (Deutschland/Frankreich) oder Urherberrechtsverletzung (USA), die vom Netz genommen oder in Suchmaschinenlisten indexiert werden, oftmals zum “Schutz” der Bürger oder im Namen der nationalen Sicherheit.
In Europa hat letztes Jahr hat das umstrittene transnationale Projekt CleanIT wieder die Frage aufgeworfen, wo die Grenzen zwischen Cybersicherheit und Schutz der Privatsphäre verlaufen. Auch wenn das Projekt nach massiver Kritik gemäßigter daher kommt – in Europas Polizeibehörden werden längst ähnliche Filterprogramme getestet. Das IOCP-Projekt der EU steht für Identifying and Catching Originators in P2P Networks und soll kinderpornographisches Material und das Tauschverhalten entsprechender User erfassen und in polizeiliche Datenbanken einspeisen.
Die übrigen Weltregionen verfolgen sehr unterschiedliche Filterstrategien. Auf der einen Seite fehlen etwa in Lateinamerika weitgehend die legalen Voraussetzungen zur Anwendung von Zugriffsbeschränkungen, und in Subsahara-Afrika lässt die mangelnde IT-Infrastruktur staatliche Zensur-Bemühungen – mit Ausnahme von Äthiopien – überflüssig erscheinen. Auf der anderen Seite investieren Länder in Asien und im Nahen Osten und Nordafrika (MENA-Region) viel Geld und Mühe in technische Zensur- und Überwachungsmethoden.
Autokraten orten Journalisten mit deutscher Spyware
Es ist kaum verwunderlich, dass das Committee to Protect Journalist (CPJ) acht der zehn zensurwütigsten Länder Asien und der MENA-Region zuordnet. Die entsprechende Sicherheitstechnologie stammt von westlichen IT-Firmen, wie die Enthüllungsplattform Wikileaks in ihren Ende 2011 veröffentlichten Spy Files aufdeckte. Gaddafi, Mubarak oder al-Assad: Die im arabischen Frühling gestürzten Despoten und der im Todeskampf liegende Diktator verfolgten Online-Aktivisten und Journalisten mit Hilfe von Software aus den USA (Blue Coat Systems), Großbritannien (Sophos), Italien (Area), Frankreich (Amesys), Südafrika (Zebra) und Deutschland (Trovicor).
Für Reporter ohne Grenzen sind deshalb auch die führenden Technologie-Exportfirmen wie Gamma, Trovicor, Hacking Team, Amesys und Blue Coat Feinde des Internet. Die Unternehmen sind mitverantwortlich für die Unterdrückung von freier Meinungsäußerung in Regimen, die Software wie FinFisher’s Spy Kit zu Filter- und Überwachungszwecken beziehen. Bislang ignoriert die Politik weitgehend den Spagat zwischen der rhetorischen Unterstützung der weltweit geltenden freien Meinungsäußerung im Internet und der Inschutznahme marktwirtschaftlicher Prinzipien.
Nur im Fall von Iran und Syrien haben die USA und die EU mittlerweile ein Ausfuhrverbot von Sicherheits-IT beschlossen. Auch wenn das Europäische Parlament sich vor Kurzem für eine umfassende Ausfuhrbeschränkung für Überwachungstechnologie ausgesprochen hat, scheinen nicht alle Länder eine EU-weite Regelung anzustreben. Die Bundesregierung zumindest unterstützte in der Vergangenheit Technologieexporte deutscher Unternehmen tatkräftig. Deutschland gehört zu den 71 Ländern, die die Resolution der UN-Menschenrechtskommission unterschrieben haben.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Tintenkiller veröffentlicht.
Bild: Ahdieh Ashrafi (CC BY-NC-ND 3.0)