Der britische Premierminister Cameron hatte die sozialen Medien mitverantwortlich für die Unruhen von London im August ausgemacht. Ein am vergangenen Donnerstag tagender Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments untersuchte nun die Rolle von Online-Netzwerken bei den schweren Ausschreitungen im Sommer.
Die Tötung eines 29-Jährigen bei einem Polizeieinsatz im Londoner Stadtteil Tottenham hatte die am 6. August einsetzenden Krawalle ausgelöst. Das Ergebnis der vier Nächte andauernden Unruhen: Fünf Menschen kamen ums Leben und durch Plünderungen und Zerstörungen entstand ein Sachschaden in Millionenhöhe. Da die Randalierer ihre Aktionen auch über soziale Netzwerke koordiniert hatten, wurde in den Tagen nach den Krawallen der vermeintlich negative Einfluss sozialer Medien heftig diskutiert. Premierminister David Cameron forderte in einer Ansprache vor dem britischen Unterhaus ein hartes Durchgreifen der Behörden und regte an, soziale Medien in Krisenzeiten massiv einzuschränken sowie den Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf Nutzerdaten zu verschaffen. Während der Unruhen gingen bei Betreibern wie Facebook zahlreiche Datenanfragen der Polizei ein. Informationen über Nutzer wurden jedoch nicht preisgegeben.
Ein Untersuchungsauschuss des britschen Unterhauses wollte nun die Schuldfrage klären und analysierte dafür die Rolle der sozialen Medien. Neben Stephen Bates als Repräsentant des kanadischen Elektronikherstellers RIM stellten sich auch Vertreter von Facebook und Twitter den Fragen der britschen Abgeordneten. Insbesondere der Mitteilungsdienst von BlackBerry, das durch den kanadischen Hersteller vertrieben wird, sei für die Koordinierung der Krawalle genutzt worden. Dies ließe sich auf dessen verschlüsselte Kommunikation zurückführen, die im Gegensatz zu Twitter und Facebook nicht öffentlich zugänglich ist. Bates gab darüber hinaus zu Protokoll, dass sein Unternehmen künftig enger mit der Polzei kooperieren wolle. Des Weiteren könne er sich auch vorstellen, das Netzwerk bei Vorliegen einer rechtlichen Grundlage zeitweise abzuschalten. Allerdings gab er auch zu bedenken, dass es eine hohe Zahl gesetzestreuer Nutzer gebe, die durch solche Maßnahmen zu Unrecht diskriminiert werden könnten. Die Verteter von Facebook und Twitter meinten hingegen, dass sich ihre Netzwerke auf Grund der transparenten Kommunikationsstrukturen nicht für kriminelle Aktivitäten eigneten und sprachen sich gegen eine Sperrung sozialer Netzwerke in Krisenzeiten aus. Insbesondere weil Facebook & Co in Situationen wie dieser wichtige Kommunikationsinstrumente darstellten und während der Unruhen eine "Kraft des Guten" gewesen seien. So konnten sich beispielsweise Angehörige und Freunde nach dem Wohlbefinden ihrer Nächsten erkundigen. Dementsprechend sagte der Twitter-Anwalt Alexander Macgillivray, dass er es für eine absolut fürchterliche Idee halte, soziale Netzwerke in gesellschaftlich relevanten Situationen abzustellen. Zumal es keine Hinweise darauf gebe, dass diese für die Unruhen mitverantwortlich gewesen seien. Nach Aussage des Ausschussvorsitzenden Keith Vaz sollte die Möglichkeit einer Abschaltung in Krisenzeiten jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden – in Fällen von hoher Kriminalität oder Terrorismus sei dies durchaus legitim.
In Anbetracht dessen kann die Anhörung auch als Versuch der Regierung gewertet werden, die Duldung restriktiver Regulierungsmaßnahmen durch die Kommunikationsunternehmen auszuloten. Rädeslführern im Netz drohen übrigens drakonische Strafen: Zwei junge Männer wurden wegen Anstiftung zu Krawallen via Facebook zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt. Die Polizei nutzte die sozialen Netzwerke während der Unruhen gleichwohl auch aktiv zu Fahndungszwecken. So wurden unter anderem Videos und Fotos von Überwachungskameras auf der Fotoplattform Flickr veröffentlicht. Die Frage stellt sich, was die britische Regierung in der Zukunft mit diesen Erkenntnissen anfangen wird.