Am vergangenen Donnerstag fand die Coding und Bildung-Konferenz „Code{affair} 2017“ in Berlin statt. Veranstaltet wurde die Konferenz von der Initiative „Code your Life“, die als Teil des Programms Microsoft YouthSpark fungiert und vom 21st Century Competence Center im Förderverein für Jugend und Sozialarbeit e.V. umgesetzt wird. Unter dem Motto „Programmieren geht uns alle etwas an“ gewährten Experten aus Bildung, Coding-Initiativen, Werkstätten und Wirtschaft Einblicke in den aktuellen Stand der Digitalisierung an deutschen Schulen und Bildungseinrichtungen.
Programmieren noch nicht im Klassenzimmer angekommen
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge sind 93% der befragten deutschen Unternehmensentscheider und Lehrkräfte davon überzeugt, dass der Erwerb digitaler Kompetenzen entscheidend für den Erfolg in der Arbeitswelt von morgen sein wird. Welche Kompetenzen diese aber genau sein sollen, darüber herrscht große Uneinigkeit zwischen Lehrern und Unternehmern. Denn während fast jeder zweite Unternehmensentscheider zum Beispiel das Programmieren an Schulen befürwortet, finden nur 26% der Lehrer, dass es auch in den Lehrplan aufgenommen werden sollte. Während zwölf andere EU-Länder dies bereits planen, würde Deutschland an dieser Stelle noch große Chancen verschenken. Die Gründe sieht Thomas Bachem, Mitbegründer der Code University, vor allem im föderalistischen Bildungssystem, in der noch immer zu geringeren finanziellen Förderung, sowie in der Verstaatlichung der Schulen. Zusammengenommen würden diese ein strukturelles Hindernis sowie ein Mangel an Innovationen an Deutschlands Schulen bedeuteten. Daher sei es besonders wichtig, dass die Schulen aktiv ihre Bereitschaft zur Aufnahme digitaler Themen zeigen, ergänzte Alexander Rabe vom eco-Verband der Internetwirtschaft e.V.
Viele Lehrer fühlen sich aber überfordert mit der Thematik. Ihnen fehle neben der Fachkompetenz vor allem eine erste Anleitung, so ein Lehrer einer Grundschule in Berlin. Kritisiert wird auch der bereits überfüllte Lehrplan. Abhilfe könnte hier eine fächerübergreifende Integrierung des Programmierwissens leisten: Indem in den bereits bestehenden Schulfächern wie Deutsch und Musik über Sprache, Grammatik oder das Notenlesen Verbindungen geknüpft werden, könnten so leicht Zusammenhänge zur Sprache des Programmierens aufgebaut werden, schlug Thomas Schmidt von der Initiative Code your Life vor. So würde sich an der Gesamtzahl der Schulstunden nichts ändern. Nichtsdestotrotz bleibt der Bedarf an Weiterbildungen für Lehrer bestehen. Ein weiteres Beispiel zeigt, dass Coding auf spielerische Weise im Informatikunterricht mit Hilfe von Hardware-Erweiterungen für das populäre Videospiel Minecraft erlernt werden kann. Viele der teilgenommenen Experten fordern daher, mit dem Programmieren bereits in der Grundschule oder gar im Kindergarten anzufangen.
Programmieren oder digitale Kompetenzen?
Ob aber auf diese Weise das Ziel, nämlich die Befähigung der Heranwachsenden an der kompetenten Teilhabe an einer digitalisierten Gesellschaft, erreicht werden kann, bleibt offen. Denn: Digitale Kompetenzen und das Programmieren bzw. „Coden“ sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Während beim ersten die digitale Mündigkeit vorangetrieben werden soll, also die Fähigkeit, Medien und ihre Inhalte den eigenen Zielen und Bedürfnissen entsprechend sachkundig nutzen zu können, geht es beim Programmieren um die Vermittlung rein technischer Kompetenzen. Die beiden Bereiche bedeutungsgleich zusammenzuführen erweckt daher den Eindruck, der Ruf nach digitalen Kompetenzen fungiere hier eher als Deckmantel für den Auf- und Ausbau der technischen Fertigkeiten der Schüler.
Dass aber digitale Grundkompetenzen in nahezu allen Berufen der Zukunft von Bedeutung sein werden, darin waren sich die verschiedenen Teilnehmer in ihren Vorträgen einig. Viele gingen sogar so weit zu behaupten, dass das Programmieren die Sprache der Zukunft sei. Keine Kommunikation mehr ohne Coding-Fertigkeiten also? Julia Eckelhoff, Leiterin der Digitalwerkstatt in Berlin, in der Kinder an das Programmieren herangeführt werden, Roboter bauen und experimentieren, ist jedenfalls der Meinung, dass zumindest „das Digitale“ auch fest in die Lebenswelt von Kindern gehört. Eine Anmerkung der Leiterin blieb aber besonders in Erinnerung: Die meisten der Anmeldungen in ihrer Digitalwerkstatt würden nur aus bestimmten gesellschaftlichen Schichten stattfinden. Auf die Frage, ob im Coden Potenzial für Integration und Inklusion gesehen werde, lenkte Thomas Schmidt die Aufmerksamkeit auf bereits laufende Coding-Projekte für Flüchtlinge. Inwieweit aber hierbei von Inklusion gesprochen werden kann, wenn Flüchtlinge unter sich das Coden lernen, bleibt fragwürdig.
Insgesamt gestaltete sich die Veranstaltung vor allem als innovationsfreudig. Verschiedene Verantwortliche aus den Bereichen Bildung und Digitalisierung kamen zu Wort und man konnte sich regelrecht vom Enthusiasmus der Vortragenden anstecken lassen. Dagegen blieben kritische Meinungen und Debatten seitens der Experten gänzlich aus. Eine kritische Betrachtung über den frühen Einsatz digitaler Medien in Kindergärten fand genauso wenig statt wie die Frage nach dem Nutzen von Programmierfähigkeiten für zum Beispiel künstlerisch-affine Schüler und Schülerinnen.
Titelbild: Code your Life