Der Online-Wahlkampf ist vorbei – und damit auch die Vergleiche mit der Über-Referenz Obama. Aber warum eigentlich? Denn auch bei der Regierungsbildung setzte der US-Präsident Maßstäbe in der digitalen Mediennutzung.
In der Übergangsphase zwischen dem Wahlsieg von Barack Obama im November 2008 und der formellen Amtsübernahme im Januar 2009 lagen arbeitsreiche Monate der so genannten Presidential Transition. In dieser von langer Hand geplanten Übergangsphase vollzieht sich der eigentliche Regierungswechsel und das Regierungsteam nimmt Gestalt an. Auch das inhaltliche Profil wird geschärft. Obwohl die USA ein präsidentielles System haben, hatten einige Verhandlungen durchaus Ähnlichkeiten mit den gerade in Deutschland gestarteten Koalitionsverhandlungen.
Koalitionsverhandlungen: Funkstille im Web
Auch in Deutschland hat gerade eine Transitionsphase begonnen, von der Großen Koalition hin zur Regierung von Union und FDP.
Doch kommunizieren die Verhandelnden irgendwo über das Internet? Wohl eher nicht. Zwar hat es sich in der deutschen Politik im Laufe des Jahres 2008 herumgesprochen, dass die Werkzeuge des Web 2.0 gut für den Online-Wahlkampf seien. Doch dass man auch über den Wahltag hinaus politische Arbeitsroutinen digital anreichern kann, ist wohl das nächste Neuland in der deutschen Politik.
Von Obama lernen
Werkzeuge der Web 2.0-Kommunikation könnten auch in den Koalitionsverhandlungen sinnvoll eingesetzt werden. @kre8tiv hat bei einer kleinen Umfrage des Autors auf Twitter mit deutlich weniger als 140 Zeichen einen ersten Vorschlag für die Begleitung der Aushandlungen vorgelegt: "Arbeitsgruppen: Wikis | Kurze Zwstände: Microblogging | Bündelung des Tages: Vorsitzenden Blogs".
Mit diesen Online-Werkzeugen wäre schon mal eine minimale Begleitung der komplexen Verhandlungen aus der Innenperspektive möglich. Mit einem kontinuierlichen Informationsfluss direkt aus dem Verhandlungsgeschehen heraus wäre außerdem der Spekulationswut der Hauptstadtmedien ein Kontrapunkt gesetzt – und eine aktive Beeinflussung der öffentlichen Debatte ist sicherlich im Interesse der verhandelnden Akteure.
Ein Blick auf die Aktivitäten im Umfeld der Obama-Transition im vergangenen Herbst kann weitere Impulse liefern. Unter dem Motto "Your Seat at the Table" waren vormals interne Besprechungen von Arbeitsgruppen per Online-Video zugänglich gemacht worden. Parallel dazu schilderten die Leiter dieser Meetings knapp die Diskussionsgegenstände und riefen interessierte Bürger zur Kommentierung in einem "Citizen Briefing Book" auf. Aus dieser, letztlich zwar nur symbolischen, Öffnung resultierten mehrere zehntausend Einträge auf der Website zum administrativen Wandel, change.gov.
Eine derartige Digitalisierung werden wir hierzulande wohl nicht erleben – obwohl die Domain koalitionsverhandlungen.de bereits registriert ist. Allerdings liegen die Rechte bei einer GmbH in Landshut. Es ist unwahrscheinlich, dass der Domaininhaber in den nächsten Tagen offizielle Anfragen dafür erhalten wird.
USA: Übergangsphase hin zur modernen Regierungskommunikation
Die Übergangsphase vom Wahlsieger Barack Obama hin zum Präsidenten war im Nachhinein betrachtet ein Vorbote für eine allmähliche Modernisierung der US-Regierungskommunikation. Personelle Umstruktierungen und die Etablierung neuer Positionen im Bereich Online-Medien und E-Government begannen bereits vor der offiziellen Amtsübernahme. Außerdem gewinnen in den USA ganz allmählich Konzepte wie "Government 2.0" an Kontur.
Trotz aller Systemunterschiede zwischen Washington und Berlin könnte man nun auch die Performance der Koalitionsverhandlungen als ersten Maßstab für den Willen zur Weiterführung der Online-Aktivitäten aus dem Wahlkampf ansehen. Wir werden sehen, ob das Web 2.0 nur einen Sommer lang politisch aufblühen durfte – und nun wieder ein typisch deutscher Offline-Herbst folgt.
Weitere Anregungen für die Nutzung des Web 2.0 in den Koalitionsverhandlungen gerne auch hier in den Kommentaren!
Aus dieser, letztlich zwar nur symbolischen, Öffnung resultierten mehrere zehntausend Einträge auf der Website zum administrativen Wandel, change.gov.
Wenn es in Deutschland ebenfalls eine solche symbolische Öffnung geben würde, wäre das Geschrei schon wieder groß: Die dort oben wollen uns doch verarschen und meinen es gar nicht ernst!
Egal was mir hier entgegnet wird, ich denke so würde es laufen. Schließlich war die politische Debattenkultur im Internet in der letzten Zeit nicht unbedingt von Höflichkeit und Respekt geprägt.
Auch zeigt sich hier wieder eine ziemliche Arroganz von Seiten der Netzwelt (und auch ich bin ein Teil dieser). Wieso sollten Arbeitsgruppen Wikis nutzen, wenn es ohne bisher auch ging. Nur, damit eine Hand voll Leute sich die Einträge ansieht? Klar kann man Tests machen, aber bewährtes sollte man doch auch weiterhin nutzen.
Die Idee mit Microblogs bzw. den Vorsitzenden Blogs finde ich allerdings nicht schlecht. Diese würden aber die klassischen Methoden (Informationen durchsickern lassen, Pressemeldungen, Pressekonferenzen) nicht ersetzen.