“Guten Abend, die Grünen”
Bei den Grünen ist das Ganze weniger stramm organisiert. Zwar ruft der Bundesverband seine Mitglieder dazu auf, Canvassing zu betreiben und spricht Empfehlungen zum Vorgehen aus. Einige Landesverbände stellen außerdem Erklär-Videos und –Texte online oder schulen die Wahlkämpfer im „Straßenwahlkampf“. Dennoch bleibt es den einzelnen Orts- und Kreisverbänden selbst überlassen, ob und wie sie den Haustürwahlkampf gestalten. So haben auch die Grünen in Tempelhof-Schöneberg alles selbst organisiert. Die Kommunikation der Wahlkämpfer untereinander läuft über Telefon und E-Mail, eine deutschlandweite Plattform und eine zentrale Steuerung des Haustürwahlkampfs gibt es nicht. Ebenso wenig wie ein einheitliches schriftliches Konzept, das allen Verbänden zugeschickt wird. Doch die Grünen agieren nicht im luftleeren Raum: Vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 warben die Grünen auch mithilfe des Haustüren-Wahlkampfes für die eigene Partei. Eine Auswertung der dort erfassten Daten lässt laut eigenen Angaben den Schluss zu, dass das Canvassing sowohl zur Mobilisierung von Wählern, als auch zu einem besseren Abschneiden der Partei beigetragen hat. Auch deshalb setzt Bündnis 90/Die Grünen bei dieser Bundestagswahl verstärkt auf den Tür-zu-Tür-Wahlkampf.
Wie läuft das nun bei den Grünen in Schöneberg ab? Auch hier sind es in erster Linie Parteimitglieder, die klingeln gehen, auch einige ältere Semester sind mit von der Partie. Und auch bei den Grünen ist das Canvassing in erster Linie eine Erststimmenkampagne. In Schöneberg wird beispielsweise für die Direktkandidatin Renate Künast geworben. Ähnlich wie bei der Neuköllner SPD laufen die Grünen zu mehreren los. Sehr schnell wird deutlich, dass die Routine noch fehlt und vieles ausprobiert wird. So rätselt das Team der Grünen vor der Eingangstür zu einem Mehrfamilienhaus darüber, welcher Begrüßungssatz die Türen am ehesten öffnen wird: „Hallo, Wahlwerbung“ beispielsweise wird nach mehreren erfolglosen Versuchen verworfen und durch „Guten Abend, die Grünen“ ersetzt.
An den Wohnungstüren treten die Wahlkämpfer dann alleine auf. Anders als die Gruppe der SPD machen die Grünen ihr Auftreten noch deutlich stärker von der Reaktion der Bewohner abhängig. Meist stellt sich der jeweilige Wahlkämpfer nur kurz vor („Hallo, ich komme von Renate Künast“), übergibt einen Flyer und zieht weiter. Manchmal erkundigen sie sich darüber hinaus, ob denn Fragen bestünden – die hatte am vergangenen Donnerstag aber kaum einer. Generell fallen die Reaktionen auf das Team sehr verhalten aus. Ein Großteil der Befragten nimmt den Flyer zwar entgegen, bezeichnet die Situation der beobachtenden Begleiterin gegenüber aber als unangenehm und störend: Das Klingelputzen habe „so was Baptistenmäßiges“, meint eine junge Frau, deren Kinder im Hintergrund brüllen. Andere öffnen ihre Tür abends schon aus Sicherheitsgründen nur ungern, insbesondere Rentner sprechen dieses Problem an. Viele der besuchten Personen haben grundsätzlich nichts dagegen, von Wahlkämpfern angesprochen zu werden – solange das nicht vor der eigenen Wohnung passiert. Und so mancher wundert sich, dass die Grünen an jeder Tür klingeln, nur um einen einzigen Flyer zu verteilen. Andere Reaktionen fallen positiver aus. Denn die Grünen bewegen sich in einem Viertel, in dem sie viele Anhänger haben. Dementsprechend lassen sich einige auch mit der Bemerkung „Na gut, weil ihr es seid“ auf die Situation ein. Und vereinzelt wird die Aktion auch explizit begrüßt: Ein Paar mittleren Alters findet es schön, dass man endlich mal direkt Kontakt zur Partei hätte, „so wie früher bei uns auf dem Land“. Generell fällt auf, dass vor allem diejenigen die Aktion befürworten, die schon vorher von ihr gehört haben – ein Ergebnis, das letztendlich für die Haustürenaktionen spricht. Und dafür, Werbung dafür zu machen, um die Neugier der Menschen zu wecken.
Fazit
90 Prozent positive Reaktionen, so wie das im Vorgespräch mit den Grünen angekündigt wurde –das können wir nicht bestätigen. Das Konzept der SPD, gezielt drei konkrete Fragen zu stellen, also Interesse zu zeigen und die Leute zum Reden zu bringen, scheint vielversprechender zu sein. Aber trotz der Gleichgültigkeit vieler Leute und teils negativer Reaktionen – die Besuche der Wahlkämpfer werden die vielen unterschiedlichen Menschen wohl kaum vergessen. Und vielleicht reicht schon das, um den einen oder anderen potenziellen Nicht-Wähler an die Urne zur bringen. Frederic Carpenter von den Grünen fasst es wie folgt zusammen: „Das Ziel des Haustürwahlkampfes ist es nicht, die Leute glücklich zu machen, sondern sie für die Wahl zu mobilisieren.“ Denn auch in den USA seien die Menschen selten hoch erfreut über die Besuche der Parteien – einen positiven Effekt auf die Wahlbeteiligung hat das Canvassing dort trotzdem.
Die Wahlkämpfer beider Parteien sind auf jeden Fall gerne unterwegs und haben in den letzten Wochen eine Menge Erfahrung mit dem Haustürwahlkampf gesammelt. Bei SPD-Gummibärchen und Bier hat sich das Team der Sozialdemokraten nach der Aktion am Mittwoch noch einmal für eine halbe Stunde zusammengesetzt. Und ein positives Resümee des Tages gezogen. Solange die Leute ihre Türen öffnen und sich zumindest einige von ihnen auf ein Gespräch einlassen, sind die Wahlkämpfer zufrieden. Bis zur Wahl werden sie sicher noch an einigen Türen klingeln. Und das vermutlich auch in zukünftigen Wahlkämpfen tun.
Bilder: Thilo Hilberer (CC BY-ND 2.0), politik-digital.de