Wenn auf den deutschen Fernsehern im Vorfeld von Wahlen die Werbespots der sog. "Splitterparteien" flimmern, dann
provoziert dies im Regelfalle zwei mögliche Reaktionen: Ablehnung und Wut über die extremistischen Äußerungen vor allem
rechtsextremer Gruppierungen und Gelächter und Schadenfreude über die oft unbeholfenen Versuche gemäßigter Kleinparteien,
es in der Qualität ihrer Selbstdarstellung den großen gleich zu tun.

Tatsächlich sind die demokratischen Kleinparteien in Deutschland in einer wenig beneidenswerten Lage, was die Verbreitung
ihrer Programmatik, die Wahl- und Mitgliederwerbung sowie die allgemeine Selbstdarstellung angeht: Von den Medien ignoriert
oder belächelt, bei Infoständen und Veranstaltungen von den Bürgern kaum besucht oder nur beschimpft, bewegen sich die
Aktivisten von Kleinparteien in einem sehr schwierigen Umfeld. So ist es wenig verwunderlich, daß sie das Internet als
Plattform zur Selbstdarstellung entdeckt haben und in einer oft sehr professionellen Art und Weise nutzen. Vor allem die
Mehrzahl der nicht extremistischen Kleinparteien sieht darin eine Chance, mit vorgefaßten Meinungen aufzuräumen und
Vorurteile zu bekämpfen.

Die Unterschiede verwischen sich
Während in den Wahlergebnissen, bei der Mitgliederzahl und beim politischen
Einfluß die Unterschiede zwischen den etablierten Großparteien und ihrer "kleinen
Verwandtschaft" im Null-Komma-Ghetto recht offensichtlich sind, verwischen sich
diese in bezug auf die Webpräsenz. Im Internet, so muß man den Eindruck gewinnen,
sind alle gleich – mehr als eine gut gestaltete und intelligente Homepage muß
man nicht haben, um mit der großen Konkurrenz gleichziehen zu können. Viele
der sonst unterprivilegierten Kleinparteien haben diese Chance sehr früh genutzt
und können sich der Konkurrenz stellen. Die Vorteile sind eindeutig: Wer sich
heute primär über das Internet informiert, um eine Wahlentscheidung zu treffen,
bekommt ein relativ gleich gewichtetes, nicht durch den Filter mehr oder weniger
gewogener Mediendarstellungen gesiebtes Bild vorgesetzt und hat in der Tat das
Maß an Informationsvielfalt, das für eine demokratische Grundentscheidung notwendig
ist. Vergleicht man die Internet-Angebote der großen und kleinen Parteien, so
werden die Unterschiede geringer, nicht zuletzt deswegen konzentrieren viele
Kleinparteien ihre oft bescheidenen Ressourcen auf eine einigermaßen gut gemachte
Homepage. Die Online-Präsenz von Parteien wie der Ökologisch-Demokratischen
Partei
oder auch der Partei Bibeltreuer Christen
kann sich mit den Angeboten der großen Konkurrenz durchaus messen lassen. Doch
selbst Kleinstgruppierungen wie die etwa 140 Mitglieder umfassenden Liberalen
Demokraten
, die sich 1983 aus Frustration über den Koalitionswechsel von
der FDP abgespalten haben, leisten sich eine möglichst umfassende und umfangreiche
Homepage.

Das Minimax-Prinzip
Die Vorteile liegen auch deswegen auf der Hand, weil Kleinparteien durch eine Internet-Präsenz Informationen, auch
umfangreiche programmatische Aussagen und das notwendige Maß an Interaktivität bereitstellen können, für die normalerweise
aufwendige Druckwerke, ständige Präsenz vor Ort und oft kaum zu erreichende Medienpräsenz notwendig wären. Für eine Partei
mit einem nur kleinen, im Regelfalle ehrenamtlichen Mitarbeiterstab ist die Verankerung durch ein Internet-Angebot ein
ideales Präsentationsverfahren, das maximalen Ertrag bei minimalem Aufwand verspricht. Diskussionsforen und Gästebücher
sind dabei oft Schnittstellen zur Öffentlichkeit, die Anfragen und Bekundungen von Interesse für den Bürger ermöglichen,
der sich sonst vielleicht scheuen würde, länger am Infostand "so einer" Partei zu verweilen. Da Kleinparteien in
Deutschland oft mit dem Stigma der "Verrückten" und "Extremen" bedacht sind – obwohl die Verrückten und Extremen bei den
über 90 Kleinparteien eindeutig in der Minderzahl sind -, bietet die Internet-Präsenz einen Kanal zum politisch nach
Alternativen suchenden Bürger, der auch psychologische Hemmschwellen abbaut. Dazu gehört auch, daß das Internet die
Möglichkeit bietet, eine Parteigründung vorzubereiten und potentielle Interessenten anzuwerben: Das ist nicht gut gelungen
bei der "demokratischen europäischen partei für telekommunikation" (d.e.p.t.), bei der es nie zu einer Parteigründung kam
und deren Website dementsprechend wieder im elektronischen Nirwana versank, und wird zur Zeit von der
Föderalistischen Partei Deutschlands" (FÖDPD) bzw. ihrem Gründungskomitee versucht.

Grenzen eines Konzepts
Die Grenzen werden dann im Detail offenbar: Sind Internet-Angebote von Kleinparteien stark abhängig von einer Person, ist
ihre Qualität fluktuierend und ihr Bestand manchmal gefährdet. Als nach dem internen Streit innerhalb des Bundes freier
Bürger (BFB) die gemäßigte Fraktion um den ehemaligen Parteichef Manfred Brunner das sinkende Schiff verließ, ging die
aufwendige und ansprechende Homepage der Partei gleich mit unter und wurde noch nicht durch eine Alternative ersetzt. Und
dort, wo das notwendige Know-how entweder nicht vorhanden oder nur unzureichend genutzt wird, verbleiben die Websites auf
dem Niveau plakativer Darstellungen von einfachen Aussagen, die das Informationsbedürfnis nur sehr oberflächlich befriedigen
dürften. Die Websites der Grauen sowie des
Liberalen Forum Deutschlands sind eher einfach gestrickt.

Neue Chancen durch das Internet?
Damit bleibt die Frage, ob die aktive und beachtliche Internet-Präsenz der Kleinparteien ihren politischen Aspirationen
größere und neue Chancen bereitet. Im Grunde sind die Hemmnisse und Rahmenbedingungen für Kleinparteien in Deutschland zu
schwierig, um durch dieses eine Instrument die grundsätzlichen Probleme ihrer politischen Existenz zu lösen: Mißtrauen und
Vorurteile in der Wahlbevölkerung, die begrenzten Ressourcen, Politik- und vor allem Parteienverdrossenheit, innere
Probleme und Zerwürfnisse – die Liste ist sehr lang und nur wenige dieser Probleme können durch die Nutzung des Internet
angegangen werden. Das neue Medium hat jedoch ohne Zweifel dazu beigetragen, die sonst oft nur – auch aus bloßer
Unkenntnis – belächelten politischen Zwerge aus ihrem Ghetto etwas herauszuholen. Die Präsenz ihrer Aktivisten und
Mitstreiter in politischen Foren und Newsgroups und die Besuchsfrequenz auf ihren Websites sprechen eine deutliche Sprache.
Hier hat das Internet einen wichtigen und hilfreichen Beitrag zur Öffnung der politischen Diskussion in Deutschland
geleistet, den man nicht unterschätzen sollte.

 


Priv.-Doz. Dr. Dirk van den Boom, Politikwissenschaftler an der Universität des Saarlandes, ist Autor des Buches
"Politik diesseits der Macht?", das im August dieses Jahres erschienen ist und sich mit der Arbeitsweise, Stellung und
Funktion von Kleinparteien in Deutschland auseinandersetzt.