Kleinkinder, die ein Smartphone bedienen, bevor sie laufen oder sprechen können. Grundschüler, die in sozialen Netzwerken aktiv sind. Teenager, die eigene Videokanäle betreiben und bloggen. Das gehört längst zur medialen Realität. Doch die Anforderungen an den Erwerb digitaler Kompetenz von Kindern und Jugendlichen sind hoch.

Die Spielzeugbranche hat es längst erkannt: Sogar die Allerkleinsten sind fasziniert von Tablets und Smartphones. Früh haben sie begriffen, dass man über das Display wischen muss, um das nächste Foto aufzurufen. Kinder erleben täglich, wie ihre Eltern mobile Endgeräte nutzen und wollen es ihnen gleichtun. Dementsprechend haben inzwischen fast alle großen Spielzeuganbieter das Kindersmartphone in ihrem Sortiment. Ausgezeichnet sind die Produkte für die Altersgruppe ab sechs Monaten. Die Firma Fisher-Price bietet eine kindgerechte iPhone-Halterung an, damit auch Kleinstkinder das elterliche Telefon benutzen können, ohne dass das Display in tausend Scherben zerspringt. Blinkende und laute Spielzeuge sind ohnehin extrem beliebt – doch sollen Kinder, die noch nicht einmal ein Jahr alt sind, schon mobile Endgeräte bedienen? Und wie sinnvoll sind Apps speziell für Kleinkinder?
Digitale oder analoge Kleinkinder?
Die vom Bundesfamilienministerium (BMFSJF) gemeinsam mit ARD, ZDF, Vodafone und TV Spielfilm geförderte Ratgeber-Initiative „Schau Hin“ empfiehlt den von Eltern begleiteten Medienkonsum ab einem Alter von drei Jahren. Es sei wichtig, dass die Kinder zuvor die „reale“ Welt kennenlernen und im Kreise der Familie, mit Gleichaltrigen und in der Natur spielen. Diese Empfehlung ergibt durchaus Sinn, denn Kleinkinder sind noch nicht in der Lage, Realität von Fiktion zu unterscheiden. Frühkindlicher Medienkonsum kann zu eingeschränktem Realitätsbezug und Störungen in der Entwicklung, Aufmerksamkeit, Sprache und Motorik führen. Das gilt auch für ältere Kinder, wenn diese zu viele oder unangemessene Medien konsumieren.
Bei der Nutzung von Apps scheiden sich die Geister. Es gibt sehr aufwendig und liebevoll gestaltete Apps, die es kleinen Kindern ermöglichen, sich mit Inhalten ihrer eigenen Lebenswelt zu beschäftigen. Für Eltern kann es praktisch sein, nicht verschiedene Bücher mit sich herumtragen zu müssen und sie stattdessen auf dem Tablet abzuspeichern. Kritiker wenden jedoch ein, dass das Kind bei der Medienauswahl auf dem Tablet immer Unterstützung braucht und nicht selbst ein Buch aussuchen kann, indem es dies aus dem Regal zieht.
Für Kinder ab drei Jahren empfiehlt „Schau Hin“ Mediennutzung daher „in steter Begleitung der Eltern und in überschaubarem Maße (…), wenn das Kind auch Interesse daran zeigt. Dabei sind Tablets leichter und intuitiver zu bedienen als Laptops oder Computer. Diese sind erst ab dem Vorschulalter geeignet.“ Ähnlich äußern sich auch die Autoren des zweiten Zwischenberichts der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft. Sie merken an, dass kindgerechte Angebote sich auch an den motorischen Fähigkeiten der jungen NutzerInnen orientieren müssen. Weiterhin sollten Kinder die Chance haben, das im Internet erworbene Wissen selbständig in ihr eigenes Lebensumfeld einzuordnen.
Kindliche Medienwelten: Für Erwachsene schwer verständlich
Während für Klein- und Vorschulkinder die Frage im Vordergrund steht, ob überhaupt Medien genutzt werden sollten, wird mit zunehmendem Alter auch das „Wie“ relevant. Mit dem Erwerb von Lese- und Schreibkompetenz erweitert sich auch das Spektrum der digitalen Möglichkeiten. Auf die Förderung von Medienkompetenzerwerb sollte in diesem Alter sogar verstärkt Wert gelegt werden. Denn zunehmendes Alter bedeutet zugleich zunehmende Autonomie und Selbstständigkeit der Mediennutzung. Oft wird der selbstbestimmte Konsum auch von den Kindern selbst eingefordert. Grundsätzlich ist das positiv zu werten, doch Kinder brauchen dann Regeln, die sicherstellen, dass nur altersgerechte Angebote wahrgenommen werden. Aber was ist altersgerecht?
Der Bericht „Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche – Eine Bestandsaufnahme“ des Bundesfamilienministeriums zitiert Forschungsergebnisse, die belegen, „dass Kinder aktive Rezipienten sind, d. h., sie interpretieren viele Medieninhalte ganz anders, als es Erwachsene tun. Dies macht die Medienerziehung in der Familie und im Kindergarten nicht gerade leichter, denn die Scheinsicherheit von „pädagogisch gut“ und „schlecht“ ist dadurch infrage gestellt. Ein kindorientiertes Urteil über eine Sendung (oder andere Medienangebote) lässt sich ohne die Aussagen und Sichtweisen der Kinder kaum finden“. Der Stempel „pädagogisch wertvoll“ ist also eigentlich wertlos, da Kinder nicht denselben Geschmack wie Erwachsene haben. Es ist vielmehr sinnvoll, sich mit dem Kind über seine Vorliebe für bestimmte Figuren oder Themen auszutauschen, um zu verstehen, woher diese kommt, rät das Landesmedienzentrum Baden- Württemberg. Andere Studien haben herausgefunden, dass Kinder medial gezeigte Gefühle anders verarbeiten als Erwachsene. So haben Kinder tendenziell Probleme damit, emotionale Darstellungen zu verstehen, wenn diese durch Figuren oder Puppen stattfindet.
Laut des oben zitierten Berichts des Familienministeriums ist auch widerlegt, dass Kinder medial reizüberflutet werden. Ganz im Gegenteil – sie sind in der Lage, Inhalte bewusst auszuwählen und in ihren Alltag zu integrieren. Kann ein Sechsjähriger also bedenkenlos das Egoshooter-Computerspiel „Call of Duty“ spielen? Mit Sicherheit nicht. Die Wissenschaft streitet sich allerdings über den Einfluss von gewaltverherrlichenden Bildern auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Fest steht jedenfalls: Jugendschutz ist notwendig, um Kinder und Jugendliche auch vor sich selbst zu schützen. Sie sind noch nicht in der Lage, zu differenzieren. Diese Unerfahrenheit bringt es auch mit sich, dass sie nicht um die Möglichkeiten wissen, sich selbst zu schützen.
Laut der jüngsten KIM-Studie („Kinder+Medien, Computer+Internet“) des medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (gefördert von den Landesmedienanstalten Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg) sind 44 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen bereits in sozialen Netzwerken aktiv. Das ist insofern problematisch, als das von der Mehrheit dieser Gruppe (55 Prozent) genutzte soziale Netzwerk Facebook laut Community-Richtlinien erst ab 13 Jahren erlaubt ist. Eine wirksame Barriere stellt diese Regel nicht dar – die Schwelle kann durch die Angabe eines höheren Alters ganz leicht umgangen werden.
Darüber hinaus steht Facebook wegen seiner Datenschutzpolitik in der Kritik. Selbst ältere Jugendliche und Erwachsene haben meist Probleme, die richtigen Datenschutzeinstellungen zu treffen. Wie schwierig – wenn nicht gar unmöglich – muss dies erst für Kinder sein? Die Autoren der KIM-Studie, die Kinder regelmäßig zu ihrem Mediennutzungsverhalten befragt, stellen fest: „[Es] dürfte (…) vor allem für Kinder sehr schwer sein, die Diskussion zum Thema Datenschutz und Datensparsamkeit zu verstehen und die möglichen Folgen der Veröffentlichung von privaten Informationen vorauszusehen.“ Im Folgenden listen sie die von Kindern im Internet hinterlegten Informationen auf. Nur wenige nennen ihre Handynummer oder veröffentlichen Internettagebücher. Fotos von sich selbst und Freunden oder Informationen über Hobbies werden jedoch wesentlich häufiger und freimütiger preisgegeben, als das noch in den vorhergehenden KIM-Studien 2010 und 2008 dokumentiert war. Es fällt auf, dass ältere Kinder eher dazu tendieren, ihr Profil zugangsbeschränkt einzustellen. Dies ist sicher ein Indiz dafür, dass diese bereits mehr für das Thema Datenschutz sensibilisiert sind.
Jung, medienkompetent und verantwortungsvoll?
Der „große Bruder“ von KIM, die JIM-Studie, bestätigt diesen Trend: Je älter die Jugendlichen, desto skeptischer werden sie in puncto Datensicherheit. Das ist grundsätzlich positiv zu werten, doch berichteten die Jugendlichen zugleich, dass sie viel mehr Informationen in Form von Fotos, Videos oder Kontaktdaten von sich im Internet hinterlegen. Ein Paradoxon?
Aus entwicklungspsychologischer Perspektive dient das Internet den Jugendlichen vor allem als Plattform, um sich medial selbst zu inszenieren. Der Austausch mit Gleichaltrigen findet unter anderem statt, um digital die eigene Identität zu erproben. In diesem Lebensabschnitt ist es so wichtig wie nie zuvor, Autonomie durch den Erwerb von Medienkompetenz zu erlangen. Diese wird Grundlage für die Fähigkeit zur Mediengestaltung.
Doch das selbstständige Medienhandeln im digitalen Raum hat auch Schattenseiten: Cybermobbing ist insbesondere für 14- bis 16-Jährige ein Thema. Die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes stellt klar: „Das Internet scheint die Hemmschwelle für Mobbingaktivitäten zu senken. Viele Kinder und Jugendliche trauen sich in der scheinbar anonymen virtuellen Welt eher, eigene Angriffe gegen andere, Beleidigungen oder Bloßstellungen von Menschen zu vollziehen.“ Dabei fehlen ihnen häufig das Unrechtsbewusstsein und die Sensibilität für das eigene Handeln. Die Reaktionen der Betroffenen erleben sie nicht unmittelbar. Dass Cybermobbing-Opfer bis „ins Kinderzimmer“ verfolgt werden, so dass sie sich der Drangsalierung gar nicht entziehen können, mache Cybermobbing noch schwerwiegender als klassisches Mobbing, wie das Bündnis gegen Cybermobbing auf seiner Website schreibt. Zudem bedenken die TäterInnen oft nicht, dass sie mit ihren vermeintlich scherzhaften Aktionen Straftaten begehen. Stetige Aufklärung bleibt also ein wichtiger Bestandteil von Medienbildung.
Mediale Räume geben Jugendlichen die Möglichkeit, die eigene Lebenswelt selbst zu gestalten und sie mit der sozialen, kulturellen und politischen Welt in Beziehung zu setzen. Ein Bewusstsein für Datenschutz hat sich bei vielen schon herausgebildet, muss aber weiter gestärkt und unterstützt werden, um ihnen zu verdeutlichen: Wer große Mengen an Information über sich veröffentlicht, wird auch im Privaten zu einer öffentlichen Person. Die Häufigkeit von Cybermobbing unter Jugendlichen zeigt, dass sie die Konsequenzen ihres eigenen Handels noch nicht vollständig überblicken können. Dazu bedürfen sie kompetenter Anleitung. Wie wichtig mündige MedienbürgerInnen für die digitale Gesellschaft sind, ist hinlänglich bekannt. Sie dazu zu befähigen, ist Aufgabe der Eltern, des Staates und insbesondere der Bildungseinrichtungen.
Bild: Donnie Ray Jones
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