Die Linie führt vom Mainz des 15. Jahrhunderts direkt ins Silicon Vally: Der Grundstein zum
digitalen Zeitalter wurde vor 550 Jahren gelegt. Johannes Gutenberg war es nämlich, der mit der
Erfindung des Buchdrucks die Grundlage zur Verbreitung der "Verschriftlichung" legte. Und auch in Zeiten
von "livestreaming" und "voice-control" ist das geschriebene Wort hochaktuell.

Kaum einer weiß es, doch anno 2000 begehen wir das
Gutenbergjahr
. Anlass ist der 600. Geburtstag von Johannes Gensfleisch , besser bekannt unter dem
Namen Johannes Gutenberg, der angesichts seiner weitgreifenden Entwicklungen im letzten Jahr zum "Mann
des Jahrtausends" gewählt wurde. Schenkt man den Prognosen des 1962 publizierten Buches "Die
Gutenberg-Galaxis" des kanadischen Medientheoretikers
Marshall
McLuhan
Glauben, so befänden wir uns am Ende der "Buchgalaxis" und am Anfang einer neuen
Medien-Galaxis, in der das "Phänomen" Buch durch Fernsehen, Radio und Internet gänzlich an den Rand
gespielt wurde. Doch McLuhan irrte, das Wort wehrt sich …

Der Patriziersohn Johannes Gutenberg
hat mit seiner Erfindung der einzelnen gusseisernen Lettern und der Verbesserung des mechanischen
Drucks die Welt verändert, nein nicht nur verändert, sondern revolutioniert: auch wenn die Druckkunst
schon Jahrhunderte vor Gutenbergs Geburt und ebenso das System der bewegbaren Lettern bereits um 1400
bei den Chinesen entwickelt wurden. Jahrhunderte lang musste man sich auf das gesprochene Wort verlassen.
Mit Gutenberg begann sich eine völlig neue Kultur zu entwickeln: Die Kultur des geschriebenen Wortes – die
Massenliteralität.

Die Schreib- und Lesekunst war vor Gutenberg ein elitäres Gut. Nicht nur Analphabetismus, sondern auch
die sehr hohen Preise für die kunstvoll in Handarbeit kopierten Schriften behinderten lange Zeit den
Siegeszug der Schriftsprache. Im Mittelalter war die Voraussetzungen für das Lesen eines Textes nicht
nur die Fähigkeit, Lesen zu können, und zugleich die Beherrschung der lateinischen Sprache, sondern
auch die Möglichkeit Bücher und Schriften in ausreichendem Maß erschwinglich herzustellen. Gutenbergs
Entwicklung der beweglichen Lettern und der Druckpresse machte die Vervielfältigung von bis zu 1500
Exemplaren einer Schrift erstmals möglich. "Ohne Gutenberg keine Reformation, keine Schulpflicht,
keine Goethe-Ausgaben, keine Aufklärung, kein Quelle-Katalog und keine Zeitungen", wie es Jochen Hörisch,
Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim treffend formuliert.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein hatte das Buch eine Monopolstellung inne. Über Jahrhunderte hinweg gab es
nur eine Möglichkeit, Informationen, Nachrichten und Mitteilungen festzuhalten und für die Nachwelt zu
sichern, nämlich in schriftlicher Form auf Pergament, Papier oder anderen äquivalenten Materialien.
Laut

McLuhan`s Theorie

wandeln wir heute jedoch in einer anderen "Medien-Galaxis", die Galaxis der audiovisuellen Medien.
Das wird sicher niemand bestreiten wollen. 30 Jahre nach Veröffentlichung seines Buches ist ein Teil der
Prognose eingetroffen: der Buchkultur ist ein Zeitalter des Bildes gefolgt. Doch in einem hat sich McLuhan
geirrt. Die bösen AV-Medien, neuerdings noch unterstützt von der digitalen Variante, haben die Welt des
Mediums Buch und der Schriftkultur nicht verdrängt …. neue Medien verdrängen die alten nicht, sie
ergänzen diese und schreiben ihnen neue Rollen zu. Trotz Telefon schreiben sich die Leute noch
Briefe, obwohl es das Fernsehen gib, existieren noch Theater und trotz Musik aus der Konserve gibt es
noch Live-Konzerte.

Im Zeitalter von Internet und digitaler Vernetzung scheint es eine Renaissance der Verschriftlichung zu
geben. Nichts anderes passiert doch täglich millionenfach, wenn sich Menschen e-mails schreiben, sich
in Chats und Newsgroups dem geschriebenen Wort hingeben. Das mit zunehmender Weiterentwicklung der
Bild- und Tonübertragung dieser Trend wieder abflauen könnte, sei dahingestellt. Es scheint jedoch
sicher, dass alternative Möglichkeiten der Kommunikation dem Wort nichts anhaben können. Es ist
resistent, einfach deshalb, weil es den Ursprung unserer gegenwärtigen Kommunikationsmedien darstellt.

Machen wir die Probe aufs Exempel. Vergleichen wir das Medium Buch mit den "neuen Medien" wie zum
Beispiel dem Internet. Gutenberg zerlegte seine Texte in
einzelne Zeichen, einzelne Lettern,
die er dann wieder zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügte – ebenso arbeiten die
Computerspezialisten … sie spalten Texte in Bits und Bytes, um das Datenwirrwarr dann wieder zu einem
Gesamtgefüge zu verschmelzen.

Eine Technik, die den Begriff "Text" in der digitalen Welt neu definiert, ist der Hyperlink. Der
Hyperlink, mit dessen Hilfe man mit einem Klick entweder auf einen Zusammenhang im selben Text,
eine Zusatzinformation in einem anderen Dokument, ja auf einen weit entfernten Rechner irgendwo auf der
Welt zugreifen kann, nimmt dem Text eine wichtige Eigenschaft, die ihn jahrhundertlang charakterisierte:
die Eindimensionalität. Doch die Idee hinter der Verlinkung ist mindestens genauso alt, wie das Buch
selbst, nur kleidete sich der Link in vordigitalen Zeiten in die elegante Formulierung Fußnote oder
Verweis. Und um dem Hinweis zu folgen, musste der interessierte Leser selbst aktiv werden: die
entsprechende Seite aufschlagen, oder sich ein weiterführendes Buch aus der Bibliothek holen….
Auch bei der Betrachtung von Suchmaschinen führt der Weg unweigerlich zurück zum Buch. Seitdem die
Menschen lesen, gibt es Orientierungshilfen, "Hinweisschilder", die sie durch den Dschungel der
ungeheuren Flut an geistigen Ergüssen führen. Inhaltsverzeichnisse, Katalogisierungen, Lexika,
alles kleine "gutenbergianische" Helfer.

Eines ist sicher. Die digitalen Medien werden Bücher, Zeitschriften und Zeitungen nicht verdrängen.
Neue Medien werden zwar auch weiterhin versuchen, dem Buch seinen Platz streitig zu machen, die Gutenberg-Galaxis jedoch hört
nicht auf zu enden, da ist sich auch
Hörisch sicher.
Am Anfang war das Wort. Am Ende auch.