Diese Woche steht ganz im Zeichen der Internet Governance: zuerst das Internet Governance Forum Deutschland am Mittwoch, am Donnerstag und Freitag dann der paneuropäische Dialog EuroDIG 2014. Zum Auftakt haben wir die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmannn nach den dringendsten Fragestellungen, der Notwendigkeit eines Internetministeriums und ihren Erwartungen an den EuroDIG 2014 gefragt.
politik-digital.de: Die Verankerung der Menschenrechte als Basis für Internet Governance gilt als eine der Meilensteine der NETMundial. Ist zu erwarten, dass sich andere Foren wie das anstehende EuroDIG daran orientieren? Was bedeutet es überhaupt konkret für Internet Governance, diese auf Menschenrechten aufzubauen?
Jeanette Hofmann: Der Einfluss des NETMundial-Statements auf die weitere konzeptionelle Entwicklung von Internet Governance ist eine offene Frage. Niemand kann derzeit mit Sicherheit sagen, ob sich die beteiligten Akteure in künftigen Konferenzen und Arbeitsgruppen auf diesen Text beziehen werden oder nicht. Ebenso offen ist, ob das Verfahren des Multistakeholder-inspirierten kollektiven Textschreibens wirklich Eingang in die Geschichte von Internet Governance findet. Manche Stimmen sagen, NETMundial sei ein einmaliges Ereignis gewesen und in dieser Form nicht wiederholbar. Andere denken, dass wir in São Paulo Internet-Geschichte geschrieben haben. Seit jeher arbeiten in diesem Feld viele Kräfte gegeneinander.
politik-digital.de: Wenn man sich die Außendarstellung von EuroDIG und NETMundial anschaut, dann macht EuroDIG einen sehr viel staatstragenderen Eindruck. Gibt es außer der europäischen und globalen Ausrichtung wesentliche Unterschiede im Aufbau zwischen den Konferenzen?
Jeanette Hofmann: Ehrlich gesagt denke ich nicht, dass man die beiden Konferenzen miteinander vergleichen kann. Das Besondere an NETMundial war ja, dass diese Tagung klare Ziele hatte und wohltuend ergebnisorientiert war. Über Monate haben die Teilnehmer im Vorfeld an einem Entwurf für die Abschlussdeklaration gearbeitet. Die Veröffentlichung des ersten Entwurfs hat innerhalb weniger Tage wiederum gut 1.300 Kommentare ausgelöst. Diese Art der intensiven Verhandlung von Empfehlungen ist typisch für intergouvernementale Konferenzen, nicht aber für offene Multistakeholder-Prozesse, an denen sich im Prinzip jeder beteiligen kann. EuroDIG gehört zwar zu den Konferenzen, die tatsächlich auf Empfehlungen hinarbeiten, aber der Konsensbildungsprozess von NETMundial ist damit nicht zu vergleichen.
politik-digital.de: Generell würde man unter den europäischen Akteuren eine größere Schnittmenge bei den Themen erwarten als bei einem weltweiten Forum. Ist das tatsächlich so? Bei welchen Themen liegen die europäischen Interessengruppen Ihrer Einschätzung nach am weitesten auseinander?
Jeanette Hofmann: Ich glaube, auch innerhalb Europas gibt es ein breites Spektrum an Positionen und Prioritäten. Man denke nur an das jüngste EuGH-Urteil zur Löschung von Suchmaschineneinträgen. Es ist keineswegs so, dass alle Europäer die in Deutschland überwiegende Auffassung teilen, wonach dem Datenschutz Priorität gegenüber dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit einzuräumen ist. In Großbritannien etwa wird dem Datenschutz längst nicht so eine Bedeutung beigemessen wie in Deutschland. Auch besteht dort ein größeres Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte des Marktes als bei uns. Die Niederländer tendieren in diesen Fragen vermutlich eher zur britischen als zur deutschen Haltung, während in Frankreich die Kritik an Selbstregulierungsansätzen eher stärker ausgeprägt ist als hierzulande. Internet Governance zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die Konfliktlinien häufig quer zu den Akteursgruppen und politischen Traditionen verlaufen.
politik-digital.de: EuroDIG findet bereits zum siebten Mal statt. Neben Diskussionen zu den grundlegenden Prinzipen des Internets und einem Themenschwerpunkt Überwachung wird es Workshops zu konkreten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen geben. Gibt es eine Diskussion, die Sie in Europa für besonders wichtig halten?
Jeanette Hofmann: Ja, die Regelung zu Netzneutralität, weil sie einen großen Einfluss auf die Weiterentwicklung des Netzes haben werden. In São Paulo haben wir erfahren, dass sich in Brasilien und anderen großen Ländern des globalen Südens ein “Internet für Arme” durchsetzt, das aus einem kostenfreien Zugang zu einzelnen Anbietern wie Facebook besteht, den Rest des Netzes aber blockiert. Solchen Tendenzen muss unbedingt Einhalt geboten werden. Die effektive Kontrolle von Geheimdiensten ist ein weiteres Thema, und darüber hinaus auch die schwierige Frage, wie wir Grundrechte wie Datenschutz und Meinungsfreiheit künftig gegeneinander abwägen wollen.
politik-digital.de: Dem EuroDIG geht das Internet Governance Forum Deutschland voraus. Welche speziellen Problemstellungen und Interessen in Bezug auf Internet Governance werden in Deutschland aktuell diskutiert?
Jeanette Hofmann: Sicherlich die Umsetzung der Digitalen Agenda, der schleppende Breitbandausbau, die Neuformulierung des Prinzips der Netzneutralität, das Thema Vorratsdatenspeicherung etc etc.
politik-digital.de: In Deutschland ist Internet Governance nicht an einer Regierungsstelle gebündelt: Es verteilt sich über Bundestagssauschüsse und Ministerien. Wie beurteilen Sie die Bemühungen der Bundesregierung zur Digitalen Agenda und halten Sie die Aufteilung für zielführend?
Jeanette Hofmann: Ich denke, es ist zu früh, um diese Frage beurteilen zu können. Natürlich führt die Verteilung von internetrelevanten Kompetenzen und Aufgaben über mehrere Ministerien zu spürbaren Reibungsverlusten. Auf der anderen Seite erfassen Internet und digitale Gesellschaft inzwischen so viele verschiedene staatliche Verantwortungsbereiche, dass man sich nur schwer ein Internetministerium vorstellen kann, das für alle diese Themen zuständig wäre. Zudem gibt es natürlich auch innerhalb von Ministerien Konkurrenzgerangel. Ich würde die Probleme der Zuständigkeitsverteilung daher erst mal nicht überbewerten.
politik-digital.de: Welche Erwartungen haben Sie an den EuroDIG 2014 und das Internet Governance Forum Deutschland?
Jeanette Hofmann: Internet Governance ist ein Thema, das in Deutschland bislang eine ziemlich marginale Rolle spielt. Weder die Politik noch die Zivilgesellschaft oder Wirtschaft sind auf der internationalen Ebene durch großes Engagement aufgefallen. Auch ist der Funke des Multistakeholder-Ansatzes auf die innenpolitischen Belange der Netzpolitik bislang nicht übergesprungen. Ministerien veranstalten ihre traditionellen Anhörungen, aber sie unternehmen nur wenige Anstrengungen, um die Leistungsfähigkeit dieses Konzepts auch über solche ritualisierten Verfahren hinaus zu erproben. Es wäre schön, wenn das IGF-D und EuroDIG hier etwas bewegen würden.
Fotos: igf_d (CC BY 2.0) und Free Press Pics (CC BY-NC-SA 2.0); Beide beschnitten und skaliert