Die Welt hinter dem Gesetzesentwurf

Während die Politiker noch über eine Zuwanderungsregelung für ausländische
Fachkräfte in der Informationstechnik-Branche nachdenken, findet die Realität
bereits statt.

Es gibt sie nämlich schon in den hiesigen Büros von IT- und Multimediaunternehmern,
die Mitarbeiter aus Nicht-EU-Ländern. Unternehmen beschreiten bereits neue
Wege, um die begehrten Fachleute zu finden und Menschen am Karriereknick wittern
in einer Weiterbildung die erhoffte Chance. Die Diskussion um die Green Card,
zeitweise auf populistischem "Wolle mer se rei`lasse"-Niveau geführt, zielt
jedoch an den Beteiligten und Betroffenen vorbei.

Die Firma

Multinationale Konzerne wie beispielsweise IBM oder SAP können vergleichsweise
einfach Mitarbeiter aus ausländischen Filialen nach Deutschland holen. Kleinere
Unternehmen müssen erfinderischer sein, um die starren deutschen Bestimmungen
zu umlaufen. Bei bvm, einer Berliner Multimediaunternehmung, die sich erfolgreich
auf die Konzeption und Gestaltung von Computerspielen konzentriert, sitzen
bereits seit einigen Jahren Mitarbeiter aus Bulgarien an den Computern. Hauptsächlich
sind es Studenten, die rechtlich noch vergleichsweise einfach zu beschäftigen
sind. In manchem Fall mussten allerdings abenteuerliche Umwege begangen werden,
um die bulgarischen Mitarbeiter zu bezahlen: "Wir haben eine Zeitlang" grinst
Axel von Maydell, Geschäftsführer bei bvm, "jede Menge Kunst in Bulgarien
gekauft …"

Irgendwann war jedoch klar, dass solche Praktiken auf Dauer nicht tragbar
sein würden. So gründete bvm, die zur Zeit ungefähr 100 Mitarbeiter beschäftigen,
kurzerhand eine Dependance in Bulgarien. Nachdem im Berliner Büro bereits
einige IT-ler aus Bulgarien mit großem Erfolg tätig waren, lag es für Maydell
nahe, die hier bestehenden Kontakte zu nutzen und nach Bulgarien zu expandieren.
Maydell kritisiert an der Green Card-Regelung, die er auf Grund der eklatanten
Unterschiede zur echten Green Card gar nicht so nennen möchte, vor allem die
Bürokratisierung: "Könnte man bei der Suche nach neuen Mitarbeitern frei auf
dem Weltmarkt operieren, würde so eine Green Card tatsächlich helfen." Den
deutschen Weg, der immer über die Bundesanstalt für Arbeit führen muss, hält
er für zu langatmig und zu wenig effizient. Versäumnisse sieht er auch im
bildungspolitischen Bereich. Medientechnik und Mediengestaltung sind Lehrberufe,
die erst seit rund einem Jahr existieren. Viel zu spät wurden sie ins Arbeits-Leben
gerufen, um der aktuellen Nachfrage zu begegnen.

Auch andere Firmen der Branche haben sich der Einfachheit halber ins nicht-europäische
Ausland begeben. Ausschlaggebend sind hierbei nicht die niedrigeren Löhne,
sondern die Möglichkeit relativ unbürokratisch motivierte Mitarbeiter beschäftigen
zu können. WWL, ein Internet-Dienstleister mit gegenwärtig 140 offenen Stellen
hat eine Niederlassung in Prag eröffnet. Bei IBM begrüßt man den Schritt hin
zu einer Green Card. Christina Hinze, Pressesprecherin, betont jedoch, dass
es sich um eine kurzfristige Regelung handeln sollte. "Die Einführung einer
Green Card bedeutet nicht, dass wir uns in Schulen und Universitäten zurücklehnen
können." IBM selber, so Frau Hinze, kann seinen Bedarf an Fachkräften zur
Zeit noch decken. Der Zuzug von ausländischen Fachkräften wird den Markt jedoch
insgesamt stimulieren, hofft man bei IBM. Die Konkurrenz um die hochqualifizierten
Arbeitnehmer ist bekanntermaßen groß.

Das Amt

Ähnlich sehen die Arbeitsämter die Green Card mittlerweile als Möglichkeit,
den deutschen Arbeitsmarkt anzuregen. "Wir begrüßen die Green Card als vorübergehende
Maßname, denn es gibt nicht ausreichend studierte Fachkräfte. Ein solcher
hochqualifizierter Mitarbeiter schafft unter sich gleich mehrere Stellen für
deutsche IT-ler" erklärt Klaus Pohl, Pressesprecher des
Landesarbeitsamtes Berlin/Brandenburg
Damit im Mittelbau auch genügend
Arbeitskräfte nachwachsen, fördert das Landesarbeitsamt derzeit rund 200 Maßnahmen
zur Weiterbildung, 80% der Teilnehmer, so Pohl, können danach vermittelt werden.
Tatsächlich gibt es potentielle IT-Kräfte, die beim Landesarbeitsamt Berlin
gemeldet sind, Ende März waren es gut 2100. Der Umschlag ist in diesem Bereich
jedoch sehr hoch: Von 11 arbeitslosen Systemprogrammieren konnten 10 vermittelt
werden, unter den 216 arbeitsuchenden Anwendungsprogrammieren sind noch 25
ohne Job. Bei anderen Jobprofilen könne sogar mehr vermittelt werden, als
gemeldet sind, meint Klaus Pohl.

Die Arbeitnehmer

"5 Jahre deines Lebens und dann wirst du wieder heimgeschickt" Boril Boschnakov
aus Sofia, Bulgarien, sieht die Green Card kritisch. Der 28jährige arbeitet
neben seinem Studium an der Hochschule der Künste in Berlin bei bvm. Auch
sein Kollege Dimitre findet die 5 Jahres-Regelung für beide Seiten ungünstig.
Davon abgesehen meint er, hat die Green Card ihren Namen nicht verdient. Beide
können zwar verstehen, dass die Deutschen nach einer Regelung für die Zuwanderung
suchen, aber so wie die Diskussion geführt wird, meint Dimitre, gibt sie auch
Anlass für Ausländerfeindlichkeit.

Ihr argentinischer Kollege Diego ist seit 11 Jahren in Deutschland. Er ist
seit letztem Jahr bei bvm als Programmierer und Projektleiter tätig. Mit der
Aufenthaltsgenehmigung hat er inzwischen keine Schwierigkeiten mehr. Trotzdem
begrüßt er die Diskussion um die Zuwanderung. Abgesehen von den ausländerfeindlichen
Parolen, ist viel zu lange nicht über den Status hier arbeitender Ausländer
gesprochen worden, meint Diego. In Berlin leben alle gerne und gerne auch
noch länger. Boril, Dimitre und die Bulgarin Diana, ebenfalls neben ihrem
Studium bei bvm beschäftigt, erleben Deutschland als aufregenden Arbeitsplatz.
In Bulgarien existieren Studiengänge wie Multi-Media Design oder Visuelle
Kommunikation nicht. Dort, so erzählen sie, bringen sich die Leute die Sachen
selber bei. Umso mehr können sie hier -nicht nur an der Uni- lernen. Alle
vier haben nichts dagegen in Deutschland zu bleiben. "Allerdings, fügt Dimitre
hinzu, fühlt sich die deutsche Bürokratie manchmal feindselig an …"

Der Weiterbilder

Frank Ringwald von der CIMdata GmbH für Weiterbildung sieht der Green Card
gelassen entgegen. Seinen Schüler, so glaubt er, werde durch den Zuzug von
Fachkräften aus dem Ausland nicht das Wasser abgegraben: "Ich denke nicht,
dass der Bedarf an Arbeitskräften durch die Green Card auch nur ansatzweise
gedeckt werden kann. Daher sehe ich auch keine Konkurrenz für unsere Teilnehmer".
Auch hier herrscht also die Hoffnung vor, der Markt werde durch den Zuzug
stimuliert.

Bei CIMdata, einem der größten privaten Weiterbilder in Berlin werden Hochschulabsolventen,
oftmals mit geisteswissenschaftlichen Abschlüssen, in den Bereichen Multimedia,
Informatik und Maschinenbau fit gemacht. Aber auch Drucker oder Fotografen
können hier den Sprung in die neuen Berufsfelder vorbereiten. Über mangelnde
Nachfrage jedenfalls kann sich Herr Ringwald nicht beklagen. Und da die klassischen
deutschen Bildungsinstitutionen meist nur langsam dem Trend hinterher stolpern,
wird die Weiterbildung im IT-Bereich nach dem Motto "lebenslanges Lernen"
auch weiterhin aktuell bleiben. Die Chancen nach einer ca. einjährigen Weiterbildung
auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein, sind nach Aussage von Frank Ringwald,
gut. Die Green Card wird letztlich überbewertet: "Laut meinem Informationsstand
werden ohnehin schon Spezialisten im Ausland akquiriert, so dass diese ganze
Green Card-Aktion im Grunde eine Vereinfachung einer ohnehin schon herrschenden
Praxis ist."

Angesichts der allgemeinen Gelassenheit, mit der offizielle Stellen, Betriebe
und auch Arbeitnehmer der Grünen Karte begegnen, werden die Panik-Parolen
vom Rhein noch peinlicher als sie es ohnehin schon sind. Viel Lärm um eine
Notwenigkeit, um eine Selbstverständlichkeit. Es bleibt nun abzuwarten, ob
sie auch wirklich kommen werden, die Software-Maharadschas und IT-Zaren.