„Das Internet ist für uns alle Neuland“, sagte einst Bundeskanzlerin Merkel. Die Menschheit hat einen neuen Lebensraum für sich entdeckt. Als Pioniere erschließen und besiedeln wir diesen neuen Kontinent Internet nach unseren Idealen, stoßen aber auch auf neue Risiken. Der digitale Salon diskutierte über Utopien, Hoffnungen und Gefahren des Internetzeitalters.
Ein unfassbarer Fund
„Was sehen Sie?“, fragte der Grabungsleiter. „Ich sehe viele unfassbare Dinge“, antwortete sein Kollege. „Überall Drähte und Fasern. Es scheint als würden sie von einer Art Kasten zusammengehalten. Es gibt ganz viele davon und irgendwie wirken diese Konstruktionen verbunden“. So oder ähnlich könnte es aussehen, wenn Archäologen im Jahre 2100 nach den Ursprüngen des Internets suchen. Was sind dessen Spuren, was ist das Internet selbst?
Vielleicht wird man die verrosteten Router auf den Kirchtürmen entdecken, die die Initiative freifunk.net auf Dächern installiert. Aber was soll man ausgraben oder gar finden? „Das Internet sind Ideen“, wie Philipp Borgers, als freifunk.net betont.Was ist nach Jahren des Internetwachstums aus diesen Ideen, ja Idealen, Utopien geworden?
Neben Philipp Borgers diskutierten Andreas Gebhard, Gründer und Geschäftsführer der Re:publica, sowie Jeanette Hofman, Direktorin des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft, im Digitalen Salon diese Frage.
„Als ich 1992 anfing mich damit zu beschäftigen, sah ich das Internet als etwas sehr Positives. Ein Laboratorium für neue Ideen war entstanden, das die Gesellschaft neu definieren wird“, erinnert sich Jeanette Hofmann. „Vielleicht werden die Archäologen auch die ‚Best Practice‘ Beispiele finden“, meint Andreas Gebhard. Dazu gehören unsere vielen Kontakte in den sozialen Netzwerken und unsere großen Datenbanken, schlichtweg Kommunikation und Information. „Die Flüchtlingskrise hat dieses Bedürfnis nach Zugang zu Information deutlich gemacht“, unterstreicht Philipp Borgers, der mit seiner Initiative Flüchtlingsheime mit Internet versorgen will: „Noch immer sind viele nicht am Netz, sie haben keinen Zugang zu diesen Möglichkeiten, das wollen wir ändern.“ Langfristig wünscht er sich daher die Entwicklung des Internets zu einem Common Good für alle.
„Als jedoch das Thema Netzneutralität aufkam, merkte ich schnell, wie naiv dieses Denken von Demokratisierung durch dieses Instrument war. Es gibt aber nichts, was nicht anfällig für Missbrauch ist“, bemerkt Hofmann. Start Ups bereichern die kreativen Zentren, aber längst hat auch das Verbrechen das Netz für ihre Zwecke entdeckt. Cybersex, Piraterie, Phishing sind Ausdruck dieser Entwicklung.
Netzkultur oder die Kultur für das Netz
„Wir brauchen eine Kultur des digitalen Entrepreneurships“, findet Andreas Gebhard. Immer wenn von Internet die Rede ist, werden die großen Giganten genannt und Start Ups. Letztere bringen neue Ideen, verändern die Branche immer wieder. Allerdings scheitern neun von zehn Unternehmern wieder. Dadurch werde Geld zum hauptsächlichen Anreiz in diese Branche einzusteigen. Derzeit fördert der Staat Investoren, indem er 20% der gesamten Investitionssumme übernimmt. „Es ist fraglich, ob Geldgeber auch nur 80% investieren würden“, wenn sie von der Geschäftsidee nicht überzeugt wären, moniert Gebhard. Anstelle die Abhängigkeit von Geldgebern zu erhöhen, wünscht sich der Initiator der re:publica, dass die Förderungen direkt an die Gründer vergeben werden. Auf diese Weise könne sich ein digitales Unternehmertum etablieren. Diese Unternehmen hätten so mehr Handlungsspielraum, wären aber selber für ihre Entscheidungen verantwortlich.
Alle diese Fragen über digitale Infrastruktur, Sicherheit, Schutz, Vertrauen im Netz aber auch digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten umfasst die Digitale Agenda. Jedoch wird sie nur halbherzig und lustlos umgesetzt. Es fehlt bisher am politischen Willen sich dieser Thematik anzunehmen, bemängelt Jeanette Hoffmann, ehemaliges Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages für Internet und digitale Gesellschaft.
Das Internet wird erwachsen
„Das Netz war ein unerforschter Kontinent“, erinnert sie sich noch. Damals waren nur sehr wenige am Netz. Doch das Internet ist gewachsen, erwachsen geworden. „Man kann immer mehr machen, damit wachsen auch die Bedürfnisse“, wie die Politikprofessorin findet.Heute sind bereits mehr als 3,4 Milliarden Menschen auf der Erde miteinander verbunden.Gemeinsame verbindliche Regeln zu finden, die allen Bedürfnissen gerecht werden, erscheinen immer mehr als eine Utopie. Aber genau diese Utopien sind es, die das Netz voranbringen, meint der Gründer der re:publica Gebhard. Es gibt viele gute Ideen, diese müssen wir zum Leben erwecken, bekräftigt er.
Diese Ideen, die Entwicklung gehen immer schneller:, immer schwerer fällt es, noch etwas festzuhalten. Hier sieht Professorin Hoffmann die große Schwierigkeit. Das Internet ist aus seiner pubertären Phase hinausgewachsen. Nun ist es Zeit, Lehren zu ziehen und zu entscheiden, was das Internet werden will. „Leider“, so bemängelt sie, „ziehen die kreativen Köpfe immer weiter und weiter, anstelle sich dieser Aufgabe zu stellen.“
Diese Wanderung findet unter anderem vom offenen Internet in die sozialen Netzwerke statt. Facebook schickt sich an, das neue geschlossene Internet zu werden. Immer mehr Nachrichten werden in diesem Netzwerk verbreitet und gesucht, was den Wettbewerbsdruck auf die etablierten Bezahlmedien erhöht.Soziale Bewegungen organisieren sich über das Netz, Konflikte werden ausgetragen, Glauben gelebt.
Das Internet ist eine unfassbare Errungenschaft unserer Zeit. Sie ist so unfassbar, dass die Identifikation damit sehr schwer fällt. Daher ist physischer Kontakt immer noch wichtig, wie Gebhard hervorhebt. Die Vernetzung schreitet voran, das Internet breitet sich immer weiter aus, was auch Unruhe weckt. Noch fehlen schlüssige Antworten auf Fragen, wie eine komplett vernetzte Gesellschaft einmal aussehen wird.
Zum zehnten Mal öffnet die re:publica ihre Pforten für alle, die sich dieser Thematik annehmen wollen. Interessierte Pioniere, Erfahrene und Neueinsteiger aus allen Bereichen kommen wieder zusammen, diskutieren, tauschen sich aus und knüpfen neue Kontakte.
Das Internet wird eine immer wichtigere Rolle spielen. Neue Chancen eröffnen auch neue Risiken. Wir haben erst die Küsten des Kontinents Internet wirklich besiedelt, es geht noch weiter. Das Internet erfindet sich immer wieder neu und wir entdecken auf diese Weise stets neue Möglichkeiten, wie Gebhard schließt. Daher Mut und Bekenntnis zum gesunden Umgang mit dieser Technologie. Denn es wusste schon der große Seefahrer Magellan: „Wer an der Küste bleibt kann keine neuen Ozeane entdecken.“ Auf diese Entdeckungsreise lädt die re:publica ab Montag dem 02.Mai alle Interessierten ein.