Freie Meinungsäußerung gibt es im Iran nur im Netz. Doch selbst wer alle Filter umgeht, muss die Cyber-Wächter des Regimes fürchten. Der Journalist Ehsan Norouzi erklärt, mit welchen Mitteln iranische Zensoren und Blogger im Cyberspace kämpfen.
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Irans Revolutionsführer Ayatollah Seyed Ali Khamenei soll einen Facebook-Account haben. Am 15. Dezember 2012 fand sich auf dem Twitter-Account des obersten Rechtsgelehrten ein Link zur FB-Fanseite. Viele Iraner konnten das kaum glauben. Ausgerechnet der politische und religiöse Führer des Landes, der keine Gelegenheit auslässt, Facebook und Twitter als Agenten des Westens zu verteufeln, hat einen Facebook-Account?
Man mag das als Widerspruch empfinden. Bizarr ist es in jedem Fall. Denn Twitter und Facebook werden wie viele andere Social-Media-Dienste vom Staat blockiert; aus Schutz vor kultureller Überfremdung aus dem Westen, der die die iranische Kultur mit ihrer “soft power” zu unterwerfen sucht. Wer also dem Ayatollah auf Twitter folgen oder seine Facebook-Posts liken will, muss staatliche Filter umgehen – und wider das Gesetz handeln. Die skurrile Folge: Der Ayatollah stiftet seine Anhänger an, sich für ihre Loyalität strafbar zu machen.
Iranische Blogger hoffen: Ist Facebook jetzt “halal”?
Der im Netz viel diskutierte Facebook-Account reiht sich ein in eine wahre Social-Media-Offensive, mit der Khamenei dem reaktionären Regime ein modernes Gesicht zu geben hofft. Über Twitter, Instagram, eine in 13 Sprachen gepflegte Website – und jetzt dem Facebook-Account – wirbt Ayatolla Khamenei bei 25 Millionen Web-Usern für islamische Werte. Dem gegenüber stehen verstärkte Bemühungen, die strenge Zensur im Land auch auf das Cyberspace auszuweiten. Seit der Grünen Revolution von 2009 hat das islamische Regime eine regelrechte Cyber-Armee aufgebaut, mit einem schwer überschaubaren und berechenbaren Institutionen- und Zuständigkeitsgeflecht, wie das Iran Media Program der University of Pennsylvania in einer aktuellen Infografik veranschaulicht.
Im April 2012 erschuf Khamenei den Obersten Cyberspace-Rat, um die Aktivitäten von Cyber-Polizei, Cyber-Armee und dem Komitee zur Bestimmung unerlaubter Webseiten zu koordinieren. Das letztgenannte, von den Revolutionsgarden kontrollierte “Filterkomitee”, hat maßgeblichen Anteil an der Aufspürung und Verhaftung von Netizens und unabhängigen Nachrichtendiensten. Über 200 Journalisten und Blogger wurden seit 2009 verhaftet. Hunderte ausländische und heimische Webseiten sind gesperrt. Dies Alles mit freundlicher Hilfe des größten Internet-Anbieters im Iran, DCI. Er ist im Besitz der regimetreuen Revolutionsgarden.
Der Journalist Ehsan Norouzi, Spezialist für Internet-Zensur bei der Deutschen Welle, bestätigt den massiven Ausbau des staatlichen Überwachungssystems im Iran. Im Interview mit dem Tintenkiller-Magazin erklärt Norouzi: „Auf der einen Seite ist das vielschichtige Internet-Filtersystem sehr ausgereift. Auf der anderen Seite werden Bürger in massiven Diffamierungskampagnen und Online-Hetze bedroht und eingeschüchtert. Die Kontrolle über Netzwerke und Datenströme wie das SMS-Netz oder das Internet wurde in den letzten Jahren spürbar ausgeweitet.“
Von der Zensur sind potentiell alle Inhalte betroffen, die von der offiziellen Linie abweichen. Egal ob “unislamische” Mode oder Kritik am Regime: Wer eine Webseite betreiben möchte, muss die strengen Zulassungsauflagen beim Ministerium für Kultur und Islamische Führung erfüllen. Und auf Grundlage des Computer-Kriminalitäts-Gesetzes wird der E-Mail- und Chatverkehr überwacht und User mit Hilfe von Spionagesoftware (Deep Packet Inspection) identifiziert. Bei iranischen Telekommunikationsdiensten wurde in den vergangenen Jahren Spyware aus China (ZTE/Huawei), Schweden (Ericsson), Deutschland (Trovicor), sowie – über Drittstaaten importierte – Überwachungstechnologie aus USA und Israel eingesetzt.
Twitter & Co bergen Gefahren für Dissidenten
Auch soziale Netzwerke wie Twitter sollen in Zukunft besser kontrolliert werden können. Das zumindest kündigte der iranische Polizeichef Esmaeil Ahmadi Moghadam zu Jahresbeginn an. Die Cyber-Armee des Regimes verfolgt damit nach der Einschätzung Ehsan Norouzis eine Doppel-Strategie: „Sie (die Cyber-Armee des Regimes) hat immer wieder versucht, auf Twitter Informationen zu manipulieren, ganz so wie es die syrische Armee dieser Tage tut. Sie hat aber ebenso Leute über Social-Media und diversen Online-Plattformen identifiziert und verhaftet, so wie Regierungen stets die technischen Möglichkeiten zu ihrem Nutzen ausspielen.“
Im Iran sind Printmedien, Presseagenturen und Radioanstalten fast vollständig in staatlicher Hand oder stehen unter staatlicher Kontrolle. Kritische Journalisten riskieren Verhaftung und Folter oder müssen ins Exil. Vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen im Juni hat das Regime die Gangart noch einmal verschärft: Seit Januar nimmt die Polizei Journalisten und Blogger vorbeugend in Haft, wie die exilierten Journalisten Ali Mazrooei und Ehsan Mehrabi vergangene Woche auf einer Pressekonforenz von Reporter ohne Grenzen in Berlin beklagten. Einen Schutzwall der Anonymität kann das Internet Journalisten im Iran nicht gewähren. Dennoch erkennt Ehsan Norouzi im Internet einen vorher nicht dagewesenen Artikulationsraum für dissidente Stimmen – auch für Journalisten: “Im Netz hat jeder Dissident, jeder Bürger genügend Raum, sich zu äußern. Es gelten für alle die gleichen Rechte.”
Die Kräfteverhältnisse im Internet werden täglich neu ausgefochten. Der Zensurapparat versucht, die Kommunikation im Netz zu unterbinden: Dazu blockiert er neben Facebook & Co auch Internettelefondienste wie Skype und Viber, oder drosselt nach Belieben die Servergeschwindigkeit. Dann können User keine Fotos und Videos mehr hochladen und verbreiten. Um diesen Einschränkungen entgegenzuwirken, unterstützen internationale Nichtregierungsorganisationen wie die Electronic Frontier Foundation, das Open Society Institute, Citizen Lab oder die vom US-Staat finanzierte National Endowment for Democracy die Entwicklung von Technologie, um staatliche Filter und Blockaden zu umgehen – und sich vor der Verfolgung durch die Geheimdienste zu schützen.
Nationales Internet käme einer Cyberdiktatur gleich
Iraner nutzen Tools wie der Internet-Browser Tor, der anonymes Surfen ermöglicht, oder verschlüsselte Netzwerke wie Psiphon, I2P oder Freenet, um vom Geheimdienst nicht ortbar zu sein. Ehsan Norouzi bestätigt: “Es gibt eine Vielzahl von Anwendungen, um Internetzensur zu umgehen: Freegate, Ultrasurf, Tor, oder Verschlüsselungshilfen wie VPN, webbasierte oder PHP-Proxys. Smartphone-User im Iran wissen ganz genau, wie sie die Software Viber nützen können, auch wenn sie zur Zeit blockiert ist. Oder wie sie What’s app verwenden können.”
Das Regime hat seine Cyber-Armee in Stellung gebracht: Seit März diesen Jahres sind die Ports vieler VPN (virtual private networks) nicht mehr erreichbar. Das Regime befindet sich auf dem besten Weg zu einer Cyberdiktatur à la China. Dort hat der Staat ein nationales Internet und mit Weibo und Youku Alternativen zu Twitter und Youtube errichtet, das sich leichter überwachen lässt. Khameneis Cyber-Armee tüftelt noch an einem iranischen Internet samt heimischer Facebook-Variante. Die Iraner sollen möglichst vom World Wide Web abgeschottet werden. Einen Köder hat das Regime bereits ausgelegt: Das nationale Internet ist um ein vielfaches schneller. Sollten viele Iraner anbeißen, dürfte der Facebook-Account des Ayatollahs bald hinfällig geworden sein.