Deutschland Land der Innovationen? Im Medienbereich wohl eher weniger. Aber wie sollte sich das deutsche Pressewesen im digitalen Zeitalter verändern? Antworten finden sich im zweiten Teil des Interviews mit Kommunikations- und Medienwissenschaftler Leif Kramp.
politik-digital.de: Viele Printverlage wie die Frankfurter Rundschau bangen um ihre Existenz. Das Problem: die Verzahnung der Online- und Printausgabe. Gibt es wirklich eine Krise der Massenmedien oder handelt es sich eher um eine Krise der traditionellen Geschäftsmodelle?
Leif Kramp: Das Ende der Massenmedien ist noch nicht in Sicht, auch wenn kleinere Journalismusprojekte wie eigenständige Nachrichtenwebsites selbständiger Journalisten oder gemeinnützige Projekte wie u.a. VOCER an Bedeutung gewinnen. Die großen Medienorganisationen werden auf absehbare Zeit die Stützpfeiler des Journalismus bleiben. Insbesondere in Deutschland gibt es auch keinen Grund zur Hysterie: Die Schicksale von „Frankfurter Rundschau“ oder der „Financial Times Deutschland“ sind keine akuten Folgen der aktuellen Krise der Verlagswirtschaft, sondern diese Titel schwächelten aus betriebswirtschaftlicher Perspektive schon seit vielen Jahren. Dennoch wird es neue, spezialisierte Geschäftsmodelle für Journalismus brauchen, welche die derzeit noch weitgehend alternativlose Erlösstruktur aus Anzeigen- und Vertriebseinnahmen ergänzen – nicht aber ersetzen. Die durch den digitalen Wandel vorangetriebene Flexibilität der Mediennutzung zwingt Medienhäuser dazu, nicht nur redaktionell, sondern auch bei der Vermarktung von Journalismus zu experimentieren. In Zukunft werden viele neue Modellvarianten ausprobiert werden, von diversen Paywall-Konzepten über zugeschnittene Premium-Dienste für bestimmte Zielgruppen bis zur Verbindung von Journalismus und Location Based Services.
politik-digital.de: In den USA hat die Huffington Post als Onlinezeitung im Stile eines Polit-Weblogs sehr großen Erfolg. Hier wird oftmals der Leser zum Autor von Beiträgen. 2012 erhielt das Onlinemagazin sogar als erste kommerzielle Onlinezeitung den Pulitzerpreis. Man gewinnt den Eindruck, dass in Deutschland kein Platz für Innovationen ist und dass die meisten großen Medienhäuser nicht mehr als Onlineausgaben der Printtitel anbieten. Warum gibt es (noch) keine deutsche „Huffington Post“?
Leif Kramp: Die Genese der „Huffington Post“ ist eine sehr spezielle und lässt sich nur schwerlich auf den deutschen Markt projizieren. Die HuffPo verdankt ihre Relevanz jenen Bloggern, die sich jahrelang vielfach aus Unzufriedenheit über die Qualität des US-amerikanischen Politikjournalismus unbezahlt engagierten, bis der Medienkonzern AOL die Blog-Zeitung kaufte und nun einen internationalen Expansionskurs vorantreibt, der auch sehr bald nach Deutschland führen soll. Bisher sind hierzulande Versuche der Verlage gescheitert, eine Onlinezeitung als eigenständige Marke zu installieren, wie die Beispiele „Netzeitung“ oder „Zoomer“ gezeigt haben. In Deutschland ist ein unabhängiges Start Up, wie es einst Arianna Huffington gründete, eher unwahrscheinlich, da die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem überregionalen Journalismus verhältnismäßig hoch ist. Etwas anders verhält es sich im Lokalen: Dort gab es in einigen Regionen bereits erfolgreiche Gründungen unabhängiger kommerzieller Alternativmedien, die sich in Opposition zu den etablierten Lokalzeitungen schon seit längerem am Markt behaupten.
politik-digital.de: Eine Ausnahme ist die Wochenzeitung „Der Freitag“, die seit ihrem Relaunch vor einiger Zeit versucht, die Community stärker in ihren Online-Auftritt einzubeziehen. Und das offenbar mit Erfolg. Wie sehr muss sich ein Medienunternehmen auf die Leser einlassen?
Leif Kramp: Das geschieht beim „Freitag“ sehr erfolgreich deshalb, weil seit Jahren konsequent signalisiert wird, dass ernstzunehmende Meinungsbeiträge der Nutzer nicht nur auf der Website der Zeitung geduldet, sondern besonders gelungene Texte sogar für den Abdruck in der Zeitung gegen Honorar ausgewählt werden. Redaktionen sollten verschiedene Wege ausprobieren, ihre Nutzer stärker an sich zu binden. Journalisten können beispielsweise über soziale Netzwerke, Twitter etc. Kontakt mit Nutzern aufnehmen, sie können sich an den Diskussionen der Nutzer mittels der Kommentarfunktion unter ihren Beiträgen beteiligen, sie können sich aber auch erreichbar und ansprechbar zeigen, ob nun in einem „Open Newsroom“ oder per E-Mail. Dabei geht es nicht darum, sich blind den Wünschen der Nutzer zu unterwerfen, sondern vielmehr um die Bereitschaft, offen für Anregungen und Kritik zu sein, und das nicht nur im Nachhinein, sondern schon während des journalistischen Arbeitsprozesses. Auch Journalisten müssen sich heutzutage das Vertrauen der Nutzer immer wieder neu verdienen.
politik-digital.de: Der Begriff Datenjournalismus ist zurzeit in aller Munde. Handelt es sich nur um einen kurzfristigen Hype oder ist die Auswertung von Daten die Zukunft des Journalismus?
Leif Kramp: Daten journalistisch zu verarbeiten und für den Nutzer zu verdeutlichen – zum Beispiel durch Info-Graphiken – gehört schon lange zum Tagesgeschäft in den Redaktionen. Mit digitalen Medientechnologien haben Journalisten aber nun Werkzeuge an der Hand, die es ermöglichen, ihrer Vermittlungsfunktion noch besser nachzukommen, weil sie erstens hochkomplexe Datenbestände verarbeiten und zweitens diese interaktiv veranschaulichen können. Solche Instrumente zu beherrschen, ist freilich nicht voraussetzungsfrei, sondern erfordert in der Regel fortgeschrittene Kenntnisse statistischer Verfahren und bestimmter Software-Anwendungen. Deshalb ist Datenjournalismus vor allem als Teamarbeit von Journalisten und Informatikern ein wachsendes und angesichts der zunehmenden Komplexität verfügbarer Daten auch ein immer wichtigeres Tätigkeitsfeld im digitalen Journalismus.
Bilder: ScaarAT (CC BY-SA 3.0), Leif Kramp