Alexander Zell (CC BY-NC-SA 3.0)Klassischer Journalismus ist jetzt schon retro. Neue Formen drängen auf den Markt und lassen den traditionellen Journalisten alt aussehen. Ein Interview mit Kommunikations- und Medienwissenschaftler Leif Kramp über die Zukunft von Medienorganisationen und Veränderungen im Journalismus.
Mit dem Internet, den sozialen Medien und der Weiterentwicklung mobiler Kommunikation hat die Digitalisierung die Medienbrache maßgeblich verändert. Der neu entstandene Markt birgt Chancen, aber auch Risiken. Fest steht: Der traditionelle Journalismus und die herkömmlichen Geschäftsmodelle der Presseverleger haben ausgedient. Heute muss ein Redakteur nicht nur Textprofi sein, sondern gleichzeitig auch Communty-Manager und am besten über Programmierkenntnisse verfügen. Und die Medienhäuser? Sie stehen vor der schwierigen Aufgabe, neue Geschäftsmodelle entwickeln und neue Strukturen finden zu müssen, um den immer anspruchsvolleren Leser für sich zu gewinnen. Das Buch “Journalismus in der digitalen Moderne” (Springer VS Verlag) befasst sich sowohl mit den Veränderungen in traditionellen Medienhäusern als auch mit dem Wandel des klassischen Journalismus. Mit wissenschaftlichen Beiträgen und journalistischen Erfahrungsberichten schafft es das Buch, die Thematik anschaulich und praxisnah zu beschreiben und dem Leser Probleme und Chancen dieser Entwicklung zu verdeutlichen.
Im zweiteiligen Interview erklärt einer der Herausgeber, der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Leif Kramp, warum der Journalismus am Scheideweg steht und die Medienhäuser umdenken müssen.
politik-digital.de: Herr Kramp, Sie sind Kommunikations- und Medienwissenschaftler am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen und Mitherausgeber des Buches „Journalismus in der digitalen Moderne“. Zu Beginn eine ganz generelle Frage: Ist die Digitalisierung gut oder schlecht für den Journalismus? Und wie sieht es mit der Wirkung auf die Medienhäuser aus?

Dr. Leif Kramp ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler sowie Historiker und arbeitet als Forschungskoordinator am ZeMKI, Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen. Zuletzt erschienene Publikationen: „Journalismus in der digitalen Moderne“ (gem. hrsg. mit Leonard Novy, Dennis Ballwieser und Karsten Wenzlaff) und „Innovationsreport Journalismus“ (gem. mit Stephan Weichert).

Leif Kramp: Weder das Internet noch die Digitalisierung insgesamt gefährden den Journalismus per se. Im Gegenteil: Journalismus kann aus dem Vollen schöpfen. Niemals war die Reichweite größer, und niemals standen vielfältigere Darstellungsformen zur Verfügung. Eigentlich ist die digitale Moderne also ein Segen für den Journalismus. Woran es aber hapert, ist die Wertschöpfung. Journalismus ist am Ende des Tages nicht nur eine hehre Aufgabe, sondern in der Regel auch ein Geschäft, das Journalisten ernähren und eine gute Rendite erzielen soll. Noch immer wird händeringend nach effektiven Geschäftsmodellen gesucht, um die bestehenden Strukturen des Pressewesens vor dem Hintergrund des digitalen Medienwandels aufrechtzuerhalten. Die Medienhäuser haben zwar ihre Schwierigkeiten, sinkende Anzeigen- und Vertriebserlöse zu kompensieren, ziehen daraus aber zum Teil die falschen Schlüsse und lassen die Redaktionen und damit das Personal dafür bluten. Dabei lautet das Gebot der Stunde, in Journalismus zu investieren und ihn nicht durch vorschnelle Sparmaßnahmen zu schwächen.
politik-digital.de: Auf welche Veränderungen müssen sich Journalisten im digitalen Zeitalter einstellen? Was bedeuten diese für die nächste Generation von Journalisten, auch wirtschaftlich gesehen?
Leif Kramp
Leif Kramp: Journalismus hat auf allen wesentlichen Ebenen gesellschaftlicher Kommunikation an Relevanz verloren. Journalisten müssen sich ihre ehemalige Exklusivstellung bei der gesellschaftlichen Selbstverständigung heute mit einer Vielzahl weiterer Kommunikatoren teilen – aus der PR, der Politik oder aus den Reihen der Bürger. Sie alle haben – und viele nutzen – die Möglichkeit, die Plattformen und Kanäle des Netzes für ihre Kommunikationszwecke einzusetzen. Für Journalisten bedeutet das, sich stärker auf einen Dialog einzulassen statt sich allein auf den Vertrieb fertiger journalistischer Produkte zu konzentrieren. Je mehr Akteure an der Kommunikation und Informationsverbreitung in der digitalen Sphäre beteiligt sind, desto stärker ist auch die Sortier- und Einordnungsfunktion des Journalismus gefordert. Ohne die sozialen Medien, ohne intensive Verlinkung zu externen Inhalten und ohne die Anreicherung journalistischer Beiträge mit zusätzlichen Dokumenten wie beispielsweise Quellenmaterial kommt ein solcher transparenterer, dialogischer und kontextueller Journalismus nicht aus. Das steht nicht im Widerspruch zu den weiterhin geltenden journalistischen Tugenden, sondern überträgt sie auf die Ansprüche nach mehr Interaktion, aber auch besserer Orientierung im digitalen Zeitalter.
politik-digital.de: Geht es mit dem Journalismus den Bach runter oder befindet er sich am Scheideweg? Wie wichtig sind dabei innovative Ideen von Journalisten bzw. Medienhäusern?
Leif Kramp: Der Journalismus ist eine Profession am Scheideweg, weil Entscheidungsträger auf verschiedenen Ebenen mit einer fundamentalen Unsicherheit konfrontiert sind. Wir erleben zurzeit eine aufklaffende Schere zwischen einer tariflich abgesicherten Belegschaft mittleren Alters, die bei traditionellen Medien beschäftigt ist und einem schlechter bezahlten, meist jüngeren und hauptsächlich für Online-Medien arbeitenden Journalistenprekariat. Um diese Differenzen zu überwinden und den sozialen Zündstoff zu entschärfen, braucht es Mut an vielen Stellen: Gesellschafter müssen den journalistischen Kern ihrer Marken stärken, auch wenn dies zeitweise schlechte Jahresabschlüsse nach sich zieht; Chefredakteure müssen an der Schnittstelle zwischen Geschäftsführung und Redaktion die Handlungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter sichern und ihnen Freiräume verschaffen, in denen Neues ausprobiert und Unkonventionelles zugelassen wird; und der einzelne Journalist – ob freischaffend oder angestellt – muss sich einlassen auf die Veränderungen, die der digitale Wandel mit sich bringt – was einfacher gesagt ist als getan, solange Kosten- und Arbeitsdruck auf einem lasten. Es gibt also viele Stellschrauben, an denen gedreht werden muss.
Bilder: Alexander Zell (CC BY-NC-SA 3.0), Leif Kramp

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