BloggerBeiArbeitDie Kommunikationsexperten Andrea Beyer und Lothar Rolke haben gemeinsam mit Studenten einen Blick auf die deutsche Blogszene geworfen – ganz klassisch in Buchform. 35 Blogger schlossen die Browser, um über Arbeitsalltag und Berufung zu reden. Die Thesen von „Deutschland Deine Blogger“: Blogs erreichen bei uns Spitzenleistung in der Nische, bleiben aber in puncto Beachtung hinter den US-amerikanischen Pendants zurück. Im Interview mit politik-digital erklärt Professor Rolke die Gründe. Weitere spannende Fragen dabei: Welche Halbwertszeit haben Bücher über die Blogosphäre? Wie ist das Verhältnis von Blogs zu Journalismus sowie PR? Und wieso hat eigentlich niemand Sascha Lobo gefragt?
politik-digital.de: Die Quellen Ihres Buches datieren auf die Jahre 2008 bis 2012. Ist die Untersuchung nicht schon wieder veraltet, angesichts der rasenden Entwicklung im Netz? Welche Halbwertszeit haben Publikationen über die Blogosphäre?
Lothar Rolke: Eine berechtigte Frage. Es gibt aber keine aktuelle Untersuchung zum Thema. Also muss man induktiv vorgehen, nach Belegen suchen und zusammentragen, um zu einem ungefähren Bild zu kommen. Das ist mehr als gar nichts. Zudem wuchs die Blogosphäre – wie wir wissen – zwischen 2008 und 2012 kaum, sondern blieb stabil.

Prof. Dr. Rolke lehrt an der Fachhochschule Mainz Betriebswirtschaftslehre und Unternehmenskommunikation. Daneben berät er Firmen als Experte für PR, Krisenmanagement und Kommunikations-Controlling. Gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea Beyer ist er Herausgeber von “Deutschland Deine Blogger”.

politik-digital.de: Nach welchen Kriterien wurden die interviewten Blogger ausgewählt?
Lothar Rolke: Wir haben den Studenten, die ihren eigenen Interessen folgen konnten, nur eine Vorgabe gemacht: Es sollten sehr viele unterschiedliche Blogger porträtiert werden. Dabei hat sich dann am Ende herausgestellt, dass manche Blogs in der Zwischenzeit eingestellt wurden.
politik-digital.de: Hatte Sascha Lobo keine Lust zum Interview oder wurde er nicht gefragt?
Lothar Rolke: Er wurde gar nicht gefragt. Außerdem glauben wir nicht, dass Sascha Lobo immer porträtiert werden muss. Es ist natürlich auch toll, einen Marc Schmidt zu haben, der sich als Börsen-Blogger einen Namen gemacht hat. Auch wenn er keinen roten Irokesen trägt.
politik-digital.de: Laut ARD/ZDF-Onlinestudie lesen nur sieben Prozent der deutschen Internetnutzer gelegentlich Blogs – ein Wert, der sich seit 2010 nicht groß verändert hat. Wo sehen Sie die Gründe dafür?
Lothar Rolke: Die Gründe liegen sicherlich darin, dass wir eine ganz andere Medienlandschaft haben als etwa in den USA. Das hat natürlich mit dem immer noch starken Anteil der Zeitungen zu tun, wobei die heute selber Blogs betreiben. Denken Sie daran, dass alleine die FAZ 26 Blogs hat. Andererseits sind sieben Prozent Leser mehr als man im ersten Moment denkt. Hochgerechnet ergibt das 4,2 Mio. Und wenn wir nur an die Intensivnutzer denken – also zehn Prozent – oder diejenigen, die mindestens ein Mal wöchentlich da sind und selber Content produzieren, kommen wir leicht auf 420.000 aktive Nutzer. Das ist ja nicht wenig.
politik-digital.de: In den USA werden mehr Blogs gelesen. Könnte diese Tatsache auch damit zusammenhängen, dass dort das Zeitungssterben deutlich stärker vorangeschritten ist als bei uns?
Lothar Rolke: Ja, genau das ist der Punkt.
politik-digital.de: Können Blogs überhaupt noch zu einem “digitalen Leuchtturm” werden, oder ist die Aufmerksamkeit der User nicht ohnehin schon zu fragmentiert, angesichts der Fülle an Angeboten im Netz und in anderen Medien?
Lothar Rolke: Vielleicht ist “Leutturm” der falsche Begriff. Die großen Medienhäuser haben insgesamt verloren, es hat in der Tat eine Fragmentierung gegeben. Und natürlich ist die Zahl der Angebote insgesamt immer größer geworden, gar keine Frage. Allerdings haben wir es heute auch mit einer Öffentlichkeit zu tun, die sehr viel aktiver ist als in der Vergangenheit. Sie will sich zu Wort melden! Deswegen gibt es in bestimmten Bereichen Blogs, die eine große Bedeutung haben und die damit auch ein Stück weit Meinungen beeinflussen können. Daher geht es vielleicht mehr um viele “Scheinwerfer”, die für einen Moment die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken.

politik-digital.de: Wie mache ich denn aus meinem Scheinwerfer einen Leuchtturm? Kommt es mehr auf den Blogger an oder den Inhalt?
Lothar Rolke: Im Mediengeschäft kann die Person immer eine Rolle spielen, aber letztendlich entscheidet der Inhalt.
politik-digital.de: In Ihrem Buch wird die deutsche Blogospähre immer mit den USA verglichen. Gibt es ähnliche Vergleiche auch für den europäischen Raum?
Lothar Rolke: Wir kennen jedenfalls keine. Die meisten entsprechenden Vergleiche sind viel zu alt – und Technorati [eine auf Blogs spezialisierte Echtzeit-Internet-Suchmaschine, Anm. d. Red.] erfasst ausschließlich die englischsprachigen Blogs. Dieser Suchmaschine nach sind die englischsprachigen Anteile in den anderen europäischen Blogospähren nicht viel größer als die deutsche.
politik-digital.de: Existiert eine Studie, vergleichbar mit der von Technorati, die über Altersstruktur und Professionalisierungsgrad der deutschen Blogger informiert?
Lothar Rolke: Leider nicht. Und ich glaube, augenblicklich ist sie auch nicht in Aussicht.
politik-digital.de: Wie steht es um das Verhältnis von klassischen Medien und Blogs?
Lothar Rolke: Das Zusammenwachsen ist sehr spannend: Traditionelle Medien wagen sich in die Blogosphäre, umgekehrt entwickeln sich Blogs zu Nachrichtenplattformen. Beobachten können wir das in den USA. Kürzlich wurde vermeldet, dass die Huffington Post nach Deutschland kommen und sich mit Tomorrow Focus zusammentun wird. Sie werden eine eigene Internetplattform anbieten, mit viel Raum für Blogger. In den USA schreiben bei der Huffington Post – die ja bereits Zeitungscharakter hat – 40.000 Blogautoren mit, in Großbritannien sind es ungefähr 3.000, wobei die Huffington Post dort auch noch nicht so lange existiert. Für Deutschland erwarten wir ähnliche Zahlen. Das ist das Moment, auf das es ankommt: Menschen wollen heute mitmachen, wollen sich selber und unabhängig zu Wort melden. Wenn das die Zeitungen kapieren, verändern sie sich selbst ein Stück weit.
politik-digital.de: Aber fürchten nicht klassische Medien die Konkurrenz von Blogs?
Lothar Rolke: Das Verhältnis ist sicherlich immer ambivalent. Einerseits bloggen viele Journalisten selber und bauen damit eine eigene Marke auf, was gut und wichtig ist, andererseits können die Blogs auch ein Stück weit Konkurrenz sein. Gute Medien sind jedoch professionell genug, Impulse von Blogs aufzugreifen.
politik-digital.de: Bei uns erfreuen sich Watchblogs großer Beliebtheit. Man nehme z. B. den Bildblog, der mittlerweile in allen Medien nach Fehlern sucht. Diese Blogs üben eine Kontrollfunktion aus. Nur: Wer kontrolliert eigentlich sie?
Lothar Rolke: Blogs sind ein zusätzliches, nützliches Kontrollinstrument. Doch die Medien können sich ja wehren, sodass man  sich dann gegenseitig kontrolliert, da beide gleich stark mit “publizistischen Waffen” ausgestattet sind – zumal Watchblogs meistens gut vernetzt sind.
politik-digital.de: Glauben Sie, dass die Bild-Redakteure überhaupt jeden Tag verfolgen, was Bildblog schreibt?
Lothar Rolke: Das glaube ich schon. Man weiß dort schließlich, dass auch andere Medien Bildblog lesen.
politik-digital.de: 2007 hat Daimler als erstes Dax-Unternehmen einen eigenen Blog eingerichtet. Wissen Sie, wie viele andere Unternehmen selber mit Blogs im Netz vertreten sind?
Lothar Rolke: Nein. Es gibt natürlich einige Klassiker wie den Frosta-Blog, der immer auch gerne zitiert wird. Aber Blogs haben in Deutschland bei den Unternehmen derzeit keinen besonders hohen Stellenwert. Das hängt u. a. damit zusammen, dass CEOs kaum bloggen. Wie eigene Untersuchungen zeigen, ist man bei den DAX-30-Unternehmen immer noch sehr auf traditionelle Medien konzentriert. Die Blogospähre wird beobachtet, die Firmen sind hier aber mit eigenen Blogangeboten nicht besonders aktiv.
politik-digital.de: Unterscheiden sich denn die Beiträge in Firmen-Blogs überhaupt von gewöhnlicher PR?
Lothar Rolke: Ja, weil hier sehr viel mehr Kritisches zugelassen wird bzw. zugelassen werden muss. Mitarbeiter z. B. dürfen Kritik äußern. Im Daimler-Blog etwa kann es sein, dass sich ein Mitarbeiter über eine schlechte Informationspolitik der Firma beschwert. Das Unternehmen ist gut beraten, hier nichts zu zensieren. So kann ein Stück weit Glaubwürdigkeit und Transparenz entstehen.
politik-digital.de: Denken Sie, Unternehmen versuchen, externe Blogs zu vereinnahmen?
Lothar Rolke: Vereinnahmen wäre ein zu negatives Wort. Sagen wir mal so: zu nutzen. PR-Leute versuchen natürlich immer, alle Kommunikationskanäle zu bespielen. Aus amerikanischen Untersuchungen wissen wir, dass ungefähr 30 Prozent der Blogger intensivere Erfahrungen auch mit Unternehmen haben. Die Frage ist eher: verstehen Unternehmen, wie Blogger arbeiten – und verstehen Unternehmen, sich mit Bloggern zu arrangieren? Das ist deutlich schwieriger, weil es natürlich keine Blogstatuten gibt, so wie es Redaktionsstatuten gibt. Und jeder Blogger im Grunde genommen selbstmächtig genug ist, zu entscheiden, was er machen will und was nicht, und im schlimmsten Fall sich sogar auch kaufen lässt.
Bilder: renehamburg (CC BY-NC 2.0)