Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie zeigt, dass Internetzensur Protest- und Gewaltbereitschaft der Zivilbevölkerung eher befördert als eindämmt.

Unter Politikern gibt es eine weit verbreitete Meinung: Eine gewisse Kontrolle oder sogar Zensur des Internet führt zu mehr Sicherheit im Land und verringert das Risiko sozialer Unruhen. Vor dem Hintergrund der Proteste in Großbritannien haben Forscher des Forschungsinstituts CNRS in Paris und der Londoner University of Greenwich vor wenigen Tagen ein Arbeitspapier mit dem Titel „Why net censorship in times of political unrest results in more violent uprisings: A social simulation experiment on the UK riots“ veröffentlicht. Ihre Untersuchung will zeigen, dass die oben aufgeführte Politiker-These keine Grundlage hat. Für die einen mag das Ergebnis überraschend sein, für andere ist es keine Neuigkeit: Soziale Proteste sind konstanter und unkontrollierbarer in Ländern mit Internetzensur. Mehr noch, je strenger diese Zensur ist, desto massiver ist die Protestbewegung in der Gesellschaft.

Um ihre These zu belegen, nutzten Casilli und Tubaro das „Civic Violence Model“ von Joshua M. Epstein. Die Forscher greifen die Variablen und Szenarien von Epsteins Modells auf, das aufzeigt, unter welchen Umständen Menschen geneigt sind, zu demonstrieren. Die Sozialwissenschaftler fügen ihre eigene Variable hinzu, nämlich soziale Medien und die Zensur derselben. Die Möglichkeit der Demonstranten, ihre Umgebung zu „scannen“ oder mithilfe des Internet Polizeieinsätze zu verfolgen und Ansammlungen von Demonstranten zu inspizieren, spielt eine wichtige Rolle für Menschen. Dadurch können sie abschätzen, wo sich bereits viele Menschen versammelt haben und wo Demonstrationen durchführbar wären. Wenn das Internet jedoch ganz oder auch nur teilweise staatlich zensiert wird, kann die Polizei diese Menschenansammlungen viel weniger eingrenzen und dagegen vorgehen. Die Maßnahmen auf beiden Seiten werden sehr viel unkoordinierter und dementsprechend können sich die Proteste ausweiten.

Das Fazit, das die Studie zieht: Je strenger die Zensur, desto unkontrollierbarer werden also die Ausschreitungen. Als Beleg führen Casilli und Tubaro die Situation in Ägypten an. Als das Internet dort von Mubaraks Regime kontrolliert wurde, verringerten sich die Demonstrationen nicht etwa, sondern erreichten eine nicht vorhersehbare Dimension. In London hingegen, wo das Internet zur Zeit der Aufstände frei zugänglich war, konnte die Polizei schnell herausfinden, wo sich die Randalierer befanden, und ging gezielt gegen sie vor.

Mit ihrem Arbeitspapier wollten die Forscher zeigen, dass „der Tausch von demokratischen Werten und Redefreiheit gegen einen illusorischen Gedanken von Sicherheit“ nicht zielführend ist.