Am 14. Juni hat der Bundestag einstimmig die Verlängerung der Enquete-Kommission “Internet und digitale Gesellschaft” beschlossen. Bis Ende des Jahres wollen sich die Parlamentarier noch Zeit geben, die Berichte der noch laufenden Arbeitsgruppen abzuschließen und neue auf den Weg zu bringen. Ein viel zu enger Zeitplan, bei dem der nächste Verlängerungsantrag gleich geschrieben werden kann.
Wichtiger als der knappe Bearbeitungszeitraum ist allerdings die Frage, was der Bundestag aus den Ergebnissen macht. Dazu müsste der Enquete erlaubt werden, wirklich weiterführende Erkenntnisse zu produzieren. Doch die Formulierung von Handlungsempfehlungen, die über einen Minimalkonsens hinausgehen und damit die Diskussion wirklich voranbringen könnten, wird allzu oft durch parteipolitisch geprägte Konfliktlinien verhindert. Inhaltsanalysen zeigen zwar, wie Sachargumente von verschiedenen, auch parteipolitischen Akteuren ähnlich verwendet werden, doch diesen Denkmustern stehen die Logiken des Parlamentsbetriebs entgegen. Am Ende zählen doch nur Mitgliedschaftsbuch und Koalitionstreue. Die Enquete gerät so in die Situation, ihrem eigenen Ziel, über vorhandene Denkmuster hinweg an neue Themen heranzugehen, im Wege zu stehen. Das gilt besonders für die Formulierung von Handlungsoptionen.
Netzneutralität – auch eine Frage der digitalen Bürgerrechte
Der Bericht der Projektgruppe “Netzneutralität” zeigt beispielhaft, wie sich die Parteien in einer zentralen Frage unvereinbar gegenüberstehen. Während die Regierungskoalition die Einführung von Qualitätsklassen befürwortet – wobei sie sich der Unterstützung durch die großen Provider sicher sein kann – oder den Status Quo nicht gefährdet sieht, fordert die Opposition die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität. Doch die Frage nach der Zukunft der Netzneutralität geht weiter, als eine bloße Diskussion um Pro oder Contra einer gesetzlichen Festschreibung. Denn zu welchen Bedingungen die Nutzer Zugang zum Internet erhalten, ist auch eine Frage ihrer digitalen Bürgerrechte.
Etablierte Regeln können Interessen überlagern
Die Uneinigkeit des Zwischenberichts zeigt, dass Entscheidungen in netzpolitischen Fragen nicht wesentlich anders fallen als in anderen Politikfeldern. Auch wenn die Netzpolitik ein “neues” Politikfeld ist, ist sie nicht davor geschützt, die Handlungslogiken anderer Felder zu übernehmen. Die etablierten Regeln überlagern also möglicherweise quer zu den Parteilinien verlaufende Interessen. Das Internet ermöglicht zwar eine stärkere Einflussnahme, vermag die Grenzen zwischen Regierung und Opposition aber dennoch nicht zu überwinden. Auch in der Enquete nicht, die vom Parlamentsbetrieb eigentlich unabhängig sein sollte.
Das bedeutet aber nicht, dass die Arbeit der Enquete verschenkte Zeit ist. Bei einzelnen Akteuren wird die ausführliche Auseinandersetzung mit den gestellten Fragen doch zu einem Lerneffekt führen, so dass sie an netzpolitische Themen zukünftig anders und offener herangehen. Langfristig wird sich die Arbeit also auszahlen. Nicht mehr in dieser Legislaturperiode, sicher aber in der nächsten, erst recht, wenn die Piratenpartei dann den Einzug in den Bundestag schafft.
Hauptausschuss muss kommen
Gerade weil dieser Lernprozess noch nicht zu Ende ist, müssen die Themen der Enquete weiter verfolgt werden. Vieles spricht dafür, die Kommission ihre Themen abarbeiten zu lassen und in der nächsten Legislaturperiode dann einen neuen Hauptausschuss “Internet und digitale Gesellschaft” zu gründen, der den Unterausschuss “Neue Medien” ablöst und damit aus seiner Randständigkeit befreit. Fragen, die dieser Ausschuss behandeln könnte, gäbe es genug. Die Handlungsempfehlungen der Enquete böten hier eine Arbeitsgrundlage, die es in politische Programme zu überführen gilt.
Darüber hinaus hat die Enquete gerade im Bereich “Digitale Gesellschaft” wichtige Fragen bisher unbeantwortet gelassen. Was die digitale Gesellschaft auszeichnen und wie diese aussehen kann, ist noch nicht einmal Utopie. Wie man die Forderung nach mehr Transparenz umsetzen will und was Transparenz im einzelnen konkret bedeuten soll, ist noch undefiniert. Wie sich die Digitalisierung immer weiterer Gesellschaftsbereiche auswirkt und welche Rolle Politik bei dieser Umgestaltung spielen kann und will, ist nur in Ansätzen skizziert. Auch die stärkere Einbeziehung der Bürger in politische Prozesse – die in der Enquete über eine zentrale Plattform erfolgte, bei der die Qualität der Beiträge über der Quantität lag – wäre ein Wesensmerkmal der digitalen Gesellschaft, zu dessen Ausgestaltung der Ausschuss beitragen könnte. Zudem können querschnittartige netzpolitische Themen hier gebündelt werden und andere Problemfelder bei betreffenden Fragen beraten werden.
Die Arbeit der Enquete ist nach Ende des Bearbeitungszeitraums also noch lange nicht abgeschlossen. Eine nur vorübergehende Beschäftigung mit dem Thema “Internet und digitale Gesellschaft” wird nicht ausreichen. Auch wird die Zukunft neue Fragen aufwerfen, die sich heute noch gar nicht absehen lassen. Eine stärkere Institutionalisierung wäre also nur logisch und richtig.