Die Hardware, mit der wir ins Netz gehen und unser digitales Leben navigieren, wird immer kleiner. Doch das ist erst der Anfang. Die Technik ist auf dem Weg in jeden erdenklichen Gegenstand, den wir mit uns tragen. „Wearables“ sind der nächste konsequente Schritt und die Einstiegsdroge ins Internet der Dinge. Grund genug, unsere Sommerreihe damit zu beginnen, ein Produkt vorzustellen, das vielleicht schon in naher Zukunft nicht mehr aus unserem Kleiderschrank wegzudenken ist: das Smart Shirt. Was kann es, was will es und wo soll das noch alles hinführen?

Beginnen wir also unsere Reise durchs Internet der Dinge bei uns selbst, unserem Körper. Er ist eine bedeutende Datenquelle, an deren Erschließung bereits tüchtig gebastelt wird. Hinter dem Schlagwort „Quantified Self“ verbergen sich zahlreiche Konzepte, Anwendungen und Technologien, die die Generierung personenbezogener Daten be- und vorantreiben. Der Bereich der so genannten „Wearables“ (dt. Tragbares) ist dabei nicht nur ein sehr greifbares Beispiel, entsprechende Produkte sind auch bereits weit fortentwickelt. Für das kommende Jahr prognostizieren Studien und Experten den kommerziellen Durchbruch der smarten Begleiter. Die meisten davon zielen darauf ab, in unsere ohnehin schon bestehende Gegenstandswelt integriert zu werden. Ob Armband  oder T-Shirt, alles kann mit der entsprechenden Technologie smart gemacht werden.
Shooting Star unter den „Smart Wearables“ ist mit Sicherheit die digitale Brille „Google Glas“, mit der der Suchmaschinenanbieter in den vergangenen Jahren viel Aufsehen erregte. Doch auch Fitness-Armbänder und Smart-Watches haben in letzter Zeit die Produktangebote erobert und können durchaus als Vorreiter der Entwicklung betrachtet werden. Größen wie Apple oder Nike, aber auch Startups wie Jawbone oder Pebble bieten entsprechende Produkte an, die uns zunehmend und oft unbemerkt im Alltag begleiten. Doch auch diese Innovationen werden letztlich nur einen Übergangsschritt darstellen. Mit so genannten E-Textiles oder Smart Fabrics hat die Industrie bereits den nächsten Schritt vorweggenommen. Die Verarbeitung von Sensorik in Kleidungsstücken eröffnet ganz neue Möglichkeiten der automatisierten Datenerfassung, und das ohne dass der Konsument ein eigenes Gerät dazu bräuchte.
Zur Sache: Was passiert da eigentlich genau?
Führende IT-Unternehmen wie der Chip-Hersteller Intel arbeiten bereits seit Jahren an entsprechenden Lösungen, und die ersten Produkte können schon im Vorverkauf erworben werden. So zum Beispiel das „Biometric Sweatwear“ von OMSignal. Das Shirt ist noch kein Massenprodukt, kostet stolze 200 Dollar und ist bis dato vor allem als Sportbekleidung konzipiert. In einem Werbevideo zeigen die Macher allerdings auch Menschen, die das Shirt wie selbstverständlich unter ihrer  Alltagsgarderobe tragen. Aber was kann es denn nun? Es misst biometrische Daten wie die Herz- und Atemfrequenz, weiß, wie weit ich gelaufen bin und wie viel Stress mir das bereitet hat. Auch der Kalorienverbrauch pro Bewegungs-Session kann dem figurbewussten Nutzer angezeigt werden.
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Um dies zu ermöglichen, ist das Hightech-Shirt aus leitfähigen Textilien hergestellt, die die Signale der  zahlreichen Mikrosensoren aufnehmen können. Eine kleine schwarze Box von der Größe einer Streichholzschachtel, das Datenmodul, sammelt und sendet kontinuierlich die so gemessenen Daten. Wifi und Bluetooth sei Dank, ist das Shirt auch schnell mit Smartphone und Laptop verbunden oder speichert die Körperdaten einfach direkt in der Cloud. Die Informationen werden von entsprechenden Apps dann nutzerfreundlich aufbereitet und miteinander verglichen, um Erfolgserlebnisse oder Trainingsrückschritte sichtbar zu machen. So entsteht ein kleines Universum aus Hard- und Software, das die eigenen Daten automatisch aktualisiert, auswertet und Hilfestellungen generiert.
Wozu das Ganze?
Womit wir beim Nutzen angekommen wären. „Know yourself. Live better“, mit diesem Spruch bewirbt das Startup Jawbone sein Armband „UP“, das es bereits für 150 Dollar zu erwerben gibt. Das Unternehmen zeigt damit auf, welche Vision hinter den Tech-Klamotten steckt: Mehr Wissen, mehr Lebensqualität? In diesem Sinne ist die Innovation zunächst für Sportler interessant. Dank der fortlaufenden Vermessung der Vitalfunktionen können Trainingseinheiten optimiert werden. Selbstverständlich würden außerdem Informationen über Fortschritte und Trainingserfolge den gewünschten Effekt nicht verfehlen, wirbt der Hersteller, und auch in den sozialen Medien könne man nach Belieben mit den Ergebnissen prahlen. Ein solches Belohnungssystem würde Anreize schaffen, weiter und härter zu trainieren.

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Bald auch auf Ihrem Smartphone: Herzfrequenzmessung über das T-Shirt.

Doch Nutzungsmöglichkeiten lassen sich auch im Alltag erschließen. Ist mit meinem Herz alles in Ordnung? Welche Situationen setzen mich besonders unter Druck und welche Maßnahmen helfen mir zur Entspannung? Wie lang und wann sind meine Tiefschlafphasen? Auf diese und ähnliche Fragen versprechen die Anbieter der Wearables eindeutige Antworten.
Spezielles Augenmerk liegt außerdem auf Menschen, die besonderer Fürsorge und Aufsicht bedürfen, wie Kinder und Menschen hohen Alters oder mit Gesundheitsproblemen. Hier kann vor allem im Hinblick auf die Früherkennung von Gesundheitsrisiken ein großes Potenzial der Technologien erschlossen werden. Allerdings sind auch praktische Anwendungen wie der Kindertracker von LG denkbar, mit dem Eltern ihre Zöglinge nicht mehr aus den Augen oder besser dem Radar verlieren können.
Langfristig ist auch hier Vernetzung der Schlüssel zu einer intensiveren Nutzung der Dienste. Ein Musikplayer, der die Songauswahl meinem Puls anpasst; Rezeptempfehlungen, die auf meinen Energieverbrauch und mein Training abgestimmt sind; oder eben ein intelligentes System, das beim Arzt Alarm schlägt, wenn mit meinen Vitalwerten etwas nicht in Ordnung ist. Komfort und Sicherheit, Belohnungsanreize und medizinische Früherkennung, das sind die offenkundigen Vorteile. Im öffentlichen Bereich ist darüber hinaus denkbar, dass Berufsgruppen im Nah- und Fernverkehr oder im Rettungswesen mit entsprechender Funktionskleidung ausgestattet sind, um neue Sicherheitsmechanismen zu implementieren. Der unternehmerische Erfindungsgeist kennt kaum Grenzen: Socken, die sich selbst sortieren? Oder besser das Wearable für den Begleiter auf vier Beinen?
Risiken und Nebenwirkungen
Doch Spaß beiseite! Mal ganz abgesehen davon, dass unser Körper durchaus über ein eigenes Alarmsystem verfügt, um Verbrauch von Sauerstoff, Wasser und Nahrung zu kontrollieren, und der Fitnesswahn auch seine fragwürdigen Aspekte mit sich bringt: Wohin wird der Trend zur Selbstvermessung noch führen?
Zunächst mal klingen Wörter wie Herzfrequenz, Puls, Sauerstoffsättigung, Blutwerte und Lungenfunktion nicht nur verdächtig nach Hausarztpraxis, sondern sie gehören letztlich auch genau dorthin. Biometrische Daten sind sehr intim und gleichzeitig erfordern ihre Einordnung und Interpretation mehr als eine App auf dem Smartphone. Darüber hinaus lässt sich bezweifeln, wie entsprechenden Messungen ohne Hinterfragen zu vertrauen ist. Spätestens das Versprechen des Armbandes UP, die Stimmung des Trägers erkennen zu können, sollte Zweifel hervorrufen.
Hinterfragen sollten wir außerdem den gesellschaftlichen Umgang mit dieser neuen Quantität und Qualität an personenbezogenen Daten. Aus dem individuellen Drang zur Selbstoptimierung kann schnell ein sozialer Zwang zur rationalen Lebensführung erwachsen, der bestimmte Verhaltensmuster in Konsum, Gesundheitsvorsorge, Arbeitsalltag oder Freizeitgestaltung stigmatisiert. Gesunde oder ökologische Lebensweisen werden hingegen zur gesellschaftlichen Norm erhoben. Selbstverständlich wissen wir bereits jetzt schon, dass zu viel Kaffee ungesund ist und die meisten von uns mehr Sport treiben sollten. Doch nun sehen wir es schwarz auf weiß: Die Verfehlung wird konkret und ebenso ihre Häufigkeit. Verdrängung unmöglich, Konsequenz unausweichlich. Die Freiheit, sich dem zu entziehen, schwindet mit den Möglichkeiten der Aufzeichnung, und deren Verbreitung könnte schneller vonstatten gehen als erwartet.
Zugegeben, die Shirts, die von den Herstellern bislang vorgestellt wurden, muten noch ein wenig futuristisch an und lassen nicht erwarten, dass bald jeder Mensch in entsprechender Mode herumlaufen wird. Früher oder später könnte die Technologie jedoch den Sprung in unsere Alltagsgarderobe schaffen. Auch OMSignal-Mitgründer Stéphane Marceau prognostiziert: „In a decade, every piece of apparel you buy will have some sort of biofeedback sensors built in it.” Welche Produkte und Technologien dabei am Ende die Nase vorn haben und ob tatsächlich unsere gesamte Umwelt „versmartet“ werden wird, sollte hinterfragt werden. Klar ist: Die Wege, auf denen unsere Körperdaten in die Geräte und von dort ins Netz gelangen, sind vorgezeichnet, und wir werden einen immensen Anstieg entsprechender, sehr intimer Datenschätze erleben. Eine Debatte darüber, wie es an dieser Stelle damit weiter geht und wie viele und welche Daten es letztlich sein sollen, ist nicht zu vermeiden.

Alle Teile der Sommerreihe Internet der Dinge:

Einführung: Leben in der smarten Welt
Teil 2: Intelligentes Shopping
Teil 3: Smart Home
Teil 4: Smart Cars

Teil 5: Smart Country
Teil 6: Smart City
Teil 7: Industrie 4.0

Titelbild: Open Clipart/Jic Jac (Public Domain)
Bild – Display: Screenshot aus Video
Bild – T-Shirt:  Cityzen Sciences
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