Blogger Shahidul Alam (Foto: Ralf Pauli)
Blogger sind sie. Brückenbauer zwischen den Welten. Als Emissäre für die Pressefreiheit hat die Deutsche Welle renommierte Blogger aus China, Iran, Ägypten, Russland und Bangladesh in Berlin zusammengebracht. Ihr gemeinsamer Appell: Blogger als Reporter für Mainstream-Medien einsetzen.

Das Timing ist perfekt – nicht nur bei seiner spektakulären Flucht aus dem Hausarrest hat der blinde Bürgerrechtler Chen Guangcheng den geeigneten Zeitpunkt abgewartet. Trotz aller Bemühungen der chinesischen Führung, die Flucht zu verheimlichen, verbreitete sich die Nachricht dank chinesischer Blogger wie ein Lauffeuer – pünktlich zum internationalen Tag der Pressefreiheit. Ohne das Web, so Isaac Mao, wäre Chens Flucht nicht möglich gewesen. Mao, selbst einer der bekanntesten Blogger der Volkrepublik China, weiß, wovon er spricht. Er kennt die Fluchthelferin Chens persönlich, spricht von ihr als “that girl”. Mao verrät, dass die Fluchtdetails online vorbereitet wurden, dass in der chinesischen Blogosphäre der Informationsaustausch über Chen als Machtdemonstration der sozialen Medien wahrgenommen wird. Staatliche Filter und Account-Sperren können die Verbreitung nicht aufhalten. Die Blogger weichen auf ausländische Dienste wie Facebook aus und chiffrieren ihre Texte. Jeder wisse, dass mit “er” Chen gemeint sei.

Ein Dissident fordert das politische System heraus – und jeder kriegt es mit. Der chinesischen Führung entgleitet die Kontrolle. Ein Wendepunkt im Kampf für die Meinungsfreiheit? Mao glaubt daran. Vorfälle wie dieser werden in den staatlichen Medien in China mit keiner Zeile, mit keinem Wort erwähnt. Vor beinahe zehn Jahren, führt Mao während des von der Deutschen Welle organisierten Pressegesprächs am Montag in Berlin fort, habe Chen die erste Warnung vom Regime erhalten. Nur habe in China damals niemand von den Prügeln erfahren, die Chen für seine Recherchen zur Ein-Kind-Politik einstecken musste. Heute sind seine Enthüllungen um Zwangsabtreibungen und Sterilisationen von Frauen, die fadenscheinige Verurteilung 2006 sowie seine Freilassung 2010 mit anschließendem Hausarrest in China bekannt – seine gelungene Flucht in die US-Botschaft nach Peking entblößt die chinesische Führung vor der Internationalen Gemeinschaft – dank Social-Media-Aktivisten. Der Anfang des “chinesischen Frühlings”?

Chen Symbol für die Macht der Sozialen Medien in China

Dass neue Medien nicht nur den Regimesturz beschleunigen können, sondern auch demokratische Verfahren transparenter und partizipativer machen, hofft auch Tarek Amr, ebenso wie viele seiner Landsleute. Der ägyptische Blogger hat miterlebt, wie aus Netzaktivisten Politiker oder Journalisten unabhängiger Medien wurden. Wie er selbst. Amr schreibt für Global Voices Online. Andere Blogger gingen in die Politik – und twittern heute direkt aus dem ägyptischen Parlament. Wie effektiv die Zusammenarbeit für die demokratische Kontrolle sein kann, legt Amr am Beispiel der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung dar, die das Parlament – in dem die gemäßigten Islamisten die stärkste Fraktion sind – gegen den Wunsch der Bürger nach fairer Vertretung aller Interessensgruppen zu Gunsten der Mehrheit durchsetzen wollte. Die Proteste auf der Straße und in den Medien brachten die  Parlamentarier von ihrem Vorhaben ab. Sie verschoben die Wahl.

Gerade bei Wahlfälschungen ist die Mobilisierung über Facebook oder Twitter enorm, wie die Erfahrungen in Iran 2009 und in Russland im März dieses Jahres gezeigt haben. Doch im Gegensatz zum harten Durchgreifen während der “Grünen Revolution”, die – wie der Exil-Iraner Arash Abadpour berichtet, viele regimekritische Blogger ins Exil trieb, hat die russische Opposition mit dem zivilgesellschaftlichen Protest eine Art Oppositionskultur für sich entdeckt. Der russische Top-Blogger, Journalist und Internet-Experte Alexander Plushev zeigt sich selbst einigermaßen überrascht vom Umfang der Protestewegung. Am 6. Mai wird sich die Opposition erneut formieren, um am “Marsch der Millionen” gegen die Wiederwahl Putins teilzunehmen – einen Tag vor der Amtseinführung des jetzigen Premierministers. Plushev geht davon aus, dass die Bewegung von Dauer sein wird.

Blockierte Facebook-Gruppe “Who is sexier?” harmlos   

So hoffnungsvoll wie in Russland heute, so still ist es um die Opposition in Iran. Abadpour, dessen Blog zu den 20 meist gelesenen in persischer Sprache zählt, liefert die Begründung dafür: In Iran werde bereits die Auslebung – gemessen an westlichen Standards – banaler Aktivitäten wie etwa eine Wasserpistolen-Schlacht zu sozialem Aktivismus gerechnet. Die moralischen Ansprüche, die die religiöse Führung des islamischen Staates an die Gesellschaft stellt, gelten auch für das Internet.  In diesem “guten Internet” – führt der in Kanada lebende Blogger am Montag in Berlin aus – hätten auch harmlose Facebook-Seiten keinen Platz.  Dieses Vorgehen könnte aufgrund ihrer “absurden” Verhältnislosigkeit in einen Regimesturz münden – ein Beispiel für Ethan Zuckermans “Cute Cat Theory”, die besagt, dass überwachte Bürger sich erst von der Zensur betroffen fühlen, wenn der Staat in banale Alltagsdinge eingreift.

Oftmals jedoch dringen solche Umstände nicht aus der “Sprachinsel” des jeweiligen Landes oder Kulturgreises heraus, bilanziert Markus Beckedahl, deutscher Blogger und Mit-Gründer und Veranstalter der re:publica, auf der die internationalen Blogger auch in verschiedenen Beiträgen als Redner auftreten. Erst durch die Übersetzung seines Blogs in eine andere Sprache könne er außerhalb des deutschsprachigen Raumes gelesen werden. Beckedahl nennt dies “BridgeBlogging”, das Überbrücken von Sprachbarrieren. Doch was konkret könne in westlichen Medien – abgesehen von der Weiterverbreitung von Bloggereinträgen rund um die Welt – zur Unterstützung der Meinungsfreiheit unternommen werden? Blogger vor Ort als Reporter anheuern – dieser Appell an große westliche Medien trifft bei den Anwesenden auf ungeteilte Zustimmung. Die Deutsche Welle unterstützt Blogger weltweit. Seit 2004 vergibt sie die  BOBs-Award. Die geladenen Blogger waren Teil der Jury. Hauptgewinner ist der persische Blogger und Journalist Arash Sigarchi mit seinem Blog “Window of Anguish”. Mit der Auszeichnung will die Deutsche Welle “im Sinne der Meinungsfreiheit den offenen Diskurs im Internet vorantreiben.”

BOB-Awards: Iranischer Blog ausgezeichnet

Für die Chefredakteurin der Deutschen Welle, Ute Schaeffer, liegt der Wert der Blogger nicht allein darin, dass sie sich der freien Meinungsäußerung bedienen. Er rührt auch von ihrem Drang, “soziale Missstände zu beleuchten und ihre authentische Sicht auf Dinge zu teilen, die oftmals von staatlicher Zensur betroffen sind.” Das führe zu innovativen und kreativen Wegen der Meinugsäußerung. Das gilt allen voran für den Pakistani Shahidul Alam. Der renommierte Photograph setzt sich derzeit für den Ausbau des Internet in den ländlichen Regionen des Landes ein. Denn Informationen aus dem Netzt seien oft die einzige alternative Quelle zu den Staatsmedien. Bestehende Strukturdefizite bei Fernsehen und Rundfunk ergäben, dass nur der staatliche Fernsehsender landesweit senden könne –  private Anbieter müssten auf das regional begrenzte Kabelnetz zurückgreifen. Gleiches gelte für den Hörfunk. Mit jedem ans Netz angeschlosse ipod-touch, das Alam verteilt, wird das de facto-Informationsmonopol des Staates ein Stück eingeschränkt. Ein Korrespondenznetzwerk soll die weitgehend fehlende Infrastruktur in ländlichen Gebieten überbrücken, schließt Alam.

So unterschiedlich die Erfahrungen der Blogger mit den Bürgerrechten in ihren Heimatländern Iran, Bangladash, Ägypten, China und Deutschland auch sein mögen, so unbestritten ist ihr Verdienst um das Recht auf freie Meinungsäußerung. Auch wenn kritische Töne – etwa beim Thema westliche Überwachungstechnologie im Nahen Osten oder nur punktuelle Zusammenarbeit der westlichen Medien mit Bloggern weltweit – angeschnitten worden sind, wünschen sich alle Beteiligten eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Bloggern und Mainstream-Medien. Die Deutsche Welle geht hier mit multimedialen Projekten voran. „Jetzt bitte noch auf einer täglichen Basis und nicht nur einmal im Jahr” – wünscht sich Mao. Dann würden aus Bloggern sicherlich noch schneller Brückenbauer. Und die Presse freier – im Weltdorf.

 

 

 

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