Das Onlineportal qantara.de will die Verständigung zwischen Orient und Okzident fördern. Die in Europa um sich greifende Islamfeindlichkeit zeigt, dass solch ein Anliegen wichtiger denn je ist.

 

Am kommenden Sonntag jähren sich die Terroranschläge von 9/11 zum zehnten Mal. Diese schrecklichen Ereignisse, aber auch die Folgen des später von US-Präsident George W. Bush ausgerufenen „War on Terror“ verstärkten das Misstrauen und die Konflikte zwischen westlicher und arabischer Welt, zwischen Christen und Muslimen. Im Westen bildete sich in der Folge eine zunehmende Islamfeindlichkeit heraus – diesen Entwicklungen zum Trotz zeigen die jüngsten Ereignisse der Arabischen Revolution, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in arabischen Ländern nicht religiösen Fanatikern und Extremisten folgt, sondern frei von staatlicher Diktatur und religiösem Fanatismus leben will. Zum Thema 9/11 und dem vermeintlichen Graben zwischen Christen und Muslimen erschien auf dem Online-Projekt der Deutschen Welle qantara.de aktuell ein interessanter Artikel des SZ-Journalisten Matthias Drobinski, in dem er resümiert, dass „der Dialog zwischen Christen und Muslimen im Westen […] um einige Illusionen ärmer, aber […] auch ehrlicher und intensiver geworden“ sei und die Umwälzungen in der arabischen Welt „dem Kampf um die humane Seite der Religion mehr helfen [könnten] als der Tod Osama bin Ladens“.

Das Wort Qantara ist arabisch und heißt übersetzt Brücke. In diesem Sinne soll das Portal einen Raum für konstruktive Debatten über Gemeinsamkeiten sowie Kontroversen zwischen westlicher und arabischer Welt eröffnen: und zwar mehrsprachig. Zuletzt hatte die menschenverachtende Tat von Anders Brevik in Oslo eine neue Debatte über die grassierende Islam- und Ausländerfeindlichkeit in Europa ausgelöst. Politiker wie der Niederländer Gert Wilders oder Online-Plattformen wie „Politically Incorrect“ (PI-News) lassen diesbezüglich tief in die Gedankenwelt des modernen europäischen Rechtspopulismus blicken. Solch radikalem Gedankengut ist am besten mit einem möglichst direkten und vorurteilsfreien interkulturellen Dialog zu begegnen. Dazu will auch qantara.de beitragen. Auf Initiative des Auswärtigen Amtes ging das Portal erstmals im März 2003 online. Als gemeinsame Träger von qantara.de fungieren seitdem die Deutsche Welle (DW), das Goethe-Institut (GI), die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). Der Anspruch des Portals ist eine fundierte und ausgewogene Berichterstattung zu unterschiedlichen Themen aus der islamischen bzw. arabischen Welt: von der “EU-Tauglichkeit” der Türkei über den Karikaturenstreit bis hin zur Rolle der Frauen im Islam.

In einem eigenen Dossier wird in der deutschsprachigen Ausgabe die Rolle des Internet in der arabischen Welt unter die Lupe genommen, wobei der letzte Artikel, der sich mit Bloggern in der arabischen Welt beschäftigt, schon etwas älter ist (Dezember 2010) und zu den Entwicklungen der vergangenen Monate dort noch kein Beitrag erschien. Hier hätte man aktuelle Beiträge über die zentrale Rolle, die Internet und soziale Medien für die Arabische Revolution gespielt haben, erwartet. Allerdings wird darauf in Beiträgen eines eigenen Dossiers „Arabischer Frühling“ eingegangen: wie in diesem Interview mit der tunesischen Bloggerin Lina Ben Mhenni. Ein informativer aktueller Beitrag zum Arabischen Frühling ist z.B. „Vielfalt des Aufstandes“, der sich mit der syrischen Oppositionsbewegung auseinandersetzt. Hier zeigt sich auch die Stärke der Webseite: die Bereitstellung tiefergehender und komplexer Analysen.

In einem Interview vom August 2011 erklärt der Redaktionsleiter von qantara.de Loay Mudhoon: „quantara.de leistet seit fast sieben Jahren einen wichtigen Beitrag zur Verständigung und Annäherung der Kulturen. […] quantara.de ist ein Debattenportal, eine offene Dialogplattform für alle möglichen Autoren und Beiträge. Das wichtigste ist dabei, dass man kritisch sein sollte, allerdings ohne Hetze und Pauschalisierung.“ Ein großer Vorteil von Portalen wie qantara.de sei es, dass diese ohne kommerziellen Druck und fern von medialen Gesetzmäßigkeiten, die auf sensationsorientierten Journalismus setzen, agieren könnten.

Im Disclaimer von qantara.de wird darauf verwiesen, dass verschiedene Positionen, die dort präsentiert werden, nicht die Haltung von Redaktion oder Träger widerspiegeln. Es gehört also zum redaktionellen Selbstverständnis von qantara.de, keine explizite Sichtweise vorzugeben. Dass dies mitunter schwierig umzusetzen ist, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 2008, der bei haGalil.com dokumentiert wurde und über den die Jüdische Allgemeine berichtete. Damals hatte die Redaktion von qantara.de einen Beitrag des israelisch-deutschen Journalisten Igal Avidan zunächst abgelehnt. Auf Druck des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR) entschuldigte sich die Deutsche Welle schließlich für den Vorgang. Trotz dieses kritikwürdigen Vorfalls finden sich keine Hinweise darauf, dass der Berichterstattung von qantara.de eine grundsätzlich einseitige politische Ausrichtung zugrunde liegt. Das garantieren auch die unterschiedlichen Verantwortlichen der Plattform (Bundeszentrale für politische Bildung, Goethe-Institut etc.) und der politische Wille, der dahinter steht. Beispielhaft für die Ausgewogenheit ist die Berichterstattung über den Nahost-Konflikt auf quantara.de. Während in diesem Artikel mit dem Titel „Weder Hamas noch Fatah repräsentieren die Palästinenser“ deutliche Kritik an palästinensischen Repräsentanten und Terroranschlägen wie durch die Hamas geübt wird, kommt in diesem Interview mit dem israelischen Journalisten und Schriftsteller Uri Avnery vornehmlich Kritik an der Politik Israels zur Sprache.

Die Webseite qantara.de ist sehr übersichtlich strukturiert. In der Navigationsleiste finden sich gleichgeordnet die Kategorien Politik, Gesellschaft, Kultur, Dossiers, Dialoge, Bildergalerien und Leserbriefe, während im rechten Seitenbereich u.a. auf die Präsenzen bei Facebook und Twitter sowie den Newsletter und aktuelle Termine aufmerksam gemacht wird. Eine hierarchisch-strukturierte Darstellung der Inhalte in Form einer Seitenübersicht sucht man bei qantara.de allerdings vergebens. Das Alleinstellungsmerkmal und Besondere der Webseite ist der Zugang der Inhalte in mehreren Sprachen – eine Grundvoraussetzung für den interkulturellen Dialog!

Derzeit erscheint die Webseite in den Sprachen Deutsch, Englisch und Arabisch – die türkische Sprachversion wird von der Hauptseite nicht verlinkt und ist inhaltlich nicht auf dem neuesten Stand (letzter Artikel vom März 2011). Die Inhalte der drei genannten Sprachversionen sind jedoch aktuell gehalten. Dabei nimmt das Thema Arabische Revolution, wie nicht anders zu erwarten, derzeit den größten Raum in der Berichterstattung ein. Viele Beiträge auf qantara.de wurden auch auf den Webseiten der Träger (Deutsche Welle etc.) von qantara.de veröffentlicht, wie dieser von Geert J. Somsen in Politik und Zeitgeschichte 61 (2011) erschienene Essay „Der arabische Frühling und das Ende der ‚Antithese des 11. September’“, oder in anderen renommierten Medien wie der Süddeutschen Zeitung. Die Publikationen setzen häufig ein gewisses Hintergrundwissen zu den behandelten Sachverhalten voraus und richten sich zuvorderst an wissenschaftliche und politische Fachkreise.  Laut Redaktionsleiter Mudhoon spricht qantara.de in erster Linie die sogenannte Informationselite an. Das sollte aber weniger mit der Materie vertraute Leser nicht abschrecken, die sich hier vertiefend informieren können. In einem etwas älteren Beitrag aus dem Jahre 2006 empfahl der Islamwissenschaftler Dr. Michael Kiefer gar bei Lehrer-Online die Inhalte auf der Plattform auch als Rechercheinstrument für Lehrerinnen und Lehrer. Anspruchsvoller ist es dagegen, sich als Leser zu den Themen und Debatten auf quantara.de in Kommentaren oder Leserbriefen inhaltlich zu äußern. Echtzeit-Dialoge im Sinne von Foren-Diskussionen finden auf der Seite nicht statt. Jedoch wird in der Rubrik „Dialoge“ darauf verwiesen, dass qantara.de Intellektuelle aus unterschiedlichen Kulturkreisen darum bittet, über ein vorgegebenes Thema per E-Mail in einen Dialog zu treten. Die Korrespondenz wird dann auf Deutsch, Arabisch und Englisch veröffentlicht. Derzeit lassen sich dort insgesamt sechs lesenswerte Briefwechsel aus den vergangenen Jahren zu Themen wie Antisemitismus im Nahostkonflikt oder Muslime und Integration in Europa finden – hier wären jedoch eine höhere Frequenz und Intensivierung des Dialogs wünschenswert. Für alle anderen Nutzer besteht auf der Facebook-Präsenz die Möglichkeit, Diskussionen zu eröffnen, von der jedoch bisher kaum Gebrauch gemacht wird. Zudem können Leserbriefe eingereicht werden.

Fazit:

Wer sich über die aktuelle Berichterstattung in Mainstream-Medien hinaus fundiert zu kontrovers und aktuell diskutierten Themen zwischen westlicher und arabischer Welt informieren will, wird auf quantara.de mit Interviews und gut recherchierten Beiträgen namhafter Experten hinlänglich bedient. Prädikat: Empfehlenswert!