„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, sagte einst der Philosoph Wittgenstein. Verschiedene Initiativen versuchen diese Grenzen für Neuankommende in Deutschland zu überwinden. Doch auch eine total digitale Welt scheint an ihre Grenzen zu stoßen. Die Initiative D21 lud zur Diskussion über Integration und Spracherwerb im digitalen Zeitalter.
Am Anfang stand die Hilfsbereitschaft
Informations- und Kommunikationstechnologien sind eine wichtige Basis für die Zukunft Deutschlands. Um diese Zukunft mitzugestalten wurde 1999 die Initiative D21 – Gemeinsam für die digitale Gesellschaft gegründet. Sie setzt sich für ein lebenslanges Lernen mit den digitalen Medien ein, möchte Vertrauen in diese neuen Medien stärken und deren Potenzial fördern. Dazu bietet sie Vertretern aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Soziales eine gemeinsame Plattform zum gegenseitigen Austausch.
Integration und Spracherwerb angesichts hoher Zuwanderung stellen alle Gesellschaftsbereiche vor neue Herausforderungen. Über Lösungsansätze aus der digitalen Welt diskutierten Christian Hillemeyer von Babbel, Christian Köhn von PRISM, Regina Eichner vom Deutschen Volkshochschulverband und Jürgen Müller, Leiter der Projektgruppe Digitale Gesellschaft des Bundesfamilienministeriums.
Sprache ist ein Schlüssel zur Integration. Entscheidend für den Spracherwerb ist dabei die Motivation. Diese wird gefördert, wenn man das Erlernte möglichst häufig anwenden kann, betont Hillemeyer. Daher bereitet Babbel, ein Online-Dienst für Sprachkurse, auf die Bewältigung einfacher Alltagssituationen in einer Fremdsprache vor. Mittlerweile hat Babbel mit diesem Konzept über eine Million zahlende Abonnenten. Früh erkannte das Berliner Startup seine Möglichkeiten, einen Beitrag zur Integration zu leisten. Mittlerweile ist das Lernprogramm fest in die Betreuung von Flüchtlingen durch das Berliner LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) eingebunden, berichtet er weiter. Sprachkurse für arabische Muttersprachler sind derzeit jedoch leider noch nicht verfügbar.
„Ich will Deutsch lernen“, heißt ein weiteres Projekt. Eigene Motivation ist wichtig. Wer keinen Platz in einem Integrationskurs hat oder nebenher lernen möchte, den führt diese Lernplattform des deutschen Volkshochschulverbandes durch die Tücken der deutschen Sprache. In der mobilen Version ist sie vor allem als praktischer Alltagsbegleiter gedacht. Hörverständnis und Nachsprechen stehen hier im Vordergrund. In neun Sprachen möchte man die Nutzenden so auf den Integrationskurs vorbereiten.
Wer in Deutschland Asyl beantragt, dem steht ein langer bürokratischer Prozess voller Unsicherheit bevor. Hier setzt PRISM (Plattform for Refugees and Immigrants to support their Social Matters) der Firma commuNet an. “Wir wollen qualifiziert und gezielt Informationen bereitstellen“, erläutert Christian Köhn die Idee. Das Gemeinschaftsprojekt mit dem UNHCR bietet nicht nur die wichtigsten Formulare in der eigenen Muttersprache, sondern weist auch auf Angebote zu Spracherwerb und Weiterbildung am aktuellen Aufenthaltsort hin. Teilnehmer können ihre Fortschritte und Qualifikationen in einer Quality Card dokumentieren. Mithilfe eines elektronischen Lebenslaufs möchte man die bedarfsgemäße, optimale Förderung jedes einzelnen Nutzers erreichen.
Das Rad wird stets neu erfunden
„Ich habe leicht den Überblick verloren“, resümiert Jürgen Müller vom Familienministerium die ehrgeizigen Projekte. Hierin sehen die Diskutanten die größte Schwierigkeit für die digitale Welt. Die Vervielfältigungskosten einer digitalen Idee sind verschwindend gering. Dennoch versuchen viele Initiativen stets das Rad neu zu erfinden, was diesen Vorteil wieder verschwinden lässt, bemängelt Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21, die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit dieser Projekte. Jede Plattform versuche die nationale Plattform zu werden.
Daher konkurrieren die verschiedenen Initiativen unwillentlich miteinander. Vernetzung könnte dem entgegenwirken. Der Hauptfokus muss auf Bündelung der Angebote und nachhaltiger Zusammenarbeit der Initiativen fernab des Konkurrenzdenkens liegen. Dazu müssen Synergieeffekte genutzt und der regelmäßige Austausch gefördert werden.
So logisch und klar diese Forderung klingen mag, so schwer ist doch deren reale Umsetzung, insbesondere in der freien Wirtschaft. Christian Köhn unterstreicht, dass PRISM ein ehrenamtliches, spendenfinanziertes Projekt sei, welches niemals Geld kosten werde. Das Großprojekt “Integration” steht also insbesondere vor der Hürde, welche Ansätze gefördert werden sollen und welche nicht. Das wirft die Frage auf, ob geförderter Gratisangebote nicht unternehmerische Aktivitäten in diesem Bereich verdrängen und den Markt verzerren. Schon jetzt konkurrieren staatliche Angebote wie der neu konzipierte Sprachkurs von Deutsche Welle TV mit privaten Anbietern. Da Integration ein langwährender Prozess ist, müssen alle unterstützenden Angebote zuallererst einmal nachhaltig angelegt werden. Grundbildung in Deutschland müsse stets kostenfrei sein, doch sind Zuwanderer auf Dauer eine eigene Zielgruppe, wie Regina Eichen vom Deutschen Volkshochschulverband hervorhebt.
Derzeit entsteht ein neuer Markt mit vielen neuen Angeboten im Bereich der Flüchtlingshilfe und Integration. Zuwanderer werden zu einer neuen Zielgruppe für Startups. Mit fortschreitender Integration sollen diese Menschen dazu angeregt werden, selber in ihre Zukunft zu investieren um einerseits das wirtschaftliche Wachstum einer neuen Sparte zu fördern, andererseits aber auch den Integrationsbemühungen einen Wert zu geben.
Integration ist nicht nur ein Wort
Integration ist eine Querschnittsaufgabe. In allen Bereichen und auf allen Ebenen gibt es Initiativen, doch stehen sich diese leider zu häufig unbewusst im Weg. Mangelnde Koordination und fehlender Austausch sind die größten Hürden für das Gelingen dieser gesellschaftlichen Aufgabe. Daher müssen Initiativen aus Wirtschaft, Ehrenamt und Politik zusammengebracht werden um an einem gemeinsamen Strang zu ziehen.
Heute stehen wir vor einer neuen humanitären Herausforderung. Integration ist kein Selbstläufer sondern erfordert die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Zuwanderern. Digitale Medien haben uns einander nähergebracht, frei nach der Rede an die Menschheit von Charlie Chaplin aus dem Jahre 1940. „Diese Erfindungen haben eine Brücke geschlagen, von Mensch zu Mensch.“ Doch auch diese Brücke braucht ein solides Fundament, wenn wir sie sicher überqueren wollen.