13392052_920387604754009_9001369434041649745_oUm Inklusion zu verwirklichen, müssen neue, auch physische Räume geschaffen werden, in denen dies geschehen kann. Doch wie kann ein solcher Raum aussehen und wie kann man ihn nutzen? Das PIKSL-Labor in Düsseldorf macht es vor.

“Personenzentrierte Interaktion und Kommunikation für mehr Selbstbestimmung im Leben”, kurz PIKSL, ist ein Projekt der In der Gemeinde leben gGmbH (IGL). Das PIKSL-Labor ist ein offener Raum, in dem Menschen mit geistiger Behinderung Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien bekommen. Dies soll ihnen selbstbestimmte, digitale Teilhabe ermöglichen. Laborant_innen erlernen bei PIKSL zum einen den Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien, bringen aber auch Senior_innen und Einsteiger_innen in Computerkursen den Umgang mit digitalen Medien bei. Ein weiterer Bestandteil des Projekts PIKSL ist die Zusammenarbeit  von Laborant_innen  mit Fachleuten, um neue Lösungsansätze zu entwickeln. Zusammen wollen sie Komplexität und Barrieren abbauen.

Das PIKSL-Labor ist Ort der Begegnung und der Interaktion. Durch menschliche Nähe sollen hier innovative Kommunikationskonzepte entstehen. Dies zeigt sich unter anderem im Design des Raumes im Düsseldorfer Stadtteil Flingern, der von Multifunktionalität und Design mit inklusivem Charakter geprägt ist.

Der Inklusive Raum: vom Konzept zur Umsetzung

Beim Betretenen des Raumes erinnert das puristische Design von PIKSL an ein Coworking Space. Der Raum ist hell, schlicht und einladend. Er soll stigmatisierungsarm sein, also keine stereotypen und negativen Assoziationen hervorrufen. Wenn man einen Ort schaffen will, der inklusiv ist, ist das auch eine praktische Angelegenheit, in der Mobiliar, Ausstattung und Architektur in Betracht gezogen werden müssen.

Der selbst entwickelte fahrbare und höhenverstellbare Computer-Arbeitstisch ist ein Beispiel für Multifunktionalität. Das Universal Design-Produkt mo wurde in einem Design-Workshop mit Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt. Er wird in Handarbeit von Menschen mit Behinderung produziert und wird jetzt auch online verkauft. Universales Design beschreibt die Gestaltung eines Raumes oder eines Produktes,sodass ihn viele Menschen ohne weitere Unterstützung oder Anpassung nutzen können. Der Tisch ist so gestaltet, dass er sich auch für Menschen im Rollstuhl eignet.. Die Tische kann man individuell zusammenstellen- der Raum ist dadurch flexibel nutzbar: ob für Workshops, Kurse oder einfach nur als sozialer Treffpunkt.

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Zur Ausstattung des Raumes gehören auch Computer mit drei verschiedenen Betriebssystemen: Windows, OS X und Ubuntu. Jeder soll entscheiden können, womit er am besten zurecht kommt. Jedes Betriebssystem hat Vorteile: so sind bei OS X die Benutzerhilfen wie zum Beispiel die Vorlesefunktion leicht zu finden, während Ubuntu ein Open Source-Produkt ist. Wichtig ist, dass die Leute bei PIKSL mit einem Betriebssystem arbeiten, das sie auch zuhause benutzen können.

Die L-Form des Raumes ermöglicht, dass es auch einen separaten Offline-Bereich gibt. In diesem sozialen Raum wird geredet,  Kaffee getrunken oder zusammen gegessen. Der Standort von PIKSL ist ebenfalls kein Zufall: nicht am Stadtrand, sondern mitten im bunten Düsseldorfer Stadtteil Flingern befindet sich das Gebäude. Das ehemalige Arbeiterviertel ist von einer heterogenen Bevölkerungsstruktur geprägt. Hier treffen sanierte Altbauten, besetzte Häuser, Studenten-WGs und deren Bewohner_innen aufeinander. Die Integration in einen belebten Stadtteil bedeutet, dass eine Vielzahl an Menschen das PIKSL-Projekt wahrnehmen und selbst ein Teil davon werden: Schüler_innen machen hier ihre Hausaufgaben, Anwohner_innen kommen vorbei, um etwas auszudrucken oder gucken einfach nur neugierig beim Vorbeilaufen.

Menschen mit Lernbehinderung im Mittelpunkt

Bei PIKSL sind Menschen mit geistiger Behinderung unter anderem Expert_innen. Zum Beispiel in den 8-wöchigen Computerkursen, die das PIKSL-Labor anbietet. Dort bringen sie Senior_innen und PC Einsteig_innen den Umgang mit Computern bei. Am Anfang des Kurses wird gemeinsam ein Plan erstellt, der auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer_innen abgestimmt ist. In einer 15-minütige WDR Doku über PIKSL erzählt die Teilnehmerin Helga Sökefeld von einem VHS-Kurs, sich an Anfänger_innen richtete, aber nicht das richtige Tempo für sie hatte. Wenn jemand weiß, wie schwierig die ersten Schritte mit einem Computer sein können, wenn Dinge zu schnell, zu umständlich oder kompliziert erklärt werden, dann die Menschen vom PIKSL-Labor. Hier brillieren sie durch ihre Geduld und ihre Fähigkeit, älteren Menschen Schritt für Schritt den Computer näher zu bringen.

Werbung_Senioren_7Diese Computerkurse sind nur ein Beispiel von vielen Projekten, welche die Laborant_innen ins Zentrum der Lernkultur bei PIKSL stellen. Ein solcher Ansatz möchte nicht nur Teilhabe an digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen, sondern auch interdisziplinär Barrieren abbauen. Das PIKLS-Labor ist ein Ort, an dem sich Menschen mit Lernbehinderungen in verschiedenen Rollen erleben können: mal als Vermittler_in, mal als Nutzer_in, mal als Expert_in. Sie sollen am Erfolg des Projekts teilhaben, gleichzeitig aber auch bei der Forschungs- und Entwicklungsarbeit dabei sein. Begleitet werden sie dabei von weiteren Expert_innen, die ihr spezielles Fachwissen situativ einbringen. Ob ein Glossar für leichte Sprache, bei dem die Nutzer_innen mitmachen und komplexe Wörter melden können, oder die Entwicklung eines Content Management Systems, das Menschen mit geistiger Behinderung das digitale Publizieren vereinfacht: nie sind die Menschen, um die es geht, an der Peripherie. Nie ist ihre Behinderung Teil des Problems, sondern wird als Ressource verstanden, die bei der Entwicklung von Lösungsansätze eine zentrale Rolle spielt. Die Laborant_innen sind zum ersten Mal direkt in Gestaltungsprozessen involviert. Darin unterscheidet sich PIKSL-Labor von anderen Projekten und Initiativen.

Anhaltende Positive Entwicklungen

Die Einzigartigkeit von PIKSL zeigt sich auch am erfolgreichen Projektverlauf: 2015, nur 5 Jahre nach Start des PIKSL-Projektes und vier Jahre nach der Eröffnung in Düsseldorf, entstand ein zweites in Bielefeld. Zahlreiche Preise hat das Projekt gewonnen: zwei internationale Auszeichnungen der Vereinten Nationen für “Innovative Practise 2016”, vom Land Nordrhein-Westfalen wurde es als “Ort des Fortschritts” ausgezeichnet. Um mehr Menschen digitale Teilhabe zu ermöglichen, sollen nun noch mehr PIKSL-Labore entstehen. Die SKala-Initiative fördert deshalb seit November 2016 die Skalierung von PIKSL-Laboren. SKala ist eine Initiative der Unternehmerin Susanne Klatten in Partnerschaft mit dem gemeinnützigen Analyse- und Beratungshaus PHINEO. SKala fördert bis zum Jahr 2020 etwa 100 gemeinnützige Organisationen mit insgesamt bis zu 100 Millionen Euro in den Bereichen Inklusion und Teilhabe, Engagement und Kompetenzförderung, Brücke zwischen den Kulturen sowie Katastrophenhilfe. Nach dem ersten Schritt einer Machbarkeitsstudie, wird nun auch die Verbreitung von PIKSL-Laboren gefördert.

Nachhaltiges Konzept, auch außerhalb des Labors

Der Erfolg des Projektes ist nicht überraschend: der Lösungsansatz von PIKSL ist genauso nachhaltig wie ermächtigend. So sind ethische Fragestellungen und Datenschutz individuell immer wieder Thema. Das offene WLAN bei PIKSL ist für jede_n zugänglich. Die Teilnehmer_innen werden über die Netiquette, die Regeln des Miteinanders aufgeklärt und lernen, damit umzugehen oder darüber zu diskutieren. Sie sollen selbst Kompetenzen erwerben, die ihnen ein selbständigen und selbstbewussten Umgang mit digitalen Medien ermöglichen. Barrieren abbauen bedeutet eben auch, die Abhängigkeit von professionellen Hilfesystemen zu reduzieren.

Besprechung im PIKSL LaborDer Ansatz des PIKSL-Labors zielt nicht nur auf die dort beschäftigten Laborant_innen ab. Das Labor bietet auch inklusive Firmen-Trainings an, die Einfühlungsvermögen, Toleranz, Verantwortungsbewusstsein, Selbstvertrauen und Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit eines Teams stärken sollen. So wirkt das PIKSL-Projekt als transformative Kraft nach außen. Das Projekt ist wichtiges Beispiel dafür, wie Inklusion aussehen und wie die Wahrnehmung und das Selbstverständnis einer marginalisierten Gruppe durch ein Projekt zum Positiven verändert werden kann. Es zeigt außerdem das gesamtgesellschaftliche Potential, das inklusive Räume haben können, denn am Ende profitieren alle Seiten von Inklusion.

Im ersten Teil der Serie “Inklusion und das Digitale” haben wir uns gefragt, was zeitgemäße Teilhabe bedeutet. Im zweiten Teil haben wir uns über barrierefreie Kommunikation unterhalten.

Bilder: Copyright by PIKSL

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