KAS_VeranstaltungWelche Rolle spielt das Internet in Wahlkämpfen? Können Online-Kampagnen wahlentscheidend sein oder sind sie nicht mehr als Stimmungsbarometer? Kann man überhaupt von einem “Internet-Wahlkampf“ sprechen? In der vergangenen Woche diskutierten Experten aus dem klassischen und Internet-basierten Wahlkampf diese und andere Fragen auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer Stiftung.
Auf dem Podium mit dem Thema „Das Internet in Wahlkämpfen“ saßen neben dem Autor des gleichnamigen Buches, dem Politikwissenschaftler Andreas Jungherr, der Geschäftsführer des Bereichs Kreation bei der Berliner Kreativagentur Butter und Autor des Bestsellers „Höllenritt Wahlkampf“, Frank Stauss, sowie Peter Radunski, der ehemalige Senator des Landes Berlin für Bundes- und Europaangelegenheiten und für Wissenschaft und Kunst und langjähriger Geschäftsführer der CDU. Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Journalisten und Google-Community Manager Marc Etzold.

Das Internet als Wahlentscheider?

Eine im Mai veröffentlichte Studie der BITKOM stellte fest, dass ein Drittel der Deutschen es als wahlentscheidend empfindet, wie die Parteien das Internet im Wahlkampf nutzen. Die Referenten der Diskussionsrunde maßen diesem Ergebnis jedoch nicht viel Gewicht bei. Frank Stauss etwa widmet dem Internet in seinem Buch kein eigenes Kapitel, da er es als „normalen“ Bestandteil des Wahlkampfs versteht. Nicht das Internet, sondern alles, was zum Wahlkampf dazugehöre, entscheide die Wahl, ist Stauss überzeugt. Auch Andreas Jungherr meint, dass das Internet die Stimmenabgabe nicht beeinflusst und die interessierte Öffentlichkeit sich nicht durch das Internet vermehrt hat. „Viele Facebook-Fans bedeutet nicht zwangsläufig viele Wähler. Internettrends sind nicht wahlentscheidend“, bekräftigte der Bamberger Wissenschaftler. Der Berliner Senator Peter Radunski ergänzte, dass politische Aktivität in sozialen Medien jedoch als eine Art Stimmungsbarometer fungieren könne. So könne man Anhänger auf Facebook oder Twitter durchaus mit den traditionellen Umfragewerten vor einer Wahl vergleichen.
Wenn das Internet nicht wahlentscheidend ist, wie beeinflusst es dann den traditionellen Wahlkampf? Andreas Jungherr stellte drei Funktionen des Internets für politische Kampagnen vor: (1) Das Internet schafft eine Präsenz für politische Akteure und ihre Inhalte im Internet; (2) Parteien können sich mithilfe des Internets und digitaler Werkzeuge besser organisieren; und (3) Parteien und Kandidaten können sich im Internet inszenieren und somit das Momentum von Kampagnen unterstützen.
Obwohl sich laut Peter Radunski „der Wahlkampf nicht grundsätzlich durch das Internet ändert“, biete es doch einige neue Möglichkeiten im Wahlkampf. So gebe es insbesondere vermehrte Ansprachemöglichkeiten von Erstwählern, denn „die Jugend ist im Internet“. Mithilfe von YouTube könne ein Mangel an teuren TV-Spots ausgeglichen werden, und man habe die Möglichkeit, im Internet verstärkt den Negativ-Wahlkampf zu führen, eine weit verbreitete Strategie in den USA, die allerdings in Deutschland keine Tradition habe.

Das Plakat schlägt das Internet

Trotz des Hypes um das Internet als noch junges Wahlkampfmedium bleibt die effektivste Methode, Wähler anzusprechen, der knappe Slogan auf einem Plakat. „Unsere klassischen Wahlkampfmedien sind das Plakat und das ‘direct mailing’“, erklärte Agenturchef Frank Stauss. Der häufige Vergleich mit dem Wahlkampf in den USA sei, so Andreas Jungherr, demnach schon deshalb unangebracht, weil es dort andere traditionelle Wahlkampfmethoden gebe.
Während man sich in Deutschland einen Wahlkampf ohne Plakat nicht vorstellen kann, werden die Wähler in den USA gezielt mit TV Spots und per Haustürwahlkampf angesprochen, das sogenannte Micro-Targeting. Das Internet kann in den USA effektiver im Wahlkampf genutzt werden, da jenseits des Atlantiks eine Datenspeicherung möglich ist, die ‘data-driven campaigning’ (also die Ausrichtung der Kampagne nach generierten Daten) ermöglicht und den Parteien verrät, wer genau hinter der Haustür wohnt, bevor man überhaupt angeklopft hat.
In Deutschland hingegen ist es nicht einmal üblich, zu fragen, wen man wählt. Peter Radunski betonte: „In Deutschland kennen wir unsere Wähler nicht. Zu fragen, welche Partei jemand wählt, ist vergleichbar mit der Frage nach dem Kontostand“. Kaum jemand trage hierzulande einen Anstecker mit dem Slogan „Ich wähle die CDU“ oder „Ich wähle Grün“. In deutschen Internet-Foren wird zudem meist anonym diskutiert. Trotzdem sei es aber wichtig, die Meinung der User ernst zu nehmen und nicht zu erwarten, dass Wähler den Visionen der Politiker einfach blind folgen.
Der traditionelle Wahlkampf verändert sich trotz Internet demnach nicht. „Wenn Sie in Deutschland auf ein Plakat verzichten, haben Sie ein riesiges Problem“, beteuerte Radunski. Das Internet werde jedoch vielfach genutzt, um die Inhalte der traditionellen Medien wiederzugeben. So werde das TV-Duell der Kanzlerkandidaten immer am stärksten online begleitet und kommentiert.

Botschaft und Politikerpersönlichkeit müssen stimmen

Ob Plakat, Brief oder Internet, entscheidend sei die Botschaft der Partei. „Die Botschaft ist wichtiger als der Kanal“, betonten sowohl Frank Stauss als auch Peter Radunski immer wieder. Das Internet könne eine unzureichend fokussierte Botschaft nicht aufwerten. Im Gegenteil: Auf die Reizüberflutung im Internet müsse durch eine Verknappung und Simplifizierung der Botschaft reagiert werden. Frank Stauss nannte als Beispiel den SPD-Slogan zur letzten Berliner Abgeordnetenhauswahl „Berlin verstehen“. Statt Taten anzupreisen, konzentrierte sich die Botschaft auf ein extrem simplifiziertes, reines „Verstehen“.
Auch ein Mangel an Charisma einer Politikerpersönlichkeit könne das Internet nicht begleichen. „Das Internet bringt nichts ohne Obama“, versicherte Peter Radunski und ergänzte, es sei „beunruhigend, dass die Parteien drei Monate vor der Wahl ihr Thema noch nicht gefunden haben“. Auch Frank Stauss betonte neben der Bedeutung der politischen Botschaft die Vermarktung von Politikerpersönlichkeiten. So hätte das Internet das Charisma eines Willy Brandt noch hervorgehoben. Doch es bleibe eben reines Medium: „Wenn es nicht fliegt, fliegt es weder online noch offline“.
Die Kehrseite des Arguments sollte nicht unbeachtet bleiben: Das Internet bietet nicht nur Chancen der Unterstützung, sondern kann der Politikerpersönlichkeit und der Botschaft auch schaden. Alles, was nicht funktioniert, multipliziert sich im Internet.

Es gibt keinen “Online-Wahlkampf“

Aber was ist eigentlich gemeint, wenn wir von „dem Internet“ sprechen? Spiegel Online? Twitter? Facebook? E-Mail? Genauso sei der Begriff “Internet- oder Onlinewahlkampf“ ein missverständlicher, so Andreas Jungherr. „Man sagt ja auch nicht TV-Wahlkampf“. Das Internet sei eines von vielen Medien und sollte seiner Ansicht nach keine Sonderstellung haben. „Wir haben in Deutschland einen extrem provinziellen Diskurs über das Internet. Das Internet ist normal geworden und ein Wahlkampfmedium wie jedes andere auch“.
 
Bild: Christina zur Nedden (CC-BY-3.0)