Welche Einflussmöglichkeit haben Bundesregierung und Europäische Union gegenüber global agierenden Digitalkonzernen? Wer zieht Facebook endlich die Weltverbesserer-Maske vom Gesicht? Und wann begreifen Kultusministerinnen und -minister hierzulande, dass digitale Bildung nicht beim vernetzten Klassenzimmer aufhört, sondern ebendort erst anfängt?
In einer Zeit, in der diese und ähnliche Fragen unseren Alltag immer umfassender prägen, ist der Grünen-Politiker und Datenschutzexperte Malte Spitz zu einer Reportage-Reise über die Vergleichbarkeit von Öl und Daten für die Machtgefüge in den jeweiligen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen aufgebrochen. Eine spannende Reportage-Reise, bei deren Niederschrift der Autor nicht immer die Orientierung behält.
Richtige und zum Weiterdenken anregende Beobachtungen, nur unsystematisch aufbereitet? So könnte ein (vor-) schnelles Urteil über das Buch „Daten – Das Öl des 21. Jahrhunderts?“ (Hoffmann und Campe, 248 Seiten, 16,00 Euro) lauten. Das abschließende Urteil über das Buch fällt, so viel sei vorweggenommen, wesentlich differenzierter aus, auch wenn Spitz, der zwischen 2006 und 2013 Beisitzer im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen war und im Januar 2018 in den Parteirat gewählt wurde, sich in der ersten Hälfte des knapp 250 Seiten starken und in sieben Kapitel gegliederten Buches im Kapitel „Geschichte“ immer wieder in Analogien und Nebenvergleichen zu verlaufen droht. Möglicherweise zu viel Material und Eindrücke von seinen Gesprächen, die er für das Buch rund um den Globus mit Expertinnen und Experten verschiedenster Disziplinen geführt hat? Dass er mitunter von einem Gesprächspartner spontan einen weiteren Experten empfohlen bekam, schreibt Spitz selber. Auch für wohlmeinende Leser ist es jedenfalls nicht immer einfach, ein stringentes erkenntnisleitendes Interesse zwischen den Zeilen im Blick zu behalten.
Der Verfasser setzt bei seinen Erkundungen immer wieder zu grundsätzlich zweifelsohne korrekten Vergleichen des Wertes, der Beschaffenheit bzw. der (historischen) Funktion von Öl mit den entsprechenden Eigenschaften von Daten an oder streut bedenkenswerte Erläuterungen, beispielsweise zur Frage, ob wir online mit Daten bezahlen oder diese Gegenstand eines Tauschgeschäftes seien, ein. Seine Erkenntnisse verlieren sich an anderer Stelle leider allzu häufig im Deskriptiven. Und Offensichtlichen, beispielsweise, wenn er schreibt:
„Ein Fass Öl ist überall auf der Welt mehr oder weniger das gleiche Fass Öl. Mögen die Ölsorten unterschiedliche Qualitäten und Preise haben, die Nutzung und Verarbeitung ist gleich (…). Diese Einheitlichkeit gibt es bei Daten nicht. Es gibt Tausende Dateiformate, unendlich verschiedene Möglichkeiten, Daten anzuordnen.“
Für ein Sachbuch, als solches wird die Veröffentlichung vom Verlag gelistet, sind diese und zahlreiche ähnliche Feststellungen recht holzschnittartig geraten. Für eine Untersuchung, getrieben von systematisch grundiertem wissenschaftlichem Interesse, wirken zahlreiche Vergleiche und vergleichbare Ähnlichkeiten, die Spitz in den Kapiteln akribisch zusammenträgt, zu konstruiert. Und für ein politisches Manifest, das ein solches Buch vor dem Hintergrund der Fragestellung ihrer aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Relevanz und des bereits in der Vergangenheit erfolgten (gesellschafts-) politischen Engagements des Autors für Themen wie die „Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union“ ja auch hätte werden können, fehlt es dem Buch bei all dem positiv hervorzuhebenden inhaltlichen Interesse und der explorativen und journalistischen Akribie des Verfassers an argumentativer Stringenz.
Dass Spitz hierzu sehr wohl imstande ist, zeigt er im Buch immer wieder. Beispielsweise im dritten Kapitel mit der Überschrift „Freiheit“. Ein Kapitel, das unter anderem der Auseinandersetzung mit den innenpolitischen Implikationen der wachsenden Bedeutung von Daten gewidmet ist und in dem der Verfasser in zahlreichen Unterkapiteln mit teils konkreten Vorschlägen zur Lösung beispielsweise von Sicherheitsfragen auf seine praktische politische Erfahrung als einer der führenden bündnisgrünen Datenschutz-Politiker der vergangenen Jahre setzen kann.
Bei diesen wenigen, dafür aber prägnant formulierten Appellen und Vorschlägen hätte der Autor es bewenden lassen können.
Regulierung, Innovation und Eigeninitiative: Nachhaltigkeit im digitalen Zeitalter
„Nachhaltigkeit im digitalen Zeitalter“, so der Untertitel des Buches, dem – nach gut 200 Seiten auch das siebte und letzte Kapitel gewidmet wird. Ein Kapitel, in dem der Autor Raum für vorwärtsgerichtete Ideen und Appelle findet und konstatiert, dass – anders als beim Öl, wo dieser Diskurs nicht zuletzt im Umweltschutzkontext seit mehreren Jahrzehnten global geführt wird – eine weltweite Debatte über digitale Nachhaltigkeit noch in den Kinderschuhen steckt, wenn sie überhaupt schon begonnen hat.
Unter „Nachhaltigkeit“ versteht Malte Spitz, dabei nicht in erster Linie die notwendigen und wichtigen Debatten um die ökologischen Fragen der Digitalisierung, wie die Kühlung von Serverräumen, die Entsorgung von Endgeräten oder den Umgang mit den Grundlagen vieler Hightech-Geräte, den Seltenen Erden. Er meint eine andere Konfliktlinie: „Beim Diskurs um digitale Nachhaltigkeit geht es vielmehr um die Frage einer selbstbestimmten, offenen Gesellschaft. Dabei ist das Thema Macht entscheidend: Wer hat Macht, wie wird sie ausgeübt und wie wird sie kontrolliert?“
Zur Gestaltung der Frage der Nachhaltigkeit im digitalen Zeitalter macht der Autor neben den Aspekten der Regulierung und der Innovation vor allem einen dritten Punkt stark – den der Eigeninitiative:
„Die Menschen müssen aktiv werden, sie müssen selber nachhaltig handeln, müssen ihren Konsum regulieren, um so Einfluss auf die Industrie zu nehmen. Dazu bedarf es einer umfassenden Aufklärung der Menschen, wie es sie im Bereich Umweltschutz auch gegeben hat.“
Eine Frage der Perspektive?
Zum Thema digitale Nachhaltigkeit werden die Gedanken konsistent aufbereitet und erläutert. Woran es liegen mag, dass dies nicht durch alle sieben Kapitel hindurch pointiert gelingt? Der Leser erfährt von den überaus zahlreichen und im Einzelfall gewiss lohnenswerten Besuchen des Autors in Entwicklungslaboren, bei traditionellen Chemieunternehmen, bei Sicherheitsexperten, an Universitäten, bei einstigen politischen Entscheidungsträgern und bei Investoren aus der Perspektive des Ich-Erzählers. Eine Veröffentlichung in Magazin- oder Zeitungsreportagenform wäre jedoch vielleicht die bessere Idee gewesen. Denn diese dramaturgische Herangehensweise lässt in Buchform den Spannungsbogen immer wieder zusammenfallen.
Fazit
Malte Spitz behandelt in seinem Buch eine der wesentlichen, wenn nicht die herausragende Fragestellung der Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts. Nein, Daten sollten nicht das Öl des 21. Jahrhunderts werden. Wichtiger sei die Kontrolle über die Frage, wer profitiert und wie gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Machtmonopolen entgegengewirkt werden kann, so seine Schlussfolgerung, die er gemeinsam mit „12 Thesen für den Diskurs“ präsentiert.
Dennoch: Dem in „Daten – Das Öl des 21. Jahrhunderts?“ behandelten Thema wäre bei allen spannenden Perspektiven und zum Nach- und Weiterdenken anregenden Erkenntnissen, die im Buch versammelt werden, jedoch eine noch stärkere Sensibilität für die Analyseebene und das Untersuchungsdesign seiner Fragestellung zu wünschen – und möglicherweise durch eine stärkere Eingrenzung der Fragestellung auch zu erreichen gewesen.
Jede ambitionierte Reflektion zur Frage der sozial- und umweltverträglichen Ordnung von Macht, Teilhabe und Einflussmöglichkeiten in der digitalen Gesellschaft ist per se ein begrüßenswertes Unterfangen. Erst recht, wenn diese Auseinandersetzung in der zum Innehalten und zum Zurücktreten aus dem eigenen digitalen Alltagshandeln einladenden Form des gedruckten Buches daherkommt. Und dass Fragen der Bedeutung von Daten für die Ordnung und das Machtgefüge unserer Gesellschaft interessierte Leserschichten erreichen können, das zeigt nicht nur die Veröffentlichung von Malte Spitz: Hingewiesen sei hier zusätzlich auf „Das Digital“, eine Veröffentlichung, die von dem Oxford-Wissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger und dem Wissenschaftsjournalisten Thomas Ramge ebenfalls im vergangenen Jahr vorgelegt wurde und bei Feuilleton und Fachpublikum auf breites Interesse stieß.
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