Aus der Traum: Gerade mal zwei Jahre konnte die globale Internetgemeinde bei der Sitzverteilung des ICANN-Direktoriums mitentscheiden. Die neue Satzung beendet den Versuch direkter Demokratie im Internet.
Der demokratische Aufbruch währte nur kurz. Vor zwei Jahren konnten einfache Anwender erstmals über das Direktorium der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (
ICANN) mitbestimmen; jetzt werden die Direktwahlen schon wieder abgeschafft. Während internationale Konzerne und nationale Regierungen auf mehr Einfluß hoffen können, reduziert die am 31.Oktober in Schanghai beschlossene neue
ICANN-Satzung das Mitspracherecht von Endnutzern erheblich.
Drei gegen den Rest
Gegen die Satzungsänderung stimmten lediglich drei Vorstände: der als europäischer Regionalvertreter gewählte deutsche
Andy Müller-Maghun, der für die USA und Kanada gewählte ICANN-Kritiker
Karl Auerberg und Rob Blokzijl, der die europäische Internet-Registry
RIPE vertritt. Letzteren störte vor allem die noch offene Bedeutung der Regionalvertretungen: „Bevor wir keine Vereinbarung haben, sollten wir auch nicht über eine Satzung abstimmen.“
Strukturänderung
Die bisherige Struktur der ICANN (
Organigramm) wird in wesentlichen Punkten geändert. Der Vorstand umfaßt nur noch 15 Mitglieder, worunter vor allem die fünf Regionalgruppen zu leiden haben. Statt wie bisher je einen Posten einzunehmen, müssen sie sich künftig auf zwei gemeinsame Direktoren (At-Large-Direktoren ) einigen. An die Stelle der neun direkt gewählten At-Large-Direktoren treten in Zukunft acht Vorstände, die von einem Nomination Comittee gewählt werden. Dieses setzt sich unter anderem aus Wirtschaftsvertretern, Adressen-verwaltern sowie den fünf Regionalvertretern zusammen. Lediglich einer von 17 stimmberechtigten Mitgliedern vertritt den Bereich Endkunden und Zivilgesellschaft. Wer sich in diesem äußerst heterogenen Nomination Comittee durchsetzen kann, bleibt abzuwarten.
Was kann ICANN?
Bei den Aufgaben der ICANN geht es hauptsächlich um die Organisation des Domain-Name-System (
DNS), das den Namen einer Seite in die IP-Adresse umwandelt. Darüber hinaus entscheidet sie über die Realisierung von Top Level Domains (wie z.B. die Schaffung von .info) und koordiniert die ansonsten dezentrale Struktur des Internet. Erst 1998 wurde diese Aufgabe vom US-amerikanischen Department of Commerce (DoC) auf die ICANN, eine privatwirtschaftliche Gesellschaft kalifornischen Rechts, übertragen. Das US-Handelsministerium teilte im September in einer
Pressemitteilung mit, dass der bisher bestehende Vertrag mit der Internet-Verwaltung ICANN um ein weiteres Jahr verlängert sei. Nancy Victory, Leiterin der National Telecommunications and Information Administration (
NTIA) im Handelministerium, drückt in der Pressemitteilung deutlich ihre Enttäuschung über die bisherige Entwicklung der ICANN aus. Kritisiert wird, dass die Internet-Verwaltung sich nicht auf die technische Verwaltung beschränke und einige Entscheidungen kaum nachvollziehbar gewesen seien. Das solle sich nun unter Mitwirkung des Ministeriums ändern. Die Fortsetzung des ICANN-Vertrages bedeutet für das Ministerium eine Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse.
Die Folgen von Shanghai
Die Schanghai-Konferenz hat die Einflußmöglichkeiten für Regierungsvertreter wieder wachsen lassen. Ihre Organisation, das Governmental Advisory Comittee (
GAC) wird künftig in allen beratenden Gremien vertreten sein, wenn nationale und internationale Gesetze oder „öffentliche Politikbereiche“ betroffen sind. Von Kritikern wird darin ein leichtes Einfallstor für staatlichen Einfluß gesehen. So bemerkte der koreanische Direktor Sang-Hyong Kyong, dass es leicht sei, “praktisch alles was ICANN tut, als Public Policy zu bezeichnen”. Dazu paßt, das sich das GAC mit Unterstützung der Europäischen Kommission gerade in Brüssel ein Sekretariat aufbaut, durch das effektive Arbeit gewährleistet werden soll. Ob sich durch den Ortswechsel die –eher in Europa vermuteten- Befürworter staatlicher Regulierung des Internets durchsetzen können, bleibt jedoch abzuwarten. Die USA haben bereits auf die Notwendigkeit einer „internationalen Zusammensetzung“ des GAC bestanden. In jedem Fall ist es der ICANN gelungen, durch die Abschaffung der Direktwahl zwei interne Kritiker loszuwerden: die Mandate Maghuns und Auerbergs enden im Dezember.