Es brodelt in der Küche der in Kalifornien ansässigen Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (
ICANN). Auf dem Menü sollte eigentlich die Debatte um die ursprünglich für Herbst 2002 anvisierten @Large-Wahlen für das ICANN-Direktorium stehen. Noch im letzten Jahr befassten sich gleich
zwei Studien mit der Frage nach dem Erfolg der ersten AtLarge – Wahlen und die kamen, trotz einiger Einschränkungen, zu einem positiven Ergebnis.

Rechtzeitig vor der aktuellen ICANN-Konferenz in Accra kursierte ein neues Papier, in dem Stuart Lynn, der Präsident von ICANN seine
Gedanken ausformuliert hat, wie man in einer unfertigen Struktur und mit unzureichender Finanzierung die Administration des Internet-Namensraumes effektiv durchführen kann.

Dabei kommt Lynn zu dem Schluss, dass ICANNs nicht-staatliche Form zur Erfüllung der an ICANN gestellten Aufgaben ebenso ungeeignet sei, wie das “traditionelle prä-Internet-Modell einer multinationalen Regierungsorganisation”.

Eine grundlegende Reform der ICANN-Strukturen müsse in die Richtung einer Public-Private-Partnership gehen, in welcher die Verwurzelung im privaten Sektor bestehen bliebe, gleichzeitig aber Platz geschaffen würde für eine “aktive Unterstützung und Teilnahme nationaler Regierungen”.

In seinem
Vorschlag schafft Lynn diesen Platz durch die Verkleinerung des
Vorstandes von derzeit 19 Köpfen auf 15. Fünf staatliche ICANN-Emissäre würden von Regierungen nominiert, über ein weiteres Drittel solle ein “offener Nominierungsprozess” beschließen. Untergremien der ICANN besetzen die restlichen 5 Posten. Neben Lynn als Präsidenten sieht das Papier noch Vertreter von drei Policy-Councils (Top-Level-, Länder-Domains, IP-Adressierung), sowie einen Vertreter eines Technik-Komitees vor. Hinzu kommen noch 2 nicht-stimmberechtigte Posten für das
Internet Architecture Board und einen bereits existierenden Regierungsbeirat, dessen bisheriges Wirken Stuart Lynn mit Blick auf die Regierungseinbindung nicht ausreichend hält.

Bereits im Vorfeld der ersten und – bisher – letzten Wahlen machte sich bei den wahlberechtigten @Large-Mitgliedern Erstaunen breit, als ICANN Kandidaten nominierte, die vorrangig aus der Internetwirtschaft und deren mangelnde Unabhängigkeit zur ICANN-Führung negativ
kommentiert wurde. Nichtsdestotrotz setzte sich zumindest im Wahlkreis Europa mit den beiden unabhängigen Kandidaten Andy Müller-Maguhn und Jeanette Hofman die Usernähe durch: Zusammen kamen sie auf fast ¾ der in europäischen Stimmen. In den anderen Regionen siegten die von ICANN Nominierten.

Die Verzögerung des anstehenden uphill-battle

Die tatsächliche Absicht des Lynn-Vorschlages ist aber noch nicht abzusehen. Ob Wahlen stattfinden oder nicht – im Oktober läuft die Amtszeit der Direktoren aus. Um das zu verhindern und die Direktoren zu erhalten, müssten diese mit einer 2/3-Mehrheit eine Satzungsänderung beschließen. Es kann vermutet werden, dass der aktuelle Vorschlag diese anstehende “uphill-battle” verzögern will.

Die Idee staatlicher Einbindung hat auf jeden Fall auch Reize. Vor der ICANN-Gründung gab es Alternativvorschläge bezüglich Struktur und Anbindung an andere Organisationen. So war ein Gedankenspiel, die oberste Netzbehörde als Unterorganisation der Vereinten Nationen zu führen. Um dem so drohenden Einfluss nationaler Regierungen zu entgehen, wurde die relativ freie Organisation ICANN geschaffen. In der Satzung wurde verankert, dass Regierungen keinen direkten und entscheidenden Einfluss haben dürfen.

Internet der Regionen

Durch diesen Verzicht auf Regierungseinfluss hat sich ICANN aber auch einige Authoritätsdefizite eingehandelt, sowie eine etwas unsichere Finanzierung. Nach wie vor schwelen Auseinandersetzungen mit den Verwaltern der nationalen TLD’s (.de, .ch, .ru, etc.).

Ein bedeutender Streitpunkt ist die Anerkennung der sogenannten Uniform Domain-Name Dispute-Resolution Policy (
UDRP), in der Regeln und Prozedere beschrieben werden, wie die Lösung von Streitigkeiten um einen Domain-Namen gelöst werden können. Einige Länder wie beispielsweise Deutschland haben durch Gerichtsurteile den Weg bei Domainstreitigkeiten bereits umrissen (z.B.
ambiente.de,
oil-of-elf.de), allerdings haben viele ccTLD-Verwalter sich nach wie vor nicht der UDRP angeschlossen.

Hinsichtlich der Verwaltung der whois-Informationen, also der Verwaltung der Domainnamen-Inhaber. Die Durchsetzung ist problematisch, denn, in den einzelnen Ländern ist die Verwaltung der ccTLD’s äußerst unterschiedlich geregelt. Während in Deutschland die relativ unabhängige
DeNIC e.G. den Daumen auf deutschen Domains hat, ist das in anderen Ländern eventuell eine Regierungseinrichtung oder ein kommerzielles Unternehmen.

Funktioniert die Arbeit einer solchen Einrichtung nicht richtig wäre das normale Prozedere die Redelegierung dieser Aufgabe. Tauchen hier aber Probleme auf, dann ist “im schlimmsten Fall der gesamte nationale Namespace tot” bzw. Domains und Domaininhaber (neben den Namen vor allem die Ziel-IP’s) sind nicht mehr auffindbar.

Wichtigste Frage ist in der Auseinandersetzung zwischen ICANN und nationalen Registries allerdings die der Finanzierung. Derzeit belaufen sich die Verluste auf einige tausend Dollar pro Jahr, interessant für die zukünftige Arbeit von ICANN wäre die Klärung, wie viel Geld die nationalen Registries für die Ausführung bestimmter Aufgaben (u.a. Root-Server, whois-Infos) bezahlen sollten und werden. Diesen Beitrag versucht derzeit der Council of European National Top-Level Domain Registries (
CENTR) neu auszuhandeln. (siehe auch
Transatlantischer Internet-Konflikt)

Sitzplatz 2. Klasse, aber keine Ermäßigung

ICANN-Präsident Lynn schlägt ebenfalls in diese Kerbe. Eine Einbindung von nationalen Regierungen bedeutete im Gegenzug mehr Einfluss von ICANN auf die nationalen Registries. Des weiteren ließe sich auf eine finanzielle Beteiligung an den Kosten aus anderen staatlichen Haushalten als dem amerikanischen hoffen. Demzufolge müsste der Vorschlag seitens des ICANN-Direktoriums positiv aufgenommen werden. Jedoch würde damit dem Grundgedanken des Internet widersprochen, wo ein Prinzip gerade die Offenheit und Dezentralität ist. Für Jeannette Hofman wäre eine Durchsetzung der aktuellen Vorschläge “eher nicht wünschenswert”, auch weil dann “eine US-Firma auch in den Ländern an der Macht wäre”. Gleichzeitig bezeichnet sie die Vorschläge für das gesamte Netz als eher positiv, da etwas mehr Zentralisierung und Standardisierung die Folge wäre.

Generell lässt das Papier aber die Frage offen, welche Rolle die Regierungen bzw. ihre Abgesandten spielen sollen. Hofmann hält die Gedankenspiele für einen “Sitzplatz 2. Klasse für andere Regierungen”, da letztlich grundlegende Änderungen nur mit der Zustimmung der US-Regierung getroffen werden könnten, welche nach wie vor die Hoheit über den Root-Server A besitzt und somit über ein großes Maß an Policy-Kontrolle verfüge.

Der Protest gegen eine befürchtete staatliche Übermacht und die Abschaffung der At-Large-Wahlen hat sich derweil schon organisiert. Pünktlich zum Zusammenkommen in Accra sammelt sich in einer hochrangig besetzten vorläufigen Steering-Group der Widerstand. Mit dabei sind u.a. die Sozialwissenschaftlerin Jeanette Hofmann, die frühere ICANN-Vorsitzende Esther Dyson und der amerikanische At-Large-Direktor Karl Auerbach.

Wahlwillige Internetnutzer können sich unter
http://www.icannatlarge.com für die nächste At-Large-Wahl anmelden oder die “schwierige Startphase” finanziell unterstützen.

Aus netzhistorischer Sicht wird hier wieder der für das Internet typische Weg des “rough consensus” als oberstes Prinzip der Entscheidungsfindung beschritten. Diesen Pfad voller bremsender Nebengeräusche zu verlassen und auf seinen vermeintlichen Königsweg umzuleiten muss Stuart Lynn dem gemeinen Netz-Wahl-Volk noch schmackhaft machen. “Nach der ersten Panik” stellte die ICANN-Expertin Jeanette Hofmann über den Vorschlag fest, dass doch “nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird”.