Die Zustimmung der Bundesregierung zum umstrittenen Handelsabkommen ACTA lag seit Freitag auf Eis. Trotzdem versammelten sich am Samstag mehrere tausend Menschen im Berliner Zentrum, um am internationalen Protesttag gegen die geplanten Reglungen zum Schutz von Patenten und geistigem Eigentum zu protestieren.
Die Sonne schien zwar, aber es war bitterkalt am Samstagmittag im Berliner Zentrum. Trotz Bundesliga-Fußball im Fernsehen und Filmstars auf den roten Teppichen hatten sich hier genauso wie in etwa 60 anderen deutschen Städten zahlreiche zumeist junge Menschen versammelt und versuchten, begleitet von Trillerpfeifen und Technomusik, die eisigen Temperaturen zu ignorieren. Gegen die Filmindustrie, die aktuell in Berlin versammelt ist, richtete sich ein Teil des Protests, zu dem sich nach den Angaben von Mitveranstalter Markus Beckedahl „rund 10.000 Teilnehmer“ in der Hauptstadt zusammenfanden.
Das sogenannte „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ (ACTA) ist ein multilaterales Handelsabkommen, das ursprünglich von den USA und Japan initiiert wurde. Ziel des Abkommens sind der Schutz von Patenten und internationale Standards für die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte. Der Protest, der zunächst vor allem in Polen zu einer öffentlichen Bewegung wurde, richtet sich gegen unpräzise Formulierungen in dem Dokument und dessen Zusatzprotokollen. Kritisiert wird zudem die angestrebte Provider-Haftung beziehungsweise eine damit einhergehende verstärkte Kontrolle des Datenverkehrs von Internet-Nutzern.
Was aber wird konkret gefordert, nachdem das ACTA-Abkommen außer in Polen, Lettland, Tschechien und der Slowakei auf Drängen der Bundesjustizministerin nun auch in der Bundesrepublik vorerst gestoppt worden ist? Die FDP-Politikerin hatte die deutsche Zustimmung zu ACTA am Freitag zunächst zurückgezogen und diesen Schritt mit einer noch ausstehenden Offenlegung aller Dokumente und Nebenansprachen begründet. Die Ministerin erntete umgehend Kritik vom Koalitionspartner, und auch die Berliner Demonstranten waren keinesfalls überzeugt. Der „schwarze Peter“ sei lediglich an das Europäische Parlament abgeschoben worden, bemängelten die Redner zum Auftakt der Demonstration diese jüngsten Entwicklungen übereinstimmend.
Kritik an intransparentem Entstehungsprozess
Zwar wurden in den einleitenden Worten schrittweise Entschärfungen des ursprünglichen Entwurfs zugestanden. Die Kritik prominenter Netzaktivisten aber bleibt, und so forderte Wikimedia Deutschland- Mitstreiter Jan Engelmann in seiner Rede dann auch, „den Ratifizierungsprozess nicht nur auszusetzen, sondern zu stoppen“. Zuvor hatten bereits Matthias Spielkamp von iRights.info sowie Markus Beckedahl auf den nach ihrer Meinung intransparenten Entstehungsprozess, den Einfluss von Wirtschaftslobbyisten bei der Verhandlung des Abkommens und die zahlreichen, für weitere rechtliche Verschärfungen offenen Formulierungen hingewiesen. Man müsse „den Vertrag politisch lesen“, so Beckedahls Warnung.
Politisch war auch die Unterstützung für die Berliner Großkundgebung. Überparteilich unterstützt wurde der kreative und laute, jedoch friedliche Protest in der Hauptstadt von Parteien, Vereinen und Initiativen wie dem Berliner Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen, dem Landesverband der Linken, dem Forum Netzpolitik der Berliner SPD, den Jusos und der Grünen Jugend, dem Chaos Computer Club, dem Verein Digitale Gesellschaft e.V. und zahlreichen weiteren Initiativen. Darüber hinaus hatten auch Einzelpersonen, wie der Berliner Piraten-Fraktionschef Andreas Baum oder die Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses Anja Schillhaneck den Aufruf zur Demonstration unterstützt und sich mit anderen Landespolitikern auf die Route durch die Innenstadt gemacht.
Martin Delius, der parlamentarische Geschäftsführer der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, zeigte sich am Rande des Protestzuges begeistert von der Menge der Teilnehmer. Er habe nicht damit gerechnet, dass sich so viele tausend Menschen für den Protest mobilisieren ließen. Zugleich räumte Delius aber ein, dass es für die Piraten als Oppositionsfraktion auf Landesebene schwierig sei, konkretes Handeln gegen ACTA in die Wege zu leiten. Selbstverständlich könne man aber „Bundesratsinitiativen fordern“. Ganz so diplomatisch und differenziert waren nicht alle Demonstranten gestimmt. Ein Teilnehmer mit Guy Fawkes-Maske und Antifa-Flagge bekundete, für ihn persönlich seien „Eigentumsrechte generell überbewertet“.
Voraussichtlich im Juni dieses Jahres werden die Mitglieder des Europäischen Parlaments über ACTA abstimmen. Nach der nationalen und internationalen Mobilisierung des vergangenen Samstags ist nur noch schwerlich vorstellbar, dass die Debatte bis dahin wieder abebben wird.